Website-Icon News4teachers

Das Schweigen der Eltern: Warum so viele die Durchseuchung der Kitas und Schulen scheinbar widerspruchslos hinnehmen

BERLIN. Durch die Kitas und Schulen rollt die Omikron-Welle fast ungebremst – aber die Politik scheint sich dafür nicht zu interessieren. Der Bund-Länder-Gipfel vergangene Woche hat kein Wort über die aktuelle Lage in den Bildungseinrichtungen verloren, ohne dass sich dagegen ein nennenswerter Widerstand regen würde. Wie kann es sein, dass Eltern die Durchseuchung ihrer Kinder scheinbar widerspruchslos hinnehmen? Zwei aktuelle Umfragen lassen eine Mischung aus Wut und Resignation bei vielen Müttern und Vätern erkennen.

Viele Eltern betrachten die Situation in den Kitas und Schulen mit großer Sorge. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Ende Januar hat die Berliner Bildungsverwaltung die Präsenzpflicht an Schulen temporär bis zum 28. Februar ausgesetzt. Unlängst wurde erhoben, wie viele Eltern beziehungsweise Schülerinnen und Schüler tatsächlich von der Freiheit, zu Hause bleiben zu können, Gebrauch machen. Die Ergebnisse: Demnach nahmen an allen öffentlichen allgemeinbildenden und beruflichen Schulen insgesamt 95,31 Prozent der Schülerinnen und Schüler am Präsenzunterricht teil – und an den allgemeinbildenden öffentlichen Schulen waren es sogar 96, 73 Prozent aller Schülerinnen und Schüler.

Das bedeutet: Lediglich 4,69 Prozent der Schülerinnen und Schüler machen von der Aussetzung der Präsenzpflicht Gebrauch, an den allgemeinbildenden öffentlichen Schulen sind es sogar nur 3,27 Prozent. Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) meint: „Es ist gut, dass die allermeisten Schülerinnen und Schüler weiter am Präsenzunterricht teilnehmen. Der unmittelbare persönliche Bezug zur Lehrkraft und zu den Mitschülerinnen und Mitschülern im Präsenzunterricht ist durch nichts zu ersetzen.“ Das Infektionsrisiko, dem die Schülerinnen und Schüler in der Schule ausgesetzt sind – zeitweilig war die Kinder-Inzidenz in Berlin auf knapp 4.000 angestiegen –, erwähnt sie nicht.

Anzeige

Wieso laufen Eltern gegen die laufende Durchseuchung der Kinder in Deutschland nicht Sturm?

Wie ist es möglich, dass Eltern ihre Kinder freiwillig in den Massenbetrieb Schule schicken, obwohl sie sich dort mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Virus infizieren, das in Einzelfällen auch bei jungen Menschen schwere Erkrankungen hervorruft – und das zudem im Verdacht steht, langfristige Schäden zu verursachen? Warum lassen Eltern es der Politik durchgehen, Kinder in einer Pandemie weitgehend schutzlos in vollbesetzte Schulbusse und Klassenräume zu pferchen, um so Ansteckungsquoten unter Schülerinnen und Schüler auf regional bis zu zehn Prozent zu treiben – in nur einer Woche? Kurz: Wieso laufen Eltern gegen die laufende Durchseuchung der Kinder in Deutschland nicht Sturm?

Aktuelle Umfrage-Ergebnisse lassen erkennen, dass Eltern die aktuelle Situation durchaus mit großen Sorgen betrachten. Viele sind wütend – und durchaus unzufrieden mit Politikern, die die Schüler und ihre Familien im Stich lassen. Viele resignieren allerdings auch vor einer Situation, in der eine Ansteckung fast unausweichlich erscheint und in der politisch wenig zu erreichen ist. Schließlich tritt keine einzige der Regierungsparteien in den Bundesländern – von der Linken bis zur CDU – für umfassenden Corona-Schutz in Kitas und Schulen ein.

Wie wenig zufrieden Eltern damit sind, macht eine aktuelle Erhebung in Nordrhein-Westfalen deutlich. Drei Monate vor der Landtagswahl dort ist die Unzufriedenheit mit der Schulpolitik in NRW groß. Drei Viertel der Menschen im größten deutschen Bundesland sind derzeit weniger oder gar nicht mit der Corona-Politik von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) zufrieden. Das geht aus der Umfrage „NRW-Check“ hervor, die das Institut Forsa im Auftrag der „Westdeutschen Zeitung“ sowie 38 weiterer Zeitungstitel im Land erhoben hat.

