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Flüchtlingskinder: Philologen rechnen Kultusministerin vor, wie viele Lehrkräfte einzustellen sind

STUTTGART. Angesicht des Kriegs in der Ukraine und der wachsenden Flüchtlingszahlen auch in Baden-Württemberg ruft der Philologenverband Baden-Württemberg die Landesregierung und das Kultusministerium auf, es nicht bei Solidaritätsbekundungen zu belassen, sondern sofort die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen – damit die ankommenden ukrainischen Kinder möglichst schnell und problemlos in Schulen und Kindergärten aufgenommen werden können.

“Stellen Sie einen Nachtragshaushalt auf”: Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper ist gefordert. Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg.

Die momentanen Überlegungen des Kultusministeriums, ukrainische Lehrkräfte für die Erst-Beschulung der Flüchtlingskinder zu gewinnen, seien kurzfristig sinnvoll. „Klar ist aber bereits jetzt: Alle schulpflichtigen Flüchtlingskinder sind eine reguläre Beschulung gewöhnt. Deshalb kann das Deutsch-Lernen in Flüchtlings-Klassen sehr intensiv gestaltet werden. Ziel sollte es deswegen sein, dass ab Beginn des neuen Schuljahres im September bereits möglichst viele der ukrainischen Kinder bei uns den normalen Unterricht besuchen können. Dies wäre auch im Hinblick auf eine gelingende Integration der Kinder und Jugendlichen in Deutschland wichtig. Spätestens im übernächsten Schuljahr sollten dann alle ukrainischen Kinder am normalen Unterricht teilnehmen können“, so heißt es in einer Pressemitteilung.

Konkret fordert der Verband von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne):

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Der Einsatz von ukrainischen Lehrkräften, die ja selbst zum großen Teil erst Deutsch lernen müssten, sei nur bedingt hilfreich: „Aufgrund des leichteren und schnelleren Spracherwerbs von Kindern ist davon auszugehen, dass die Kinder schneller und nach einem Jahr deutlich besser Deutsch sprechen werden als die erwachsenen Flüchtlinge“, so meinen die Philologen.

Und sie betonen: „In jedem Fall müssten für die Einstellung neuer Lehrkräfte entsprechend der zusätzlichen Schülerzahl mindestens 3000 bis 4000 zusätzliche, befristete Lehrerstellen geschaffen werden — egal, ob es sich dabei um ukrainische Lehrkräfte als erste Notmaßnahme oder spätestens ab dem nächsten Schuljahr auch um zusätzliche deutsche Lehrkräfte handelt. Dies muss schnellstmöglich, und das heißt: im Rahmen eines Nachtragshaushalts, geschehen, sobald die Zahl der in Baden-Württemberg ankommenden ukrainischen Kinder grob abzuschätzen ist. Diese Lehrerstellen müssen dann natürlich auch im Rahmen des Doppelhaushalts 2023/24 weiterhin befristet eingeplant werden.“

Ein wichtiges Ziel bestehe in jedem Fall darin, möglichst viele der benötigten neuen Stellen auch mit ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen. Deswegen müssen diese Stellen spätestens im Juni bereitstehen, wenn das reguläre Einstellungsverfahren stattfindet. Das Kultusministerium wäre zudem gut beraten, weitere 5000 bis 10.000 der bereits im Schuldienst befindlichen Lehrkräfte zusätzlich für Deutsch als Fremdsprache fortzubilden.

„Aufgrund der seit der Flüchtlingskrise 2015/16 etablierten Strukturen und des seitdem vorhandenen Wissens- und Erfahrungsschatzes sollten wir alle – Politik, Verwaltung und Bürger — die jetzige Situation gut und erfolgreich meistern können“, meinen die Philologen.

Überschlagsrechnung

Die Philologen haben eine Überschlagsrechnung zu den erwarteten schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine und zu den dafür benötigten Lehrkräften vorgelegt, um den Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften zu ermitteln.

“Bislang sind ca. 2,2 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten der Ukraine angekommen, weitere ca. 1,9 Millionen sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Es ist zu erwarten, dass fast alle diese Menschen in die EU flüchten werden.

Zu Beginn des Krieges sprach UNHCR von zu erwartenden 7 Millionen Flüchtlingen. Bisher sind knapp die Hälfte aller Flüchtlinge Kinder — in Begleitung der Mütter oder allein.Es ist somit davon ausgehen, dass mindestens zwei bis drei Millionen ukrainische Kinder in der EU mit ihren Müttern oder allein(!) unterzubringen und in Schulen und Kindergärten aufzunehmen sind.

Wie sich die Flüchtlingsströme innerhalb der EU verteilen werden, ist bislang völlig unklar. Geht man von einer Verteilung in etwa entsprechend der Bevölkerung der EU-Mitgliedsstaaten aus, dann würde Deutschland etwa ein Fünftel aller Flüchtenden aufnehmen. D. h. wir sprechen dann von mindestens einer Million Flüchtlinge oder rund 500.000 Kindern. Nach dem Königsteiner Schlüssel entfallen davon 13 Prozent oder 65.000 Kinder auf Baden-Württemberg.

Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Kinder halbwegs gleichmäßig auf die Altersjahrgänge von null bis 17 verteilen, dann wären das etwa 3500 Kinder pro Altersjahrgang.

Unsere normalen Altersjahrgänge umfassen ca. 100.000 bis 110.000 Kinder pro Jahrgang. (Bei den 0-5-Jährigen ca. 107.000 – 110.000; bei den Sechsjährigen und 15-Jährigen 104.000, bei den 16- und 17-Jährigen 106.000 und bei den Acht- bis 14-Jährigen ca. 99.000 bis 103.000.)

Für rund 45.000 Kinder im schulpflichtigen Alter (6 bis 17) benötigt man mindestens 4000 zusätzliche Lehrkräfte.”

Lehrerverbände: Lasst die Flüchtlingskinder in diesem Schuljahr erst mal ankommen

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