MAINZ. Datenschutzbeauftragte einiger Bundesländer haben sich auf den US-Konzern Microsoft eingeschossen und machen Druck, dessen Produkte aus Schulen zu verbannen. Jetzt endet eine befristete Duldung für Videokonferenzen mit MS Teams an Schulen in Rheinland-Pfalz – und Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) reagiert: Den (meisten) Bildungseinrichtungen wird die Nutzung untersagt. Die oppositionelle CDU nennt das Verbot „verstörend“. Sie fordert einen pragmatischen Umgang mit Software für den Unterricht. Auch aus Schulen kommt Widerspruch.
Wegen angeblicher Bedenken beim Datenschutz dürfen Schulen in Rheinland-Pfalz die Microsoft-Software Teams ab dem kommenden Schuljahr nicht mehr für Videokonferenzen verwenden. Das von Ministerin Stefanie Hubig (SPD) geführte Bildungsministerium gehe davon aus, dass dann alle Schulen auf die Teams-Nutzung verzichteten, heißt es in der Antwort auf eine Landtagsanfrage der CDU-Fraktion. Zuletzt verwendeten noch 228 der 1600 Schulen in Rheinland-Pfalz MS Teams. Bereits 604 Schulen sind nach Angaben des Bildungsministeriums beim 2021 eingeführten «Schulcampus RLP» mit dabei.
«Der Rechtszustand hat sich seit zwei Jahren nicht geändert», sagt der Landesdatenschutzbeauftragte Dieter Kugelmann zum Einsatz von MS Teams. «Konkrete Zusagen von Microsoft, die neue Überlegungen möglich machen würden, sind keine ersichtlich.» Datenschutzbeauftragte einzelner Bundesländer verlangen von Microsoft (bemerkenswerterweise von keinem anderen Unternehmen), dass der Konzern sämtliche seiner Datenströme offenlegt. Microsoft selbst beteuert, alle Regeln der Datenschutz-Grundverordnung einzuhalten. Verstöße im Zusammenhang mit Schulen sind nicht bekannt.
“Datenschutz nach Schulart? Das entlarvt die Begründung als lahme Entschuldigung”
Dessen ungeachtet heißt es beim Bildungsministerium: Bislang habe es wegen der Pandemie und der Einführung des «Schulcampus RLP» einen Aufschub gegeben. Jetzt müssten aber auch die Schulen, die bislang noch MS Teams nutzten, den Umstieg auf andere Systeme wie das vom Land empfohlene und beim Schulcampus mit angeschlossene Open-Source-Angebot Big Blue Button (BBB) schaffen – so wie das schon von der Mehrheit der Schulen praktiziert werde. «Diese machen sicher auch keinen schlechteren Unterricht», heißt es.
Stein des Anstoßes ist die vermeintliche Übermittlung von Daten in die USA – bei Cloud-Lösungen wie Teams und dem umfassenderen Paket MS Office 365 werden Nutzerdaten übertragen. «Hinzu kommt, dass die Datenschutz-Grundverordnung dem Schutz personenbezogener Daten von Kindern einen besonders hohen Stellenwert beimisst», erklärt Kugelmann. Der EuGH macht die zulässige Übermittlung personenbezogener Daten in Staaten außerhalb der EU davon abhängig, dass dort ein vergleichbares Datenschutzniveau wie in der EU sichergestellt ist. In den USA ist dies nach der Rechtsauffassung des EuGH nicht der Fall. Verbote würden allerdings nicht nur Schulen treffen: Sämtliche Behörden, Verwaltungen und Unternehmen in Europa dürften US-Software – von Apple bis Google – nicht mehr nutzen.
Die Vorstellung erscheint so absurd, dass die in Deutschland geführte Datenschutz-Debatte in anderen europäischen Ländern praktisch keine Rolle spielt. Darüber hinaus erklärten US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im März, dass beide Seiten eine Einigung zum internationalen Datentransfer erzielt hätten, die in eine Harmonisierung der Regelungen münden soll. „Dieser Rahmen wird einen vorhersehbaren und vertrauenswürdigen Datenverkehr zwischen der EU und den USA ermöglichen, der die Privatsphäre und die bürgerlichen Freiheiten schützt», erklärte von der Leyen. Dazu kommt: Microsoft hat für seine europäischen Teams-Kunden Rechenzentren in Deutschland und Frankreich aufgebaut.
Das alles ficht den rheinland-pfälzischen Landesdatenschutzbeauftragten nicht an. Es bleibe abzuwarten, ob es mittelfristig datenschutzkonforme Möglichkeiten für die schulische Nutzung von Software außereuropäischer Anbieter gebe, heißt es dazu lediglich. Kugelmann zeigt sich entspannt: «Dass digitaler Unterricht auch ohne den Einsatz kommerzieller Softwareprodukte funktionieren kann, zeigt das Beispiel des Landkreises Südliche Weinstraße, in dem Schulen auf kostenlose Open-Source-Lösungen umgestiegen sind.» Dass diese Open-Source-Lösungen (keineswegs kostenlos) angepasst und administriert werden müssen, verschweigt der Beauftragte.
