GEW und VBE: „Der Relativierung des Holocaust entschieden entgegentreten!“

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BERLIN. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnen zum heutigen „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“, die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach zu halten und aus dieser Zeit zu lernen. Der ehemalige bayerische Kultusminister Spaenle ruft zu Besuchen von Schülerinnen und Schülern in KZ-Gedenkstätten und NS-Dokumentationszentren auf.

In Auschwitz wurden zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen ermordet. Foto: Shutterstock

Mit großer Sorge sehen die beiden Bildungsgewerkschaften, dass antisemitische Verschwörungstheorien erstarken und sich zunehmend verbreiten. Die Corona-Proteste offenbarten ein erschreckend hohes Maß an Geschichtsvergessenheit und -verharmlosung, wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich mit Opfern und Verfolgten des Nationalsozialismus gleichsetzen oder sich zu Widerstandskämpfern gegen eine Diktatur erklären. Ähnliche äußern sich die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sowie die Generalkonsulin des Staates Israel in München, Carmela Shamir.

Die GEW und der VBE begrüßten die Resolution gegen das Leugnen und Trivialisieren des Holocaust, die die UN-Generalversammlung am 21. Januar verabschiedet hat. In dem Papier werden die Staaten aufgefordert, Bildung, Forschung und Erinnerung an den Holocaust zu fördern. In den sozialen Netzwerken sollen Antisemitismus und das Leugnen und Verzerren des Holocaust bekämpft werden.

„Die UN-Resolution sendet eine klare und wichtige Botschaft. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus‘ relativiert oder geleugnet und das unermessliche Leid sowie die Ermordung von Millionen Menschen verharmlost werden. Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Pädagoginnen und Pädagogen sehen es als unsere Aufgabe an, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, Aufklärungsarbeit zu leisten und Verschwörungstheorien in den Bildungseinrichtungen und der Gesellschaft entschieden entgegenzutreten“, betont die GEW-Vorsitzende Maike Finnern.

„Bildung ist aus unserer Sicht ein, wenn nicht der entscheidende Baustein gegen das Vergessen“

Der VBE Bundesvorsitzende Udo Beckmann macht deutlich: „Nach wie vor nehmen wir ein weiteres Erstarken antidemokratischer Kräfte im rechten politischen Spektrum wahr. Sogenannte Querdenker und Reichsbürger bedienen sich einer immer diffuseren Rhetorik und versuchen, alte Ressentiments im neuen Gewand wieder aufleben zu lassen. Dass das Stereotyp vom brunnenvergiftenden Juden auch 77 Jahre nach dem Ende der Shoah noch nicht aus den Köpfen verschwunden ist, sondern eher zu erstarken scheint, ist ein unhaltbarer Zustand. Es ist die Pflicht einer jeden demokratischen Gesellschaft, die unmenschlichen Verbrechen des Nationalsozialismus niemals in Vergessenheit geraten zu lassen und alles Erdenkliche zu tun, dass sich dieses Unrecht nicht wiederholt. Bildung ist aus unserer Sicht ein, wenn nicht der entscheidende Baustein gegen das Vergessen.“

Bayerns Antisemitismusbeauftragter, der ehemalige Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) spricht sich für Besuche von Schülerinnen und Schülern in KZ-Gedenkstätten, NS-Dokumentationszentren und die Begegnung mit Zeitzeugen aus. Dies sei «die wirkungsvollste Möglichkeit, um jungen Leuten auch 2022 die menschenverachtende Verfolgung und fabrikmäßige Ermordung von Jüdinnen und Juden, von Sinti und Roma vor Augen zu führen», meint er.

Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, betont, dass Menschenrechte und humanistische Wertorientierungen heute zunehmend in Bedrängnis kämen. «Menschen, die hierfür eintreten, werden bedroht und eingeschüchtert. Das bedeutet für uns Pädagogen Alarmstufe Rot», sagt Fleischmann. Die Erinnerung an die systematischen Verbrechen der Nazis bleibe wichtiger Teil des Bildungsauftrags der Schulen.

