BERLIN. Privatschulen haben den Ruf, elitär zu sein. Dabei besuchen keineswegs nur Kinder und Jugendliche aus begüterten Familien Bildungseinrichtungen, für die eine Gebühr aufzubringen ist, die schon mal gut und gerne 15.000 Euro im Jahr betragen kann. Was nicht allzu bekannt ist: Viele Schülerinnen und Schüler bekommen ihren Platz an der Privatschule vom Jugendamt bezahlt – aus guten Gründen.
„Zuerst sind es einzelne Schulstunden die geschwänzt werden, darauf folgen Fehltage, die zu Wochen werden – bis irgendwann der Tag kommt, an dem sich ein Schüler entscheidet, gar nicht mehr zur Schule zu gehen“, so heißt es im Blog der Kölner Privatschule.
Die Konsequenz: Rund 50.000 Schülerinnen und Schüler verlassen alljährlich in Deutschland die Schule ohne einen Hauptschulabschluss – mit düsteren Perspektiven. „In Deutschland schwankt die Zahl der frühzeitigen Schul- und Ausbildungsabgänger seit zehn Jahren um rund 10 Prozent, regelmäßig niedrigere Werte erreichen die Nachbarländer Polen, Frankreich und die Niederlande. Ein früher Schulabgang kann zu Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung und Armut führen“, so schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft über das Thema.
„Mit Blick auf die beiden Abschlussjahrgänge droht sich die Zahl der Schulabbrecher zu verdoppeln“
Und das Problem dürfte sich noch durch die Corona-Krise verschärft haben. Die deutschen Jugendämter rechnen wegen der Pandemie mit einer stark steigenden Zahl von Kindern und Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. „Mit Blick auf die beiden Abschlussjahrgänge droht sich die Zahl der Schulabbrecher zu verdoppeln“, sagte Lorenz Bahr, der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, bereits vergangenes Jahr voraus. Diese Entwicklung werde sich durch viele Schichten ziehen. Auch Kinder aus der Mittelschicht würden einen „früheren Karriereknick“ erleben, warnte Bahr.
Die Ursachen für Schulabbruch sind vielfältig – aber durchaus vorhersehbar. „Jeder Schulabbruch hat eine Vorgeschichte“, so heißt es im Blog der Kölner Privatschule. „Die Protagonisten dieser Geschichten sind Schüler-/innen, die sich hilflos und alleingelassen fühlen. Als einzigen Ausweg sehen sie den Schulabbruch, um vor ihren scheinbaren Niederlagen und Problemen zu flüchten. Es ist nicht immer einfach zu ergründen, warum ein/e Schüler-/in sich eines Tages dazu entscheidet, nicht mehr zur Schule zu gehen. Familiäre Probleme wie z.B. eine Trennung oder Streitigkeiten können diese Entscheidung begünstigen. Es kann zu der Angst kommen der Auslöser für die Probleme der Eltern zu sein und dass nichts tun vielleicht besser ist als das Falsche zu tun. Nicht selten kommt es vor, dass Eltern gar nicht bemerken was bei ihren Kindern vorgeht oder sich einfach nicht dafür interessieren. Auch das Gegenteil kann der Fall sein, wenn ein Kind z.B. übereifrige Eltern mit sehr hohen Ansprüchen hat und den ständigen Druck verspürt Leistungen zu erbringen, die ihm unmöglich erscheinen. Das Resultat sind Versagensängste, die manchmal so groß werden, dass das Kind nicht mehr weiß, was es tun soll und deshalb lieber gar nichts mehr tut.“
Und hier kommen nicht selten Privatschulen ins Spiel. Die Jugendämter finanzieren nämlich vielen Kindern und Jugendlichen, die vom Schulabbruch bedroht sind, den Besuch, der zwischen 50 Euro und über 1.000 Euro pro Monat, bei Internaten sogar mehrere Tausend Euro im Monat betragen kann – wohlwissend, dass diese Klientel an staatlichen Schulen nicht immer angemessen gefördert werden kann.
