BERLIN. Von Chancengerechtigkeit ist das deutsche Bildungssystem nach Meinung des überwiegenden Teils der darin befindlichen Jugendlichen weit entfernt. Dennoch blicken die meisten positiv auf ihre berufliche Zukunft, so die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage.
Jugendliche und junge Erwachsene zweifeln mehrheitlich und zunehmend an der Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage zum deutschlandweiten Tag der Bildung am 8. Dezember. Die vom Stifterverband, den SOS-Kinderdörfern weltweit und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung ins Leben gerufene Initiative setzt sich nach eigenen Angaben für eine chancengerechte Bildung ein. Bundesweit finden zahlreiche weitere analoge und digitale Aktionen statt.
Im Auftrag der Initiative befragte das Meinungsforschungsintituts Forsa rund 1.000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 21 Jahren. Die Mehrheit (59 Prozent) von ihnen glaubt nicht, dass alle Kinder im Großen und Ganzen unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben. Das sei der höchste und damit schlechteste Wert seit der ersten Befragung im Jahr 2015, so die Initiative. Seit 2018 habe die Skepsis kontinuierlich zugenommen; vor drei Jahren sei noch etwa die Hälfte (51 Prozent) von der Chancengleichheit in Deutschland überzeugt gewesen.
Die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Bildungschancen bildeten für die Jugendlichen die Qualität der Schule (92 Prozent), die Zuwendung und Unterstützung der Eltern (90 Prozent) sowie die eigene Motivation (86 Prozent). Der Anteil derjenigen, die in diesem Zusammenhang glaubten, dass der kulturelle Hintergrund der Erziehungsberechtigten einen großen Einfluss auf die Bildungschancen der Kinder habe, belief sich auf 51 Prozent. Das seien 20 Prozentpunkte mehr als bei der ersten Abfrage dieses Faktors im Jahr 2016.
Digitale Bildung während der Pandemie – geteilte Meinung zur Leistung der Lehrkräfte
In Deutschland konnte der Unterricht während der Pandemie häufig nur digital stattfinden. Besonders die Lehrkräfte waren hier gefragt. Durch das Homeschooling mussten sie ihren Unterricht völlig anders gestalten. Rund die Hälfte (53 Prozent) der Jugendlichen und jungen Erwachsenen war damit zufrieden, wie ihre Lehrerinnen und Lehrer den Unterricht im Homeschooling gestaltet hätten. Fast genauso viele (52 Prozent) sagen aber auch, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer nicht so gut oder schlecht mit digitalen Lern- und Lehrmethoden vertraut sind.
Die Mehrheit der 14- bis 21-Jährigen (78 Prozent), die während der Pandemie am Distanzunterricht teilnehmen mussten, hatten dafür ein eigenes, bereits vorhandenes digitales Endgerät genutzt. Neun Prozent erhielten ein Gerät von der Familie, acht Prozent der Befragten mussten dafür extra ein eigenes Gerät erwerben und lediglich vier Prozent erhielten ein Gerät von der eigenen Schule, Hochschule oder Arbeitsstelle. Daher wünschen sich auch 47 Prozent der Befragten eine bessere Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit Tablets oder Notebooks für das Homeschooling.
Nach der Pandemie könne sich genau ein Viertel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorstellen, gleichermaßen im Präsenz- und Distanzunterricht zu lernen. Die Mehrheit (64 Prozent) würde es jedoch bevorzugen, wenn der Unterricht überwiegend oder ausschließlich in Präsenz stattfände. Den großen Vorteil des gemeinsamen Lernens vor Ort sehen die Befragten darin, dass mehr Möglichkeit zur individuellen Betreuung durch die Lehrkräfte bestehe (76 Prozent) und dass Schülerinnen und Schüler im Präsenzunterricht weniger abgelenkt seien (75 Prozent). Einen Vorteil des Distanzunterrichts sieht die Mehrheit der Befragten hingegen in der zeitlichen Flexibilität: Etwa drei Viertel (74 Prozent) der Befragten meinen, dass sie sich ihre Zeit zum Lernen im Distanzunterricht besser einteilen konnten.
Positiver Blick in die berufliche Zukunft – mit Selbstorganisation, Höflichkeit und Toleranz zum Erfolg
Trotz der Skepsis in Bezug auf die Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem blickt die große Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen positiv oder eher positiv (86 Prozent) in ihre eigene berufliche Zukunft. Auch zwischen den verschiedenen Befragtengruppen zeigen sich in dieser Frage keine großen Unterschiede: Schülerinnen und Schüler, Studierende oder bereits berufstätige junge Menschen waren alle ähnlich positiv gestimmt.
Die wichtigsten Kenntnisse für die persönliche berufliche Zukunft sind nach Angabe der Befragten Selbstorganisation (96 Prozent), Höflichkeit und Toleranz gegenüber anderen Menschen (94 Prozent) und Kenntnisse der deutschen Sprache (91 Prozent). Immerhin 61 Prozent der Befragten halten Kenntnisse über Klima- und Umweltschutz für sehr wichtig oder wichtig – und damit für relevanter als Kenntnisse in Politik und Geschichte (59 Prozent), Programmier- und Softwarekenntnisse (48 Prozent) oder Auslandserfahrungen (40 Prozent).
Deutschland soll sich auch international für chancengerechte Bildung einsetzen
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 eine inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung in Deutschland sicherzustellen. Die große Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen (82 Prozent) hält es darüber hinaus für wichtig, dass sich Deutschland auch in anderen, ärmeren Ländern dafür einsetzt, dass das Bildungssystem inklusiv, chancengerecht und hochwertig wird. Die hohe Zustimmung zu dieser Frage sei seit dem Jahr 2018 nahezu konstant. (ots)
