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Scheinheilig! KMK-Präsidentin bietet Schülerinitiative #WirWerdenLaut Gespräche an – um sie auf Twitter zu verleumden

BERLIN. Die Schüler-Initiative #WirWerdenLaut sorgt weiter für Wirbel. Innerhalb von nur wenigen Tagen haben über 110.000 Menschen die Petition gegen die Durchseuchung der Schulen unterschrieben, darunter zahlreiche Mediziner und Wissenschaftler. Elterninitiativen solidarisieren sich. KMK-Präsidentin Karin Prien hatte den Kindern und Jugendlichen – als absehbar wurde, dass die Aktion große Aufmerksamkeit finden würde – ein Gesprächsangebot gemacht. Eine Twitter-Nachricht der CDU-Politikerin mit einem verleumderischen Zitat weckt allerdings Zweifel, ob das ernst gemeint ist.

Lädt “persönlich gerne” ein – um die Eingeladenen kurz darauf per Retweet zu verleumden: KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU). Foto: Frank Peter / Land Schleswig-Holstein

„Wir Kinder und Jugendliche erdulden die Pandemie und die mit ihr einhergehenden Einschränkungen seit fast zwei Jahren. Wir halten uns gewissenhaft an die auferlegten Maßnahmen, um uns und andere zu schützen. Doch die Situation an unseren Schulen ist unerträglich geworden“, so heißt es in der Petition #WirWerdenLaut, die von mehr als 100 Schülervertretungen aus ganz Deutschland getragen wird.

Weiter schreiben die Initiatoren: „Wir haben unsere Belastungsgrenze erreicht. (…) Wir Schüler:innen, wie auch viele Eltern, Lehrkräfte und Wissenschaftler:innen, haben immer wieder besseren Infektionsschutz an Schulen verlangt. Forderungen wie die flächendeckende Ausstattung mit Luftfiltern, die Aussetzung der Präsenzpflicht und der angemessene Ausbau digitaler Lern- und Lehrmittel an Schulen wurden und werden wiederholt zu großen Teilen ignoriert und bisherige Lösungsansätze und Förderprogramme waren nicht ausreichend. Wir müssen davon ausgehen, dass diese fünfte Welle nicht die letzte sein wird. Dennoch fehlt weiterhin ein klares politisches Signal, dass für den Herbst 2022 und die Zeit danach Vorbereitungen getroffen werden.“

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Konkret fordern die Schülerinnen und Schüler unter anderem: eine Umsetzung der von 27 Fachgesellschaften unter Regie des Bundesbildungsministeriums entwickelten S3-Leitlinie für den Schulbetrieb, Luftfilter für Klassen-, Fach- und Sanitärräume in allen Schulen, kostenlose FFP2-Masken, Reduktion der Größe von Lerngruppen, mehr Angebote für die Notbetreuung, angemessene Quarantänemaßnahmen zur Vorbeugung von weiteren Infektionen, PCR-Pooltestungen sowie hochwertige Schnelltests an allen Schulen sowie ein Aussetzen der Präsenzpflicht.

“Junge Angst- und Staatsstreber, die ihre Passiv-Aggression ausleben gegen die freiheitsliebende Mehrheit der Jugendlichen”

Die enorme Resonanz innerhalb von wenigen Tagen ruft allerdings auch Kritiker auf den Plan, die – ohne sachlich auf die von den Kindern und Jugendlichen gestellten und ausführlich begründeten Forderungen eingehen – der Bewegung ideologische Motive vorwerfen. Das geht bis hin zu Beleidigungen. So schreibt der „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt auf Twitter von „jungen angst- und staatsstrebern, die unter dem #wirsindlaut ihre passiv-aggression ausleben gegen die freiheitsliebende mehrheit der jugendlichen (ihr rolemodel: die klimaapokalyptiker)“. (Rechtschreibung im Original.)

Prof. Jonas Schmidt-Chanasit, einer der wenigen Virologen in Deutschland, der seit Beginn der Pandemie für nur lockere Schutzmaßnahmen eintritt, zieht via Twitter die Unabhängigkeit der Schülerinitiative in Zweifel. Er zitiert den Blogger und Journalisten Jan-Martin Wiarda, der den Schülerinnen und Schülern in einem Beitrag ideologische Motive vorwirft, ohne auf ihre Argumente einzugehen. „Der auf die Hygienemaßnahmen bezogene Teil des Schüler-Forderungskatalogs erinnert auffällig stark an ähnliche Plädoyers führender Vertreter der vor genau einem Jahr veröffentlichte #NoCovid Strategie“, behauptet Wiarda in dem vom Schmidt-Chanasit weitergereichten Zitat – ohne Belege für seine These zu liefern.