„Wir waren schockiert, als wir die Slogans gesehen haben und die Bilder von Menschen, die den Davidstern tragen“

Die Generalkonsulin des Staates Israel in München, Carmela Shamir, ist bestürzt angesichts antisemitischer Auswüchse auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. «Wir waren schockiert, als wir die Slogans gesehen haben und die Bilder von Menschen, die den Davidstern tragen», sagt Shamir bei ihrem Antrittsbesuch im baden-württembergischen Innenministerium in Stuttgart. «Das Ausmaß hat uns erschüttert.» Shamir ist als Israels Konsulin für Süddeutschland zuständig.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, mahnt unterdessen ein deutliches Eintreten gegen das Vergessen an. «Es gibt zwar viele, die für dieses Erinnern offen sind und es pflegen wollen», sagt Knobloch laut «Passauer Neuer Presse». «Ich sehe aber auch einen wachsenden Teil der Bevölkerung, der dieses Erinnern ziemlich harsch ablehnt. Dagegen müsste die Politik noch stärker Position beziehen.»

Knobloch betont mit Blick auf judenfeindliche Hetze bei Corona-Demonstrationen: «Ich hätte gerne, dass die Vertreter von Kirchen, von Vereinen und Vereinigungen in der Gesellschaft sehr viel klarer Flagge gegen Antisemitismus und Rassismus zeigen.» Sie beklagt angesichts der vielen antisemitischen Vorfälle in der Bundesrepublik: «Der Eindruck von wachsendem Juden-Hass hat sich verfestigt.»

Hintergrund: Der 27. Januar ist seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Er wurde von dem verstorbenen Ex-Bundespräsidenten Roman Herzog als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ ins Leben gerufen. Das Datum des Jahrestages erinnert an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 sowie der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Vereinten Nationen haben den 27. Januar im Jahr 2005 zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ erklärt. News4teachers

GEW und VBE: Für Holocaust-Gedenken und Demokratiebildung haben Schulen zu wenig Zeit

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Leon
2 Jahre zuvor

Nennen Sie doch mal Ross und Reiter, wer für Antisemitismus in dieser Gesellschaft verantwortlich ist. Und nicht nur wieder den Blick nach ganz rechtsaussen. Das Problem sitzt auch millionenfach in den Klassenzimmern und bekommt es zu Hause eingetrichtert. Es ist leider und schwerpunktmässig auch ein kulturell importiertes Problem.

HerrWirfHirnVomHimmel
2 Jahre zuvor
Antwortet  Leon

Das ist wirklich atemberaubend, dass ich sowas hier lesen muss. Schämst du dich überhaupt nicht Leon? Widerlich!

Georg
2 Jahre zuvor

Haben Sie denn konkrete Vorschläge, die das Gedenken an den Holocaust fördern können? Auf eine Wiederholung habe ich keine Lust, sehe aber ähnliche Tendenzen zu vor 100 Jahren. Es fehlt aktuell aber zum Glück noch ein charismatischer Redner am rechten Ende. Eine immer weiter nach links kippende mediale Öffentlichkeit und zunehmende Proteste dagegen haben wir bereits.

Indra Rupp
2 Jahre zuvor

Der 27.1. ist der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, also nicht nur für
-> die Holocaust-Opfer
sondern auch für
-> die Opfer von Rassismus
-> die Opfer des Paragraphen 175
-> die „Euthanasie“ – Opfer

DerechteNorden
2 Jahre zuvor

Mir fehlen wirklich die Worte, wenn ich sowas lese. Ich kann es nicht verstehen, denn es geht um menschliche Schicksale, darum, dass Menschen vernichtet wurden, weil sie irgendwie anders waren. Anders sein ist für viele immer noch gefährlich. Sogar in Deutschland. Und weil es Kräfte gibt, die das befeuern, um Ressentiments für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, ist der Bezug sehr einfach herzustellen. Was fehlt Ihnen?

Ogg
2 Jahre zuvor

Ich kann Ihnen „ Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“ von Hans Rosling sehr empfehlen, falls Sie es noch nicht gelesen haben sollen. Da zeigt es sich deutlich, dass es der Menschheit doch nicht so schlecht geht, wie man seit Jahren annimmt. Und der Verfasser spricht von der gesamten Welt, nicht nur von Europa. Es gibt zwar immer wieder Rückschläge, aber es geht deutlich bergauf.
Denn – weit davon entfernt hier online-Diagnosen zu stellen – Sie klingeln gerade so, als wären Sie kurz vom Burnout.

P. S. Ich habe einen persönlichen Bezug zum Holocaust. Ich wünsche es keinem. Man füllt sich gleichermaßen bedroht und als Fossil in einem Museum ausgestellt.

Ogg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Ogg

War eigentlich als eine Antwort auf einen Kommentar gemeint, der jetzt nicht mehr sichtbar ist. Ist nun etwas komisch zu lesen, so ohne Bezug.

