BERLIN. Das Wissen über Bildungsverläufe und Bildungserträge ist in Deutschland nach Ansicht des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) im europäischen Vergleich gering, die Datenbasis zur Weiterentwicklung und Steuerung des Schulsystems nur bedingt geeignet. Deutschland könne es sich daher nicht leisten, den Aufbau eines Bildungsverlaufsregisters noch weiter zu verzögern.
Seit 2004 gibt es in Deutschland den Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten. Das vom Bundesbildungsministerium eingerichtete Gremium engagiert sich nach eigenen Aussagen für eine Infrastruktur, die der Wissenschaft einen breiten, flexiblen und sicheren Zugang zu Daten ermöglicht, die von staatlichen, wissenschaftsgetragenen und privatwirtschaftlichen Akteuren bereitgestellt werden.
In einem aktuellen Positionspapier fordert der RatSWD den Aufbau eines Bildungsverlaufsregisters, um derzeit bestehende Datenlücken in der Bildungsforschung zu schließen und damit im internationalen Vergleich aufzuholen. Erst mit einem Bildungsverlaufsregister, das bestehende Daten miteinander verknüpft, ließen sich Bildungsverläufe systematisch analysieren. Dies erst ermögliche auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Empfehlungen zur Verbesserung des Bildungssystems, die sich auf empirische Daten stützen könnten.
„Aussagekräftige und transparente Daten zu Bildungsverläufen sind der Schlüssel für die Verbesserung unseres Bildungssystems“
In dem Papier empfehlen die Experten die zügige Erstellung eines länderübergreifenden „Schülerindividualdatensatzes im Längsschnitt“. Nach dem Vorbild anderer europäischer Staaten sollten die Daten mit anderen Registern, etwa den Daten der Studienverlaufsstatistik und Ausbildungsstatistik verknüpft sein, ebenso wie mit anderen Forschungsdaten, beispielsweise aus Übersichtsstudien, verknüpfbar sein.
Die bereits verfügbaren Querschnittdaten und Zusammenfassungen aus den Bundesstatistiken zu Hochschul- und Berufsbildung seien zur Analyse von Bildungsverläufen und damit zur bildungspolitischen Steuerung nicht ausreichend. Vorhandene Individualdatensätze, etwa aus Schulstatistik und Studienverlaufsstatistik, seien der Wissenschaft dagegen bislang nicht zugänglich.
An die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger auf Bundes- und Landesebene appelliert der Rat, ein Bildungsverlaufsregister baldmöglichst aufzubauen. „Aussagekräftige und transparente Daten zu Bildungsverläufen sind der Schlüssel für die Verbesserung unseres Bildungssystems“, bekräftigt Monika Jungbauer-Gans, Vorsitzende des RatSWD. „Deutschland kann und sollte es sich nicht leisten, den Aufbau einer entsprechenden Datenbasis noch weiter zu verzögern. Dies sind wir allen, die das deutsche Bildungssystem zukünftig durchlaufen werden, schuldig“.
Perspektivisch könnten die schulstatistischen Daten um Daten zum Lernstand ergänzt werden. Die in Deutschland regelmäßig erhobenen VERA-Daten seien nach Auffassung der KMK, so das Positionspapier, ungeeignet, um Kompetenzen zu erfassen und diese über Schulen hinweg einzuordnen. Daher sollten die Lernstandserhebungen so weiterentwickelt werden, dass sie als Indikatoren für den Lernstand dienen könnten. Dies solle auch durch eine datenschutzgerechte Verbindung mit stichprobenbasierten Studien unterstützt werden, wie den IQB-Bildungstrends und dem Nationalen Bildungspanel (NEPS). Das aufzubauende Bildungsverlaufsregister dürfe kein weiteres Datensilo werden.
„Unser Ziel ist nicht der gläserne Schüler, sondern ein transparentes, leistungsfähiges und chancengerechtes Bildungssystem”
Die Daten seien der Forschung so der RatSWD „regelhaft und diskriminierungsfrei zugänglich zu machen“. Nur dies sichere die Transparenz und Qualität wissenschaftlicher Aussagen. „Selbstverständlich“ müsse der Zugang zu den Daten dabei den Schutz des Einzelnen sicherstellen, wie in der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorgegeben. Datenschutz müsse und könne gewährleistet werden.
Kerstin Schneider, Bildungsökonomin und stellvertretende Ratsvorsitzende, ergänzt: „Unser Ziel ist nicht der gläserne Schüler, sondern ein transparentes, leistungsfähiges und chancengerechtes Bildungssystem. Dazu muss man aus der Vergangenheit lernen und Potenziale erkennen. Und das gelingt am besten mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen, für die verlässliche und umfängliche Daten die Voraussetzung bilden.“ Eine transparente Politik sei sowohl im Interesse der Öffentlichkeit als auch einer erfolgreichen Politik, die Zukunftsaufgaben bewältigt. (zab, pm)