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Streit um Corona-Explosion in Schulen: Versucht Ramelow, die Öffentlichkeit zu täuschen?

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ERFURT. In Thüringen explodieren die Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen – und die Forderungen nach Konsequenzen werden immer lauter. Die Landesregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) kontert mit einem eilig gestrickten «Sondergutachten» ihres wissenschaftlichen Beirats. Das kommt zu dem Schluss, dass weder Tests noch Quarantänemaßnahmen unter Kindern notwendig seien. Merkwürdig: Dem Gremium gehören nur zwei Mediziner an – und einer davon hat sich noch vor wenigen Wochen ganz anders geäußert. Versucht die Landesregierung ein Täuschungsmanöver?

Lässt laufen: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Foto: Thüringer Staatskanzlei (TSK)

Während die Rufe nach einer neuen Corona-Teststrategie an Schulen immer lauter werden, kommt ein neues, von der Landesregierung in Auftrag Gutachten zu dem Schluss, dass anlasslose Corona-Tests an Schulen nicht nötig seien. Kinder und Jugendliche trügen zum Pandemiegeschehen bei – wie auch ungeimpfte Erwachsene, stellt der wissenschaftliche Beirat zum Corona-Pandemiemanagement in dem Gutachten fest, das auf Donnerstag datiert ist und der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Im Gegensatz zu Erwachsenen erkrankten Kinder und Jugendliche aber sehr selten schwer. Dem Gremium, dem die Medizinerin und Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Petra Dickmann sowie die Volkswirtin Prof. Silke Übelmesser vorsitzen, gehört kein Virologe an.

«Nach allem, was wir über Delta wissen, kann man es nicht einfach laufen lassen»

«Weil Kinder selbst nicht schwer erkranken und Erwachsene sich impfen lassen können, sind Quarantänemaßnahmen grundsätzlich weder für den Eigen- noch für den Fremdschutz zu rechtfertigen», heißt es in dem Sondergutachten. Demnach seien unter anderem auch mehrmals wöchentliche, nicht anlassbezogene Tests «nicht mehr gut zu begründen». Auch stünden die Kosten dafür in keinem Verhältnis zum «in der Öffentlichkeit irrtümlicherweise erwarteten Nutzen». Welche Rolle die Streichung praktisch aller Schutzmaßnahmen wie der Maskenpflicht in den Thüringer Schulen spielt, darauf geht das Papier offenbar nicht konkret ein.

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Die Landesregierung hatte am Dienstag nach einer Kabinettssitzung das «Sondergutachten» in Auftrag gegeben, als Anfang der Woche bekannt wurde, dass die Corona-Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen – vor allem in den jüngeren Altersgruppen – stark gestiegen sind, wie News4teachers berichtete.

Heißt: Lediglich zwei Tage haben die elf Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten dafür gebraucht, die Situation zu analysieren, das Gutachten zu schreiben und die Ergebnisse untereinander abzustimmen. Dem Gremium gehören unter anderem ein Fachmann für regenerative Energiesysteme, ein Richter am Bundesverwaltungsgericht, ein Professor für Informatik, ein Wirtschaftsgeograph und ein Professor für Medientechnik an.

Noch erstaunlicher: Der einzige Mensch im Beirat, der tatsächlich mit den medizinischen Folgen von Corona konfrontiert sein dürfte – Prof. Dr. med. Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Uniklinikum Jena –, hatte einem Bericht von News4teachers zufolge noch Anfang September mit Blick auf die Schulen erklärt: «Nach allem, was wir über Delta wissen, kann man es nicht einfach laufen lassen.» Zum einen, weil die mittlerweile auch in Deutschland vorherrschende Delta-Variante für Kinder gefährlicher sein könne als bisherige Varianten. Und zum anderen, weil auch viele Erwachsene noch nicht geimpft seien.

Ließe man das Virus «durchrauschen», gäbe es unabhängig davon, wie viel gefährlicher Delta nun für Kinder ist, eine weitere Gefahr, warnte Pletz: «Kinder können das Virus aus der Schule nach Hause bringen und ihre ungeimpften Eltern anstecken.» Noch sei die Quote von knapp über 60 Prozent vollständig Geimpften zu niedrig, um alle Maßnahmen aufzuheben. In einigen Modellierungen gebe es bereits Hinweise auf zu erwartende Zahlen bei der Intensivbettenbelegung, «die im Bereich der dritten Welle liegen».

Und das soll jetzt plötzlich nicht mehr gelten, obwohl die Zahlen nochmal drastisch gestiegen sind? Am Montag lag die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche – bei den 5- bis 14-Jährigen landesweit bei 290,6. Den – bundesweiten – Spitzenwert weist aktuell der Unstrut-Hainich-Kreis mit 940 auf. Inzwischen wurden auch aus mehreren Städten und Landkreisen Forderungen nach einer neuen Teststrategie laut. Nach Angaben der Stadtverwaltung Weimar lag der Schwerpunkt des Infektionsgeschehens der Stadt in den vergangenen Tagen in den Schulen und Kindergärten sowie in den Familien der betroffenen Kinder.

«Der einzig wirksame Weg, das Infektionsschutzrisiko signifikant zu senken, ist die frühzeitige Testpflicht in Schulen und Kindergärten sofort wiedereinzuführen», erklärte Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine (parteilos) am Freitag. Erst dann mache eine Allgemeinverfügung in anderen Lebensbereichen Sinn.

«Aus politischem Dogmatismus setzt das Bildungsministerium die Gesundheit einer ganzen Region aufs Spiel»

Jenas Stadtspitze äußerte ebenfalls Unverständnis über den Weg durch die Pandemie im Bildungssektor. «Möglichst wenig Infektionen – dafür haben wir sehr stringente und immer wieder auch präventive Maßnahmen ergriffen», erklärte Oberbürgermeister Thomas Nitzsche (FDP). Diese Pandemiestrategie wolle man fortführen. «Wir erwarten, dass die Landesregierung diese Bemühungen unterstützt und nicht sabotiert.» Der Landrat des Landkreises Gotha, Onno Eckert, reagierte verärgert: «Aus politischem Dogmatismus setzt das Bildungsministerium die Gesundheit einer ganzen Region aufs Spiel.»

Die Teststrategie an Schulen hat mittlerweile auch zu Unruhe in der rot-rot-grünen Koalition geführt. Die SPD-Fraktion hatte am Mittwoch beschlossen, den Koalitionsausschuss wegen des Themas einzuberufen. Nach den aktuellen Corona-Regeln gibt es an Schulen keinerlei Testangebot in der sogenannten Basis-Stufe, also wenn die Belastung des Gesundheitswesens als gering gilt. Ab Warnstufe eins müssen Tests angeboten werden, in der höchsten Warnstufe drei sind sie Pflicht.

Thüringen ist nach Sachsen das Bundesland mit der zweithöchsten Corona-Sterberate in Deutschland. Thüringen verzeichnet 209 Pandemie-Tote auf 100.000 Einwohner. Der Bundesschnitt liegt bei 114. News4teachers / mit Material der dpa

RKI-Daten: In drei Bundesländern, die Masken im Unterricht gestrichen haben, explodieren Inzidenzen bei Schülern

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