„Die Beschulung in einer Privatschule bzw. einem Internat kann eine Leistung der Eingliederungshilfe sein“
„Es besteht oftmals die Möglichkeit, eine Kostenübernahme bei Privatschulen zu erlangen, falls das Kind auf die private Schule angewiesen ist und man die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme erfüllt. Anfragen, beziehungsweise einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Privatschule werden in den meisten Fällen an das Jugendamt gestellt, welche die Voraussetzungen prüft und Ansprüche geltend machen kann“, so heißt es auf dem Privatschulen-Portal. Statistiken darüber, wie viele Kinder das in Deutschland betrifft (und ob sich der Trend verschärft), gibt es nicht.
Wann sind die Jugendämter denn verpflichtet, die Kosten einer Privatschule oder eines Internats zu übernehmen? „Die Beschulung in einer Privatschule oder einem Internat kann eine Leistung der Eingliederungshilfe sein“, so informiert der Hannoveraner Fachanwalt Peter Koch. „Kinder oder Jugendliche haben unter zwei Voraussetzungen Anspruch auf Eingliederungshilfe:
- Ihre seelische Gesundheit muss mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweichen, und
- daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten sein.
Das Vorliegen oder Drohen der seelischen Behinderung ist durch ein fachärztliches Gutachten nachzuweisen, welches bestimmten, gesetzlich vorgegebenen Anforderungen genügen muss.“ Fälle, bei denen Gerichte Ansprüche anerkannten, betrafen Hochbegabung ebenso wie das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom.
Zwar gilt, so Koch: „Solange staatliche Schulen im Rahmen der Schulpflicht mit eigenen Mitteln, gegebenenfalls ergänzt durch einen Schulhelfer o.ä. den Hilfebedarf ebenfalls decken können, besteht kein Anspruch auf Kostenübernahme für eine Privatschule.“
Andererseits urteilte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen aber bereits 2013: „Der Vorrang des öffentlichen Schulwesens entfällt, wenn die ergänzende Hilfe nach dem SGB VIII nicht ausreicht, um die von der Schule nicht abgedeckte Bedarfslücke rechtlich und tatsächlich zu schließen und die mangelnde Fähigkeit des öffentlichen Schulsystems, allen behinderungsbedingten Defiziten des Hilfe suchenden zu begegnen, nicht ausgleichen kann.“ Im vorliegenden Fall musste das Jugendamt, das den klagenden Schüler an eine Förderschule verwiesen hatte, den Besuch einer Privatschule finanzieren – ein wegweisender Richterspruch, der viele Kindern und Jugendlichen aus weniger begüterten Familien vor einem Schulabbruch bewahrt.
Denn: An Privatschulen können sie meist individueller gefördert werden. „Ganz wichtig: Die Rahmenbedingungen müssen stimmen! Und genau diese unterscheiden sich bei uns von der Regelschule“, so heißt es dazu auf der Seite der Kölner Privatschule.
Heißt konkret: „Der Unterrichtsausfall tendiert praktisch gegen Null. Unsere Klassen sind deutlich kleiner als in Schulen des öffentlichen Systems. Ein Versinken in den hinteren Reihen wird somit unmöglich – bei uns sitzt jeder in den vorderen Reihen. Ein bloßes Herunterbeten von Unterrichtsstoff gibt es bei uns nicht.“ Die Privatschule betont: „So können wir mit Stolz sagen, dass einige unserer Ehemaligen, die auf der Regelschule als ‚hoffnungslose Fälle‘ galten, heute erfolgreich beispielsweise als Wissenschaftler, Ärzte, Marketing-Profis oder Selbstständige arbeiten.“
Für den Staat rechnet sich das durchaus: Aus potenziellen Sozialhilfe-Empfängern werden spätere Steuerzahler. News4teachers