Mehrzeller
2 Jahre zuvor

…und haben Sie damit den Holocaust relativiert? In Relation setzen zu 10 Kindern pro Sekunde, tun Sie das, wenn Sie die als „Hintergrund“ wählen? Ziemlich unpassend unter diesem Artikel.
Streichen Sie „ziemlich „.
Absolut.

Von der Familie meines Großvaters haben 17 Angehörige den Holocaust nicht überlebt, wurden in verschiedenen Konzentrationslagern ermordet. Er selbst schaffte es, rechtzeitig nach England zu emigrieren und kam nach dem Krieg nach in seine Heimat zurück.
Wenn ich die Radiobeiträge am 27.1. jedes Jahr höre, steigt in mir das Bild auf, wie ich mit einer Schulklasse eine KZ-Gedenkstätte besuchen würde, aber am Eingang einfach abgrundtief traurig und weinend auf die Knie fallen würde, für ich weiß nicht wie lange.

Lehrer mit Seele
2 Jahre zuvor

Wenn es um das Thema Holocaust geht, muss man aus den Grenzen des 3. Reichs raus.

Es bringt wenig die Bilder der Gaskammern zu sehen, wenn man die Hintergründe nicht selbst erlebt hat. Und während wir Lehrenden evtl noch den Verständnisvorteil hatten Großeltern zu haben die in einem gewissen Maße das drum rum erzählt haben

– Mutter mit dem Ohr am Radio und Kissen darüber, die den deutschen Überseefunk gehört hat, in der irrigen Hoffnung so zu erfahren, dass die eigenen Kinder noch leben
– der Lieblings Lehrer, der vom besten Freund verraten wurde
– der Vater, der die pubertäre Tochter, die ihren Mund nicht halten konnte, mit 14 gerade noch rechtzeitig aus der Schule nahm und sie zum Kriegsdienst auf den Bauernhof brachte, weil er gewarnt wurde (2 Tage später kam der Einberufungsbefehl als Krankenschwester an die Ostfront)

fehlt dieser Kontext den Kindern heute genauso wie bei der Berliner Mauer.

Ich will hier auf gar keinen Fall den Holocaust schmälern. Aber wenn wir es unterrichten geht es nicht um böse Nazis und arme Juden.

Ich unterrichtet immer unter dem Thema:
Da die Menschen böse sind

Dazu zählt auch
-Mord an Hunderttausenden indigenen Kindern weltweit
– institutioneller und anderweitig gedeckter Missbrauch
– Misshandlungen in Erholungsheimen und anderen „sicheren“ Einrichtungen bis heute in
– der Umfang mit Gewaltopfern bis heute (Therapie für Täter – blanker Hohn für Opfer)

Es geht darum klar zu machen, dass es immer wieder passiert und passieren wird, wenn Menschen in Machtpositionen Menschen ohne Lobby gegenüber stehen.

Wer das nicht vermittelt, kann sich jede Betroffenheit sparen.

Indra Rupp
2 Jahre zuvor
Antwortet  Lehrer mit Seele

Sehr guter Kommentar!

Lehrer mit Seele
2 Jahre zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Danke.
Eine persönliche Anmerkung noch:

Viele, die sich hier und heutzutage mit Sophie Scholl und Anne Frank vergleichen, zeigen nicht nur, dass Sie die Geschichte nicht verstanden haben, sondern auch eine unglaubliche Arroganz einem jedem wahrlichen Opfer gegenüber.

Eine derartig narzisstische Selbstdarstellung tut einfach nur noch weh.

Das ist ungefähr So, als würde man jahrelangen Missbrauch mit einem unerfüllten Wunsch nach Marken Kleidung gleichsetzen

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Lehrer mit Seele

Sie schrieben sehr wahre Worte, weil Sie die Opferpyramide und die Haltungsform sehr deutlich widerspiegeln.

AusderPraxis
2 Jahre zuvor
Antwortet  Lehrer mit Seele

Vielen Dank, Lehrer mit Seele!
Es wird viel zu viel und viel zu schnell relativiert, was weder den (alleingelassenen) Opfern noch den (leider oftmals gepamperten) Tätern gerecht wird!

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  AusderPraxis

Es wird nicht nur relativiert. Viel schlimmer finde ich, dass diverse andere, vor wenigen Jahren noch als völlig harmlos oder belanglos geltende Dinge von einer Twitterblase zur x-extremen, x-istischen oder x-phoben Katastrophe hochgetweetet werden. Das gilt für alle Richtungen des politischen Spektrums.