BERLIN. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnen zum heutigen „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“, die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach zu halten und aus dieser Zeit zu lernen. Der ehemalige bayerische Kultusminister Spaenle ruft zu Besuchen von Schülerinnen und Schülern in KZ-Gedenkstätten und NS-Dokumentationszentren auf.
Mit großer Sorge sehen die beiden Bildungsgewerkschaften, dass antisemitische Verschwörungstheorien erstarken und sich zunehmend verbreiten. Die Corona-Proteste offenbarten ein erschreckend hohes Maß an Geschichtsvergessenheit und -verharmlosung, wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich mit Opfern und Verfolgten des Nationalsozialismus gleichsetzen oder sich zu Widerstandskämpfern gegen eine Diktatur erklären. Ähnliche äußern sich die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sowie die Generalkonsulin des Staates Israel in München, Carmela Shamir.
Die GEW und der VBE begrüßten die Resolution gegen das Leugnen und Trivialisieren des Holocaust, die die UN-Generalversammlung am 21. Januar verabschiedet hat. In dem Papier werden die Staaten aufgefordert, Bildung, Forschung und Erinnerung an den Holocaust zu fördern. In den sozialen Netzwerken sollen Antisemitismus und das Leugnen und Verzerren des Holocaust bekämpft werden.
„Die UN-Resolution sendet eine klare und wichtige Botschaft. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus‘ relativiert oder geleugnet und das unermessliche Leid sowie die Ermordung von Millionen Menschen verharmlost werden. Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Pädagoginnen und Pädagogen sehen es als unsere Aufgabe an, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, Aufklärungsarbeit zu leisten und Verschwörungstheorien in den Bildungseinrichtungen und der Gesellschaft entschieden entgegenzutreten“, betont die GEW-Vorsitzende Maike Finnern.
„Bildung ist aus unserer Sicht ein, wenn nicht der entscheidende Baustein gegen das Vergessen“
Der VBE Bundesvorsitzende Udo Beckmann macht deutlich: „Nach wie vor nehmen wir ein weiteres Erstarken antidemokratischer Kräfte im rechten politischen Spektrum wahr. Sogenannte Querdenker und Reichsbürger bedienen sich einer immer diffuseren Rhetorik und versuchen, alte Ressentiments im neuen Gewand wieder aufleben zu lassen. Dass das Stereotyp vom brunnenvergiftenden Juden auch 77 Jahre nach dem Ende der Shoah noch nicht aus den Köpfen verschwunden ist, sondern eher zu erstarken scheint, ist ein unhaltbarer Zustand. Es ist die Pflicht einer jeden demokratischen Gesellschaft, die unmenschlichen Verbrechen des Nationalsozialismus niemals in Vergessenheit geraten zu lassen und alles Erdenkliche zu tun, dass sich dieses Unrecht nicht wiederholt. Bildung ist aus unserer Sicht ein, wenn nicht der entscheidende Baustein gegen das Vergessen.“
Bayerns Antisemitismusbeauftragter, der ehemalige Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) spricht sich für Besuche von Schülerinnen und Schülern in KZ-Gedenkstätten, NS-Dokumentationszentren und die Begegnung mit Zeitzeugen aus. Dies sei «die wirkungsvollste Möglichkeit, um jungen Leuten auch 2022 die menschenverachtende Verfolgung und fabrikmäßige Ermordung von Jüdinnen und Juden, von Sinti und Roma vor Augen zu führen», meint er.
Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, betont, dass Menschenrechte und humanistische Wertorientierungen heute zunehmend in Bedrängnis kämen. «Menschen, die hierfür eintreten, werden bedroht und eingeschüchtert. Das bedeutet für uns Pädagogen Alarmstufe Rot», sagt Fleischmann. Die Erinnerung an die systematischen Verbrechen der Nazis bleibe wichtiger Teil des Bildungsauftrags der Schulen.
„Wir waren schockiert, als wir die Slogans gesehen haben und die Bilder von Menschen, die den Davidstern tragen“
Die Generalkonsulin des Staates Israel in München, Carmela Shamir, ist bestürzt angesichts antisemitischer Auswüchse auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. «Wir waren schockiert, als wir die Slogans gesehen haben und die Bilder von Menschen, die den Davidstern tragen», sagt Shamir bei ihrem Antrittsbesuch im baden-württembergischen Innenministerium in Stuttgart. «Das Ausmaß hat uns erschüttert.» Shamir ist als Israels Konsulin für Süddeutschland zuständig.
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, mahnt unterdessen ein deutliches Eintreten gegen das Vergessen an. «Es gibt zwar viele, die für dieses Erinnern offen sind und es pflegen wollen», sagt Knobloch laut «Passauer Neuer Presse». «Ich sehe aber auch einen wachsenden Teil der Bevölkerung, der dieses Erinnern ziemlich harsch ablehnt. Dagegen müsste die Politik noch stärker Position beziehen.»
Knobloch betont mit Blick auf judenfeindliche Hetze bei Corona-Demonstrationen: «Ich hätte gerne, dass die Vertreter von Kirchen, von Vereinen und Vereinigungen in der Gesellschaft sehr viel klarer Flagge gegen Antisemitismus und Rassismus zeigen.» Sie beklagt angesichts der vielen antisemitischen Vorfälle in der Bundesrepublik: «Der Eindruck von wachsendem Juden-Hass hat sich verfestigt.»
Hintergrund: Der 27. Januar ist seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Er wurde von dem verstorbenen Ex-Bundespräsidenten Roman Herzog als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ ins Leben gerufen. Das Datum des Jahrestages erinnert an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 sowie der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Vereinten Nationen haben den 27. Januar im Jahr 2005 zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ erklärt. News4teachers
GEW und VBE: Für Holocaust-Gedenken und Demokratiebildung haben Schulen zu wenig Zeit