BERLIN. Die GEW sowie verschiedene Initiativen haben den Berliner Senat davor gewarnt, angesichts des Fachkräftemangels an Schulen bei der Inklusion zu sparen, also bei der besonderen Förderung behinderter Menschen. Schon jetzt komme es «tagtäglich» zum Ausfall von Förderstunden und zur Benachteiligung von Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarfen, teilt die Leiterin des Vorstandsbereichs Schule der GEW Berlin, Karin Petzold, am Dienstag mit. Nun drohten weitere Verschlechterungen.
«An dieser Stelle muss dringend umgesteuert werden, denn die Sicherung qualitativ hochwertiger Bildung ist ein Menschenrecht», unterstreicht Petzold. «Es müssen Lösungen gefunden werden, die nicht vor allem den Schwächsten schaden.» Die stellvertretende Vorsitzende des Landesbeirats für Menschen mit Behinderungen, Gerlinde Bendzuck, betont: «Inklusive Bildung ist keine Kür, sondern Pflicht sowie Anspruch und Recht.»
Die GEW wirft der Bildungsverwaltung vor, angesichts von knapp 1.000 unbesetzten Lehrkräftestellen bei den sonderpädagogischen Förderstunden sparen zu wollen – zum Beispiel bei der Betreuung von Schülern mit Förderbedarf im Sehen (Blindheit), in Hören und Kommunikation (Gehörlose) und in den Bereichen geistige Entwicklung und Autismus.
„Wenn alle Schulen von der neuen Regelung Gebrauch machen, entspricht dies nach unseren Berechnungen einem Wegfall von 500 vollen Sonderpädagogik-Stellen“
Für das neue Schuljahr habe die Senatsverwaltung die Grundlage für die Berechnung des Lehrkräftepersonals (Zumessungsrichtlinie) so geändert, dass Schulen die Anzahl der sonderpädagogischen Förderstunden für Schülerinnen und Schüler mit dem höchsten Förderbedarf drastisch reduzieren können – von 8 auf 3 Wochenstunden pro Kind. „Wenn alle Schulen von der neuen Regelung Gebrauch machen, entspricht dies nach unseren Berechnungen einem Wegfall von 500 vollen Sonderpädagogik-Stellen“, erklärte GEW-Landesvorsitzender Tom Erdmann. „Schon vorher waren die Rahmenbedingungen für Inklusion an unseren Schulen schlecht. Nun hat sich die Situation jedoch noch weiter verschlechtert. Allein die Statistik zum Lehrkräftebedarf steht durch die Maßnahme besser da“, so Erdmann.
Die Bildungsverwaltung sieht das anders und lässt Schulen die Möglichkeit, bei den Förderstunden auch andere Lehrkräfte einzusetzen. Gespart werde hier nicht, die Zahl der Vollzeitstellen im Bereich Inklusion/Integration sei im neuen Schuljahr sogar gestiegen.
Die GEW entgegnet: Die gekürzten 5 Sonderpädagogik-Stunden könnten zwar ersetzt werden durch 7,5 Stunden, die von pädagogischen Unterrichtshilfen, Erzieher*innen oder Betreuer*innen erbracht würden. „Auch wenn das nicht nach einer Kürzung aussieht, kann eine qualitativ hochwertige Bildung für die betroffenen Kinder ohne die dafür ausgebildeten Sonderpädagog*innen nicht umgesetzt werden“, betont Nuri Kiefer, Grundstufenleiter der Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule und Vorsitzender der Vereinigung Berliner Schulleiter*innen in der Berliner GEW (VBS).
Kiefer warnt auch vor den langfristigen Folgen: „Es darf auf keinen Fall zu Veränderungen bei der Bedarfsermittlung an Sonderpädagogiklehrkräften kommen, denn sonst wird die adäquate Einstellung von ausgebildetem Personal und die Schaffung von Studienplätzen unmöglich. Die Lehrkräftestellen müssen weiter als solche aufgeführt werden, so dass eine Rückumwandlung jederzeit möglich ist.“
Da die Senatsverwaltung bei nicht ausreichend verfügbaren Personalressourcen seit jeher der Sicherung des Pflichtunterrichts Priorität einräumt, komme es ohnehin schon tagtäglich zum Ausfall von Förderstunden und zur Benachteiligung von Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarfen, ergänzt Gewerkschafterin Petzold. Sie fordert: „Die Kinder, die mehr Unterstützung brauchen, müssen in den Fokus gerückt werden und dürfen nicht die einzige Gruppe sein, auf deren Kosten gespart wird. Es müssen Lösungen gefunden werden, die nicht vor allem den Schwächsten schaden. Förderstunden sollten zudem verbindlich von der Vertretung ausgenommen sein.“ News4teachers / mit Material der dpa
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