Ganz so gelassen sieht die oppositionelle CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag das Thema deshalb nicht. «Sie wollen es behalten, weil sie augenscheinlich damit zufrieden sind», sagt Fraktionschef Christian Baldauf mit Blick auf die Schulen, die Microsoft Teams nutzen. «Dem droht nun das Ende und Eltern, Lehrerschaft und Schulleitungen fühlen sich unnötig bevormundet»
Besonders verstörend für die Betroffenen seien die Übergangsregelungen: Für Berufsbildende Schulen gilt als Frist das Schuljahresende 2023. Andere Schulen müssen die Nutzung zum Ende des laufenden Schuljahres in einem Monat einstellen. «Da fängt es an jede Logik vermissen zu lassen», so Baldauf – «entweder spricht der Datenschutz dagegen oder eben nicht. Aber Datenschutz nach Schulart? Das entlarvt die Begründung als lahme Entschuldigung.»
Baldauf fragt, ob funktionierender Online-Unterricht erst wieder im nächsten Wahlkampf eine Rolle spielt. «In der Zwischenzeit lässt man die Schulen auflaufen, statt in Absprache mit den anderen Bundesländern Lösungen abzuklären. Einfach dagegen zu sein und es zu verbieten ist ein bequemer Weg», sagt er. Andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen hätten dieses Problem nicht und Lösungen gefunden – tatsächlich wird die Nutzung von Microsoft-Produkten durch Schulen in NRW geduldet.
Die CDU-Landtagsfraktion spricht sich dafür aus, die Datenschutz-Probleme einvernehmlich zu lösen. Dafür gebe es zertifizierte Lösungen im App-Store und lizenzfrei organisatorische Vereinbarungen und Anonymisierungen, die dies sicherstellen können. Baldauf: «Hier muss die Ministerin und ihr Haus den Schulen Unterstützung bieten, mit Microsoft Rechtssicherheit herstellen, statt Basta-Politik zu betreiben. Wenn zahllose Unternehmen der freien Wirtschaft und die Bildungsministerien andere Bundesländer dies leisten können, dann sollte dies auch einem Ministerium in unserem Bundesland möglich sein. Vor allem, wenn die Absolventinnen und Absolventen unserer Schulen in der Regel mit Microsoft Softwaresystemen im Arbeitsleben konfrontiert werden und entsprechende Kenntnisse wertvoll für sie sind.»
“Die praktische Arbeit vor Ort, sowohl im Unterricht als auch in der Verwaltung, muss gewährleistet werden”
Der Bundesvorsitzende des Realschullehrerverbands VDR, Jürgen Böhm, hatte sich unlängst noch auf der Bildungsmesse didacta gegen pauschale Nutzungsverbote ausgesprochen, wie News4teachers berichtete. So erklärte er: «Der Datenschutz hat natürlich seine Berechtigung. Er darf sinnvolle inhaltliche Anwendungen und Entwicklungen nicht einschränken oder gar blockieren. Sobald der Datenschutz Lehrwerke nicht mehr alltagstauglich macht (QR-Codes) oder pädagogische digitale Konzepte zunichtemacht, muss man überlegen, ob es nicht Anpassungen und Absprachen mit den professionellen Anbietern in Europa und Übersee braucht. Die praktische Arbeit vor Ort, sowohl im Unterricht als auch in der Verwaltung, muss gewährleistet werden, ohne die Beteiligten unnötig zu gängeln oder künstliche Barrieren aufzubauen.»
Von der Verbotsdebatte betroffene Schülerinnen und Schüler aus Baden-Württemberg (wo eine ähnliche Diskussion wie in Rheinland-Pfalz entbrannt ist) verstehen das angebliche Problem überhaupt nicht. Betroffene Schulen schützten die personenbezogenen Daten von Schülern längst wirkungsvoll – nämlich mithilfe von pseudonymisierten Logins und E-Mail-Adressen, so heißt es in einer Petition. Das bedeutet: Die Namen werden verschlüsselt; die Klarnamen sind lediglich den Lehrkräften und den Schülern selbst bekannt. «Die Schülerinnen und Schüler können mit Ihren Accounts am Online-Unterricht über das Microsoftprodukt Teams teilnehmen, ohne auch nur Ihren Namen preis zu geben. Deshalb können wir nicht verstehen, warum es zu flächendeckenden Verboten von Programmen kommen soll, wenn doch praxistaugliche Lösungen vorhanden sind.» News4teachers / mit Material der dpa