ST. AUGUSTIN. Erst langsam rückt die Menstruation im Bildungsbereich aus der Tabuthemenecke heraus und in den Fokus von Gleichberechtigungsdiskussionen. Die Bereitstellung kostenloser Tampons und Binden kann einen erheblichen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten, zeigt nun ein Pilotprojekt der Hochschule Bonn-Rhein Sieg.
Die kostenlose Bereitstellung von Menstruationsartikeln an Bildungseinrichtungen kann dazu beitragen, den Stress von Frauen und die Studien- und Arbeitsfehlzeiten zu reduzieren und damit die Bildungsgerechtigkeit ebenso erhöhen wie die Attraktivität einer Hochschule als Arbeits- und Studienplatz erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (HBRS).
In einem Pilotprojekt hatte die Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule, Barbara Hillen, fünf Tampon- und Bindenspender in ausgewählten Toiletten am Campus im nordrhein-westfälischen St. Augustin aufstellen lassen. Die Menge des Verbrauchs wurde von Oktober 2021 bis März 2022 erfasst.
Zuvor hatten Wissenschaftler um Hillen unter den Studentinnen und Studenten sowie den Beschäftigten mittels einer Online-Umfrage Items wie den Umgang mit Menstruationshygieneartikeln oder der Einschätzung hinsichtlich der Attraktivität des Studien- und Arbeitsplatzes ermittelt. Deutschlandweit handele es sich um die erste Untersuchung, die Rückschlüsse auf das Verhalten und die Erfahrungen von Menstruierenden an einer deutschen Hochschule zulässt. 965 Personen füllten anonym einen Fragebogen aus. 65 Prozent (632 Befragte) zählten zu den „aktuell oder ehemals Menstruierenden“. Auf sie konzentrierte sich die Erhebung. Die übrigen 35 Prozent gaben an, keine Tampons oder Binden zu benutzen oder jemals benutzt zu haben.
Bereitgestellte Artikel reduzieren Stress
„Unsere Daten belegen, wie sinnvoll das kostenlose Angebot von Menstruationsartikeln ist“, stellt Hillen auf Basis der Befragung und der Daten zum Nutzungs- und Akzeptanzverhalten der Betroffenen ebenso wie der Nichtbetroffenen fest. Es habe sich gezeigt, dass eine große Mehrheit der Menstruierenden sich bereits in Situationen befunden habe, in denen sie auf benötigte Menstruationsartikel nicht zugreifen konnte. 88 Prozent hätten angegeben, sich vor solchen Situationen zu ängstigen. „Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Bereitstellung von Menstruationsartikeln in Institutionen wie Hochschulen emotionalen Stress und negative Erlebnisse von Studierenden und Angestellten reduzieren kann“, schreiben Hillen und ihr Studienmitautor Niklas Kroheck in ihrem Fazit.
Die Betroffenen gingen unterschiedlich mit solchen Stresssituationen um. Alle Strategien würden der Umfrage zufolge jedoch von einer großen Mehrheit als belastend empfunden. Vier von fünf Befragten empfanden es als „sehr unangenehm“ oder „unangenehm“, Menstruationsartikel länger als bevorzugt zu gebrauchen. Ebenfalls 80 Prozent empfinden es als unangenehm, andere Personen nach Tampons oder Binden zu fragen. Ein Viertel der Befragten habe wegen des Fehlens der Hygieneartikel schon einmal Aktivitäten an der Hochschule unterbrochen oder abgebrochen. Die Umfrageergebnisse belegten damit einen erheblichen Mehraufwand, den Menstruierende leisten müssten, um am geregelten Arbeits- oder Studienleben teilnehmen zu können, betonen Autorin und Autor. Zudem erschwerten geringe Frauenquoten in technisch orientierten Fächern oder lange Aufenthalte in Laboren manche Bewältigungsstrategien.
Die Bereitstellung von Menstruationsartikeln könne aus Sicht der Autoren diesen Mehraufwand reduzieren oder sogar abschaffen; die Arbeits- und Studienzeit für Menstruierende könne so angenehmer gestaltet werden. Auch Abbrüche von Arbeits- und Studienaktivitäten, welche sich möglicherweise negativ auf den Arbeits- und Studienerfolg auswirken, könnten vermieden werden. In einigen Fällen spielten zudem finanzielle Aspekte eine Rolle, die durch die kostenlose Bereitstellung der Produkte entfielen.
Der eigentliche Bedarf ist wohl größer
Zwischen Oktober 2021 und März 2022 gab die Gleichstellungsstelle insgesamt 142,56 Euro für Tampons und Binden aus. Die fünf am Campus aufgestellten Spender wurden gezielt an strategisch neuralgischen Punkten montiert. Erstens dort, wo der Anteil der arbeitenden Frauen am größten ist (in der Verwaltung), zweitens dort, wo im Vergleich wenige Frauen lernen und arbeiten (Fachbereich Informatik) und drittens an stark frequentierten Orten (Mensa, Copyshop). Allerdings fand die Studie während der Corona-Pandemie statt, sodass die Autoren davon ausgehen, dass der eigentliche Bedarf höher liegen dürfte. Die praktische Testphase soll daher bis mindestens September 2022 verlängert werden.
Schon jetzt stoße das Projekt auf eine hohe Resonanz, berichtet Hillen. Bislang habe die HBRS-Gleichstellungsstelle im Sinne des Transfers acht Hochschulen, fünf Schulen sowie die Stadt Sankt Augustin zu dem Thema beraten. (zab. pm)
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