BERLIN. Kinder- und Jugendmediziner und andere Experten – darunter die Virologen Prof. Klaus Stöhr und Prof. Jonas Schmidt-Chanasit – haben in einem offenen Brief das Ende von anlasslosen Corona-Tests in Schulen und eine «Vermeidung überzogener und unverhältnismäßiger Quarantäneregeln» gefordert. «Nach monatelangen Schul- und Kita-Schließungen, die mit Abstand zu den längsten in Europa zählen, schuldet die Politik unseren Kindern und Jugendlichen jetzt vor allem eines: Normalität», heißt es in dem Schreiben.
Initiator ist der Verein «Initiative Familien». Nach dessen Angaben haben rund 130 Experten der Kinder- und Jugendmedizin, Virologen, Juristen, Psychologen und Vertreter medizinischer Fachgesellschaften den Brief unterstützt und unterzeichnet – darunter auch der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (DGKJ), Thomas Fischbach, sowie die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Die beiden Verbände drängen bereits seit dem Frühjahr 2020 auf einen offenen Schulbetrieb – immer wieder auch mit falschen Behauptungen, wie News4teachers berichtete.
Rechenaufgabe:
Wenn die DGKJ und und DGPI berichten, dass 2018/19 von 7461 aufgrund Influenza hospitalisierter Kinder 9 verstarben,
2020/21 (bis April) von 1259 wegen CoViD19 hospitalisierten Kindern 8 (RKI 12).Wieviel mal gefährlicher ist dann CoViD19?
— Philipp S. Holstein (@PSHolstein) August 28, 2021
Die Beteiligten des aktuellen Schreibens weisen auf psychologische, physische und soziale Folgen für Kinder durch geschlossene Einrichtungen, Kontaktbeschränkungen und Bewegungsmangel in der Vergangenheit hin. Mit Blick auf die verfügbaren Impfungen für Erwachsene heißt es: «Kinder zum Schutz erwachsener Kontaktpersonen weiter einzuschränken, ist nicht mehr zu rechtfertigen.»
Den Schul- und Kitabetrieb zum Schutz der Kinder einzuschränken, auch nicht: Es sei wissenschaftlicher Konsens, dass Kinder und Jugendliche selbst nur in seltenen Fällen schwer durch eine Corona-Infektion erkrankten und in der Regel schnell genesen würden. «Auch die unter Long-Covid diskutierten Symptome treffen Kinder selten und nicht oder kaum häufiger als Gleichaltrige, die nie eine Sars-CoV-2-Infektion durchlaufen haben», heißt es weiter.
Das ist zumindest wissenschaftlich umstritten: Das Robert-Koch-Institut betont die unklare Datenlage – und warnt mit Blick auf die Schulen vor der „Verbreitung deutlich stärker übertragbarer Virusvarianten (..), die möglicherweise mit einem schwereren Krankheitsverlauf assoziiert sind. Gerade für das Kindes- und Jugendalter ist hier die Datenlage noch unsicher. Auch aufgrund dieser Entwicklung ist weiterhin die konsequente Umsetzung der bewährten infektionspräventiven Maßnahmen im Schulsetting sehr wichtig, um eine Verbreitung der Infektionen in diesen weitgehend ungeimpften und daher suszeptiblen Altersgruppen zu verhindern.“
«Ausbrüche in Schulen betreffen meist nur wenige Personen. Virusübertragungen finden deutlich öfter im häuslichen Umfeld statt»
«Kontaktnachverfolgungsstudien zeigen, dass ungeimpfte Erwachsene sehr viel häufiger als Kinder Infektionen in Schulen tragen. Ausbrüche in Schulen betreffen meist nur wenige Personen. Virusübertragungen finden deutlich öfter im häuslichen Umfeld statt. Die bloße Vermutung, das könnte bei neuen Virus-Varianten anders sein, reicht nicht aus, um Kinder erneut massiv einzuschränken», so meinen hingegen die Autoren des offenen Briefes. Auch die genannten Kontaktnachverfolgungsstudien sind wissenschaftlich umstritten: Sie basieren auf Daten der Gesundheitsämter, die schon im vergangenem Jahr bei hohem Infektionsgeschehen die Kontakte gar nicht mehr nachvollziehen können – und aktuell schon wieder damit überlastet sind, wie das RKI meldet.
Es ist erstaunlich. In den US appellieren öffentlich führende Kinderärzte jetzt an Regierung für besseren Covid Schutz der Kinder. Sie haben Angst vor Langzeitschäden. Bei uns beginnt eine stille Durchseuchung. In Hospitalisierungsquote spielt #LongCovid für Kinder keine Rolle https://t.co/L2fJFi9gNj
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) August 30, 2021
Konkret fordern die Unterzeichner ein Ende der «extrem kostenintensiven und belastenden Testungen bei asymptomatischen Kindern ohne einen konkreten Anlass» und eine «Gleichstellung aller Kinder und Jugendlichen mit geimpften und genesenen Erwachsenen». Zudem müssten die Quarantäneregeln auf den Prüfstand. Das würde praktisch wohl kein Corona-Schutz mehr für Kinder und Jugendliche, von denen die allermeisten noch nicht geimpft sind.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach twittert spitz (mit Blick auf eine öffentlich stark wahrgenommene Petition in den USA): “Es ist erstaunlich. In den US appellieren öffentlich führende Kinderärzte jetzt an Regierung für besseren Covid Schutz der Kinder. Sie haben Angst vor Langzeitschäden. Bei uns beginnt eine stille Durchseuchung.” News4teachers / mit Material der dpa
Kinderärzte klagen über Einnahmeausfälle – und fordern: Schulen umgehend weit öffnen
