Website-Icon News4teachers

Rassismus-Streit um Winnetou: Ist es noch angebracht, das Klischee vom edlen Wilden weiterzuspinnen?

Anzeige

BERLIN. Kulturkampf um einen Kinderfilm: Ist es heute noch angebracht, mit einer Karl-May-Schmonzette das Klischee vom edlen Wilden (inklusive rotbraun angemalter Schauspieler) weiterzuspinnen? Oder breitet sich ein „Woke-Wahnsinn“ in Deutschland aus, der überall Rassismus wittert und Rücksicht dort einfordert, wo es doch angeblich nur um Spaß gehen soll? „Der junge Häuptling Winnetou“ führt zu einer hitzigen Kontroverse.  

Ist es harmlos, wenn sich Kinder als Fantasie-Indianer verkleiden – oder eine Verballhornung von unterdrückten Kulturen? Foto: Shutterstock

„Dies ist keine Filmkritik, denn nach etwa einer Stunde hatte ich genug von rassistischen Darstellungen indigener Völker Nordamerikas“, so schrieb Daniel Kothenschulte, Filmkritiker der „Frankfurter Rundschau“ in der vergangenen Woche zum Kinderfilm „Der junge Häuptling Winnetou“, der in diesen Tagen in Kinos gezeigt wird. Was in der deutschen Produktion dargestellt werde, „ist in den meisten westlichen Filmkulturen schon lange von Leinwänden und Bildschirmen verbannt. Rötliches Make-up für weiße Darsteller ist als ‘redfacing’ verpönt. In einem Kinderfilm noch heute das Volk der Apachen dargestellt zu sehen wie bei einer Kölner Karnevalsfeier, ignoriert alle Bemühungen, die verfälschende Repräsentation aus dem 19. und 20. Jahrhundert nicht über die Generationen weiterzugeben.“

Der Ravensburger Verlag hat reagiert – und seine Lizenztitel zum Film, ein Kinderbuch ab acht Jahren, ein Erstleserbuch, ein Puzzle sowie ein Stickerbuch aus seinem Programm genommen. Die  Auslieferung wurde gestoppt. Doch auch das führt nun zu großer Kritik. Hunderte Nutzer der Social-Media-Plattform Instagram äußerten ihr Unverständnis über die Entscheidung und bezichtigten die Firma etwa der Zensur oder des Einknickens.

Anzeige

„Schon länger stört sich eine radikale Minderheit daran, wenn man auch das Wort ‚Indianer‘ in den Mund nimmt”

„Wir unterwerfen uns einer radikalen Minderheit“, so kommentiert die „Bild“-Zeitung. „Seit Generationen feiern Kinder den von Karl May erschaffenen Indianer-Held Winnetou – sie verkleiden sich wie der Apachen-Häuptling, schauen sich die Filme an und lesen die Bücher – jetzt scheint Winnetou dem Woke-Wahnsinn zum Opfer gefallen zu sein!“ Weiter heißt es: „Schon länger stört sich eine radikale Minderheit daran, wenn man auch das Wort ‚Indianer‘ in den Mund nimmt, außerdem zieht sie gegen ‚kulturelle Aneignung‘ zu Felde, auch künstlerischer Art. In diesem Fall, offenbar mit Erfolg.“

Ist es tatsächlich „Woke-Wahnsinn“, auf die Gefühle von Volksgruppen Rücksicht zu nehmen, die lange unter Verfolgung und Unterdrückung gelitten haben? Ein Sprecher von Ravensburger teilte am Montag auf Anfrage mit, man habe die Entscheidung, die Titel zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ aus dem Programm zu nehmen, sorgfältig abgewogen. „Wir vertreten in unserem Unternehmen und mit unseren Produkten seit langer Zeit Werte, an die wir glauben: unter anderem Gemeinsamkeit und Bildung, wozu auch Fairness und Offenheit gegenüber anderen Kulturen gehören, und dies wollen wir in unserem Programm ausgewogen darstellen.“

Bei den genannten Winnetou-Titeln sei man nach Abwägung verschiedener Argumente zu der Überzeugung gelangt, dass angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit, der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, hier ein „romantisierendes Bild mit vielen Klischees“ gezeichnet werde. „Auch wenn es sich um einen klassischen Erzählstoff handelt, der viele Menschen begeistert hat: Der Stoff ist weit entfernt von dem, wie es der indigenen Bevölkerung tatsächlich erging.“ Vor diesem Hintergrund wolle man als Verlag keine verharmlosenden Klischees wiederholen und verbreiten, auch wenn man den Grundgedanken der Freundschaft – wie bei Winnetou vorhanden – hoch schätze.

„Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen”

In einem Instagram-Post schrieb die Firma, das Feedback der Nutzer habe gezeigt, „dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben“. Weiter heißt es: „Unsere Redakteur*innen beschäftigen sich intensiv mit Themen wie Diversität oder kultureller Aneignung. Die Kolleg*innen diskutieren die Folgen für das künftige Programm und überarbeiten Titel für Titel unser bestehendes Sortiment. Dabei ziehen sie auch externe Fachberater zu Rate oder setzen ‘Sensitivity Reader’ ein, die unsere Titel kritisch auf den richtigen Umgang mit sensiblen Themen prüfen. Leider ist uns all das bei den Winnetou-Titeln nicht gelungen. Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen. Wir haben zum damaligen Zeitpunkt einen Fehler gemacht und wir können euch versichern: Wir lernen daraus!“

Die „Frankfurter Rundschau” wundert sich allerdings darüber, dass der Film – „der schon in seinem Drehbuch kolonialistische und rassistische Stereotypen transportiert” – mit Bundes- und Landesmitteln in Millionenhöhe gefördert wurde. Obendrauf bekam er noch das Prädikat „besonders wertvoll” der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW). Filmkritiker Kothenschulte: „Es wird wohl noch lange dauern, bis die Realität des Genozids an den amerikanischen Ureinwohnern auch in Deutschland die Mythenschmieden erreicht hat. Eine Debatte immerhin wird geführt.” News4teachers / mit Material der dpa

Hintergrund

Darf man noch „Indianer” sagen, obwohl das Wort aus der Kolonialzeit stammt und eigentlich dem geografischen Irrtum Kolumbus’ entspringt, der sich in Indien wähnte? Dieser Frage nimmt sich ein Beitrag auf SWR-Wissen an. Darin heißt es: “Grundsätzlich ist es erstmal keine Frage des Dürfens. Dürfen klingt immer so, als würde man bestraft und verhaftet, wenn man etwas Bestimmtes sagt.” Das sei natürlich nicht der Fall. 

Eine Angehörige vom Volk der Nimi’ipuu und ihr Sohn auf einem Foto von 1909, aufgenommen im US-Bundesstaat Idaho. Foto: Shutterstock

„Entscheidend ist eine weitere Frage, nämlich: Wie geht es den Indigenen Bevölkerungsgruppen selbst mit dem Wort? Empfinden Sie es als diskriminierend oder können sie damit gut leben? Tatsächlich stören sich viele nicht an den englischen Bezeichnungen ‘indian’, ‘American indian’ oder ‘Amerindian’, wie es manchmal zusammengezogen wird. Es gibt auch politische Organisationen indigener Bevölkerungsgruppen und soziale Bewegungen, die das Wort ‘indian’ im Namen führen, etwa die ‘American Indian Movement’, die sich für die Rechte Indigener einsetzt, ähnlich wie der ‘American Indian Youth Council’ oder der ‘National Congress of American Indians’.”

Aus diesen Gründen verwendeten viele auch reflektierte Fachleute den Begriff Indianer weiter, so zum Beispiel die Historikerin Heike Bungert. Sie hat 2020 ein Buch geschrieben, das heißt: „Die Indianer: Geschichte der indigenen Nationen in den USA“. Auch sie hält das Wort Indianer laut SWR-Bericht für unproblematisch. In der Debatte um Winnetou-Bücher oder -Filme drehe sich der Streit allerdings vor allem um die Darstellung indigener Bevölkerungsgruppen und um „kulturelle Aneignung” – das sei noch ein ganz anderes Thema.

Wie „Bild“ und Söder gegen eine Kita hetzen, die vorurteilsfrei Karneval gefeiert hat

„Drei Chinesen mit dem Kontrabass“: Wenn Kinderlieder rassistische Klischees bedienen

Anzeige
Die mobile Version verlassen