BERLIN. Zwei Winter lang mussten Schüler und Lehrkräfte in Deutschland frieren, weil die Pandemie grassierte – und der Staat zu geizig war, mobile Luftfilter für alle Klassenräume anzuschaffen. Stattdessen musste alle 20 Minuten gelüftet werden. In der Folge stiegen die Energiekosten von Kommunen deutlich an. Nun droht ein weiterer Corona-Winter. Und zusätzlich eine Energiekrise, weil Russland womöglich den Gashahn zudreht. Die Bundesbildungsministerin warnt bereits vor Unterrichtsausfall.
Ein drohender Gasmangel in Deutschland darf nach Ansicht von Bettina Stark-Watzinger (FDP) nicht dazu führen, dass in den Schulen der Unterricht eingeschränkt wird. „Ich habe mich schon in der Pandemie dafür stark gemacht, Bildungseinrichtungen zur kritischen Infrastruktur zu zählen“, sagt die Bundesbildungsministerin aktuell in der „Rheinischen Post“. „Auch jetzt sollte ein besonderes Augenmerk auf sie gelegt werden, damit es möglichst nicht zu Unterrichtseinschränkungen oder gar Unterrichtsausfall kommt“, so die Ministerin. Das sei die Lehre aus den pandemiebedingten Schulschließungen. „Sonstige Energiesparpotenziale sollten aber natürlich genutzt werden. Das ist ohnehin schon in vielen Schulen und Universitäten ein Thema“, meint Stark-Watzinger.
Alle 20 Minuten die Fenster öffnen und frische Luft hereinlassen – so lautet die Vorgabe in allen Bundesländern
Auf das Kernproblem dabei geht sie allerdings gar nicht ein: Dass nämlich in den Klassenräumen aufgrund der grassierenden Pandemie häufig gelüftet werden muss. Alle 20 Minuten die Fenster für drei bis fünf Minuten öffnen und frische Luft hereinlassen – so lautet die Vorgabe in allen Bundesländern. Lediglich Bayern, Berlin, Hamburg und Bremen haben dafür die Anschaffung von mobilen Luftfiltern für Schulen (die Corona-belastete Aerosole aus der Atemluft filtern) in nennenswertem Umfang forciert. Die Ausstattung sämlicher Klassenräume in Deutschland mit den Geräten würde Experten zufolge rund 1,5 Milliarden Euro kosten, also rund 150 Euro pro Schüler. Zum Vergleich: Der derzeitige Tankrabatt hat den Bund rund drei Milliarden Euro gekostet.
Energetisch und ökologisch, aber auch ökonomisch ist die Lüftungsregel eine Vorgabe mit Folgen, so berichtet die „Ludwigsburger Kreiszeitung“. Die Stadt Marbach zum Beispiel habe es schwarz auf weiß, was es kostet, wenn in den kalten Monaten in den Klassenräumen immer wieder die Fenster aufgerissen werden müssen: Der Heizenergieverbrauch in den Schulen und Kindergärten dort sei im Pandemiejahr 2020 um rund 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – und das, obwohl die Einrichtungen zeitweise für den Präsenzunterricht geschlossen waren.
Gefroren wurde in den meisten Klassenräumen dann trotzdem. „Während der vergangenen Corona-Winter mussten wir erleben, was es heißt, wenn die Politik bei den Schulen spart“, erklärt GEW-Vorsitzende Maike Finnern gegenüber der „Rheinischen Post“. „Weil Luftfilter fehlten, mussten Kinder und Jugendliche bei geöffneten Fenstern mit der Winterjacke in den Unterricht. Eltern und Schülerinnen und Schüler sollten das nicht noch einmal erleben müssen“, meint die Gewerkschafterin.
In die gleiche Kerbe schlägt der Verband Reale Bildung (VRB) Saarland. „Nun kommt wohl in diesem Herbst die nächste Welle der Coronainfektionen. Wie soll in den kälteren Jahreszeiten das Lüften als einzige Schutzmaßnahme umgesetzt werden, wenn die Gaspreise steigen und die Heizungen nicht mehr so umfänglich genutzt werden können? Es existieren keine Temperaturvorgaben, die in den Klassenräumen erreicht sein müssen, um ein gemeinschaftliches Unterrichten und Lernen für die Schüler und Lehrkräfte noch zu ermöglichen“, beklagt der VRB in einer Pressemitteilung.
Weiter heißt es darin: „Seit Jahren weisen wir auf die schwierigen Arbeitsbedingungen in den Schulgebäuden hin, die schon im Frühjahr in manchen Schulen zu überhitzten Räumen führen, in denen ein gutes Arbeiten kaum möglich ist. Als Abhilfe wurde durch das Bildungsministerium die Möglichkeit gegeben, dass Lehrpersonen darauf hingewiesen wurden, mit ihren Schülern nach draußen gehen zu dürfen, was bei der Gestaltung vieler Schulhöfe und Umgebungssituationen, leider nur eine Floskel darstellt.“
“Viele Schulen sind marode, nicht energieeffizient gebaut oder saniert, viele Fenster sind kaputt”
GEW-Chefin Finnern weist ebenfalls auf den schlechten baulichen Zustand vieler Schulgebäude hin. „Viele Schulen gehen mit Energiesparkonzepten längst nachhaltig und verantwortungsvoll mit Energie um“, sagt sie. „Fest steht aber auch: Viele Schulen sind marode, nicht energieeffizient gebaut oder saniert, viele Fenster sind kaputt oder lassen sich nicht richtig zum Stoßlüften öffnen, Heizungen müssen modernisiert werden.“ Der Sanierungsstau an Schulen in Deutschland betrage laut Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aktuell 45,6 Milliarden Euro.
Maike Finnern begrüßt es, dass im „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“ Schulen, wie auch Privathaushalte, zu den geschützten Kunden gehören, die auch in der Notfallstufe prioritär mit Gas versorgt werden sollen.
Aber was nützt das, wenn der Mangel so groß wird, dass nicht genug für alle da ist? Erste Kommunen sparen bereits jetzt beim Energieeinsatz in Schulen. Die rheinische Stadt Hilden beispielsweise hat die Heizungen und das Warmwasser in rund 20 Schulen und Turnhallen abgestellt. Zunächst soll die Maßnahme bis Ende September – also auch noch nach dem Ende der Sommerferien – gelten. News4teachers