BERLIN. Die Rassismus-Debatte um den Kinderfilm „Der junge Häuptling Winnetou“ sowie zwei gleichnamige Kinderbücher erhitzt immer mehr Gemüter – jetzt auch die des ehemaligen Vizekanzlers Sigmar Gabriel (SPD) und der amtierenden KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU), die mit der Kritik an den darin verbreiteten Indianer-Klischees wenig anfangen können. Auch der Philologenverband wirft sich für Karl May in die Bresche. Unterdessen macht die Deutsche Film- und Medienbewertung deutlich, dass hinter den Kulissen die Problematik des Films durchaus gesehen wurde.
Der deutsche Kinderfilm „Der junge Häuptling Winnetou“ steht in der Kritik, weil die darin enthaltene Darstellung indigener Völker „wie bei einer Kölner Karnevalsfeier“ – so die „Frankfurter Rundschau“ – „alle Bemühungen ignoriert, die verfälschende Repräsentation aus dem 19. und 20. Jahrhundert nicht über die Generationen weiterzugeben“. Der Ravensburger Verlag, der zwei Begleitbücher zum Film herausgab, hat reagiert – und die beiden Lizenztitel aus seinem Programm genommen.
Die Begründung: „Auch wenn es sich um einen klassischen Erzählstoff handelt, der viele Menschen begeistert hat: Der Stoff ist weit entfernt von dem, wie es der indigenen Bevölkerung tatsächlich erging.“ Vor diesem Hintergrund wolle man als Verlag keine verharmlosenden Klischees wiederholen und verbreiten, auch wenn man den Grundgedanken der Freundschaft – wie bei Winnetou vorhanden – hoch schätze.
Eine bedauerliche und falsche Entscheidung, die Auslieferung des #Winnetou-Buches zu stoppen. „Verletzte Gefühle“ machen kontroverse Debatten, im Kontext Antidiskriminierung Kontextualisierung notwendig, nicht mehr und nicht weniger. https://t.co/4kp7ebfcdB
— Karin Prien (@PrienKarin) August 23, 2022
Das wiederum hat zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen – von der „Bild“-Zeitung über den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bis hin zur schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien (CDU), Präsidentin der Kultusministerkonferenz. „Als Kind habe ich Karl Mays Bücher geliebt, besonders Winnetou. Als mein Held starb, flossen Tränen. Zum Rassisten hat mich das ebenso wenig gemacht wie Tom Sawyer&Huckelberry Finn“, schreibt Gabriel bei Twitter. Es sei eine „bedauerliche und falsche Entscheidung, die Auslieferung des #Winnetou-Buches zu stoppen“, erklärt Prien und setzt etwas verschwurbelt hinzu: „’Verletzte Gefühle’ machen kontroverse Debatten, im Kontext Antidiskriminierung Kontextualisierung notwendig, nicht mehr und nicht weniger.”
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mag da nicht zurückstehen. „Winnetou und Old Shatterhand waren Idole ganzer Generationen. Es ist falsch, dass Buchverlage und Sender aus Sorge vor Kritik einzelner Winnetou verbannen. Bei allem Verständnis, nimmt das langsam absurde Züge an“, so twittert er. Hintergrund: Die ARD hat die Sendelizenzen für die Winnetou-Filme bereits 2020 auslaufen lassen und plant nach eigenen Angaben keine Verlängerung.
Die Entscheidung des Ravensburger Verlags „zur Entfernung eines Karl-May-Buches aus seinem Sortiment“ sorgt auch beim Philologenverband Schleswig-Holstein nach eigenem Bekunden „für Unverständnis und Kopfschütteln“ (dabei ignorierend, dass gar kein Buch von Karl May, sondern nur eine an dessen Bücher angelehnte Schmonzette entfernt wurde). „Wir sehen hier eine törichte Selbstzensur des Verlages zu Lasten jugendlicher Leserinnen und Leser“, erklärte die Vorsitzende des schleswig-holsteinischen Philologenverbands Barbara Langlet-Ruck.