In seinem dazugehörigen Blog-Beitrag fragt Wiarda suggestiv mit Blick auf die Schülerinitiative: „Wer redet da eigentlich?“ Und er schreibt: „Ein Offener Brief von über 100 Schülervertretern macht Furore. Sie fordern stärkere Hygienemaßnahmen in den Schulen und kritisieren, dass die Politik ihnen nicht zuhöre. So öffentlichkeitswirksam die Aktion ist, inhaltlich sind die verbreiteten Narrative zum Teil wenig überzeugend – und kommen einem bekannt vor.“ Weiter behauptet er: „Zum Glück berichten viele Kinder- und Jugendärzte, dass sie trotz der hohen Inzidenzen keine Vermehrung der schweren Covid19-Krankheitsverläufe unter Kindern und Jugendlichen sehen. Vielleicht sollten die Schülervertreter mit denen auch mal häufiger reden“ – ungeachtet der Tatsache, dass die Kernforderung der Schüler, die Leitline S3 für den Schulbetrieb einzuhalten, auch von Kinderärzteverbänden geteilt wird, wie News4teachers berichtet.

Vielleicht sollte Wiarda mal mit Wissenschaftlern und Medizinern sprechen, die tatsächlich auf Reha-Stationen mit jungen Long Covid-Patienten zu tun haben und vor noch gar nicht absehbaren Langzeitfolgen von Omikron-Infektionen warnen – wie Prof. Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für Neuartige Viruserkrankungen in der Abteilung für medizinische Fachgebiete an den Universitätskliniken in Genf, wo sie die Rolle der Kinder bei der Übertragung von Corona erforscht. Sie schreibt auf Twitter mit Blick auf den Durchseuchungskurs der Kultusminister von einer „Wette mit 2 falschen Annahmen. 1. Corona sei nicht gefährlich für Kinder (longcovid, pims, Typ 1 Diabetes) 2. Nach Ansteckung besteht eine dauerhafte Immunität. Fazit: ohne ausreichende Impfquote der Kinder ist dies eine unethische Sauerei.“

„Erschreckend, dass man jungen Menschen, die das fordern, was Konsens in der Wissenschaft ist, das Anrecht auf Bildung & Gesundheit kleinredet”

Eckerle solidarisiert sich mit #WirWerdenLaut. „Wie geht es eigentlich zusammen, dass man sich einerseits für die psychische Belastung von Kindern in der Pandemie einsetzt & dann Jugendliche, die sich für ihre sichere Bildung einsetzten, öffentlich diffamiert?“, so fragt sie in Richtung Schmidt-Chanasit und betont: „Erschreckend, dass man jungen Menschen, die genau das fordern, was seit langem auch Konsens in der Wissenschaft ist, das Anrecht auf Bildung & Gesundheit kleinredet. Die am Anfang der Pandemie so oft geforderte Solidarität sollte aber in beide Richtungen gehen.“

Karin Prien (CDU), Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und Präsidentin der Kultusministerkonferenz, hatte – unmittelbar nachdem absehbar war, dass die Petition große Resonanz erzielen würde – den beteiligten Schülerinnen und Schülern ein Gesprächsangebot gemacht. Sie „lade persönlich dazu gerne ein.“ Prien bot „volle Transparenz“ und einen Livestream des Gesprächs an, „damit alle zuschauen können“.

Mehr noch, die Kultusministerkonferenz postete ein gestaltetes Bild der CDU-Politikerin mit dem Zitat: „Das Anliegen der Schülerinnen und Schüler ist nachvollziehbar und richtig. Die Belange von Kindern und Jugendlichen standen in dieser Pandemie zu wenig im Fokus.“ Glaubwürdig wirkt das nicht. Denn: Kurz zuvor hatte Prien in ihrem eigenen Account unkommentiert die Posts von Schmidt-Chanasit und Wiarda retweetet – und sich damit deren Polemik zu eigen gemacht. News4teachers

Hier geht es zu der Petition.

Rekordzahlen bei Ausbrüchen in Kitas und Schulen, kranken Schülern, Todesfällen: Deutschland durchseucht seine Kinder

 

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