Bei der Anhängerschaft von SPD und Grünen sind es demnach sogar jeweils über 80 Prozent, nur die CDU-Anhängerschaft ist mit rund einem Drittel Zustimmung eher zufrieden. In Großstädten ist der Frust besonders groß: 43 Prozent der Menschen in Städten mit 500.000 Einwohnern und mehr sind sehr unzufrieden mit Gebauers Krisen-Management. In Kleinstädten liegt dieser Wert bei 32 Prozent. Bei einer entscheidenden Frage zur Krisenpolitik des Landes sind sich die Befragten selbst uneinig. 41 Prozent glauben, dass man im Fall steigender Infektionszahlen auch wieder die Schulen schließen und Fern- bzw. Wechselunterricht einführen sollte. 50 Prozent sind dagegen, neun Prozent machen keine Angaben. Deutlich gegen Schulschließungen spricht sich lediglich die Gruppe der Arbeiter (61 Prozent) und der FDP-Wählerinnen und -Wähler aus (59 Prozent).

“Kind-krank-Tage könnte ich nur nehmen, wenn die Einrichtung schließt oder das Kind wirklich krank ist”

Was die Eltern beschäftigt, das macht eine qualitative Umfrage der „Zeit“ unter Vätern und Müttern deutlich, die (statt Daten zu erheben) Stimmungsberichte eingesammelt hat. Darin wird deutlich, dass viele Eltern praktisch gar keine Wahl haben, als ihr Kind zur Betreuung in eine Bildungseinrichtung zu schicken, auch wenn in einzelnen Bundesländern – wie in Berlin – keine Präsenzpflicht besteht. „Als Mutter eines Kitakindes muss ich mich zwar nicht an die Schulpflicht halten, aber trotzdem kann ich in der aktuellen Situation mein Kind nicht einfach zu Hause behalten. Kind-krank-Tage könnte ich nur nehmen, wenn die Einrichtung schließt oder das Kind wirklich krank ist. Ansonsten bleibt mir nur unbezahlter Sonderurlaub und das kann ich mir nicht leisten. Meine Freiheit besteht also derzeit darin, zu entscheiden, ob ich weiterhin für unsere Miete und das Essen auf dem Tisch sorgen will oder das Kind vor einer relativ sicher stattfindenden Infektion bewahren will“, so schreibt eine Mutter.

„Ich schicke meine Kinder in die Schule, da sie sonst vom Unterricht nichts mitbekommen, denn die Digitalisierung des Unterrichts funktioniert hier schlicht und ergreifend nicht. Aber ich würde sie lieber zu Hause lassen“, so meint ein Vater. „Als in Berlin die Präsenzpflicht aufgehoben wurde, hat man die Verantwortung einfach an die Eltern abgeschoben. Jetzt haben wir die Wahl, aber eigentlich haben wir sie – zumindest in meinem Fall – nicht. Mein Arbeitgeber will, dass wir möglichst oft anwesend sind, oft werden Präsenztermine auch erst am Tag vorher angesetzt. Vielleicht liegt es daran, dass die Führungsebene keine jungen Kinder (mehr) hat. So kann ich meine Tochter nicht beim Homeschooling betreuen“, so berichtet eine Mutter.

Eine weitere Mutter äußert verzweifelt: „Uns wird nicht die Wahl gelassen, ob wir unsere Kinder in das immense Infektionsrisiko in den Schulen schicken. Dort, wo die Präsenzpflicht aufgehoben ist, fehlt entsprechende Beschulung! Es wurde fast nichts dafür getan, um Schulen pandemiesicher zu gestalten. Nun sitzen die Kinder im zweiten Jahr in unterkühlten Räumen, oft ohne passende FFP2-Masken, und riskieren täglich eine Infektion – obwohl Wissenschaftler:innen insbesondere vor kaum abschätzbaren Langzeitfolgen warnen.“

Dass die Wut über die untätige Politik durchaus Folgen für die Regierenden haben kann, zeigt die Umfrage der NRW-Zeitungen auf: Fast zwei Drittel der Befragten erklären, dass Schule und Schulpolitik bei der Landtagswahl am 15. Mai sehr wichtig oder wichtig seien. Heißt: Die Regierenden müssen den Zorn der Eltern durchaus fürchten. News4teachers

Corona und die Folgen: Wenn das eigene Kind plötzlich lebensgefährlich erkrankt – eine Familie berichtet

 

Die mobile Version verlassen