„Es ist Unsinn und ein Zeichen von Hysterie, die übersteigerter Political Correctness entspringt, Werke von Karl May aus ihrem historischen Kontext herauszureißen. Mit dem Vorwurfe des `Rassismus` ließen sich auch zahllose andere Schriftsteller früherer Epochen belegen, ohne dass man dem historischen Zusammenhang, der literarischer Aussage oder der Wirkungsabsicht der Texte gerecht würde“, poltert der Philologenverband. „Wir freuen uns über jede junge Leserin und jeden jungen Leser, wenn sie zum Buch greifen und sich darin verlieren. Da wirkt sich eine solche ängstliche, einknickende Verlagshaltung leider zu Lasten der lesebegeisterten Kinder und Jugendlichen aus“, bedauerte Barbara Langlet-Ruck. „Das schließt natürlich nicht aus, dass Unterrichtseinheiten über Diskriminierung – auch in literarischen Werken – sehr wohl ihren Platz in der Schule haben!“
Unterdessen hat sich die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW), die dem Film das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen hat, mit einer Erklärung zu Wort gemeldet – und deutlich gemacht, dass das Problem stereotyper Darstellungen von indigenen Völkern durchaus gesehen wurde.
Im Wortlaut: „Nach Sichtung des Films zeigte sich in der sehr langen Diskussion, dass in der Gesamtbewertung des Films die Jury absolut gespalten war – zwischen vehementer Ablehnung einerseits und großer Zustimmung andererseits. Dies zeigt sich dann auch in der Abstimmung für oder gegen die Erteilung eines Prädikates. Auf der einen Seite fanden sich Jury-Mitglieder, die sich in erster Linie gegen die inhaltliche sowie die filmisch gestalterische Form aussprachen. Nach ihrer Meinung ist es in unserer Zeit nicht mehr zulässig, einen Film und im Besonderen einen Kinder- und Jugendfilm im Geist der mythisch aufgeladenen und sehr klischeehaft darstellenden Karl May–‚Folklore‘ zu realisieren. So sei dieser Film ein kitschiges rückwärtsgewandtes Theaterstück, das nichts mit der Realität zu tun habe. Karl Mays literarische Idylle im Herkunftsland der indigenen Völker Nordamerikas sei, so die Aussage der Jury-Mitglieder, eine Lüge, welche den Genozid an den Ureinwohnern Amerikas und das ihnen zugefügte Unrecht der Landnahme der weißen Siedler und der Zerstörung ihres natürlichen Lebensraumes vollkommen ausblenden würde. Die im Film gewählte Ausstattung, die Darstellung der indigenen Menschen, die musikalische Untermalung und der Inszenierungsstil würden sich den verkitschten Karl May–Filmen der 1960er Jahre anpassen.“
Ich finde ja, man könnte auch mal über das Frauenbild der #Winnetou-Bücher und -Filme reden.
— Sven Barske (@SvenBarske) August 24, 2022
Eine Mehrheit der Jury sei jedoch zu einer anderen Bewertung des Films gekommen: Es sei allseits bekannt, dass Karl May seine Erzählungen im von ihm so genannten „Indianerland“ und auch im „Orient“ aus seiner Fantasie geschrieben habe und selbst nie vor Ort der von ihm erdachten Abenteuer gewesen sei. Man könne ihn daher ruhigen Gewissens als „Märchenonkel“ bezeichnen. News4teachers
Da #Winnetou und #KarlMay trendet. Hier ein kurzer Thread, warum ich diese Romane für zutiefst kolonial halte, vom enthaltenen #Rassismus und #Antisemitismus ganz zu schweigen.
Das Setting ist die genozidale Eroberung der nordamerikanischen Frontier. /2 pic.twitter.com/rwXSblJ5Aq— Jürgen Zimmerer (@JuergenZimmerer) August 23, 2022
Rassismus-Streit um Winnetou: Ist es noch angebracht, das Klischee vom edlen Wilden weiterzuspinnen?