Website-Icon News4teachers

Mehr Abordnungen, höhere Unterrichtsverpflichtung: Was der Rechnungshof gegen den Lehrermangel vorschlägt

DRESDEN. Seit Jahren gibt es bei der Unterrichtsversorgung in Sachsen – wie in den meisten anderen Bundesländern auch – wachsende Lücken, trotz Verbeamtung oder Stellenplus. Der Landesrechnungshof des Freistaats hat die Situation analysiert – und kommt zu dem Schluss, dass die Effizienz im Bildungssystem verbessert werden muss (jedenfalls das, was Rechnungsprüfer dafür halten). Lehrkräfte dürften von den vorgeschlagenen Maßnahmen wenig begeistert sein.

Mehr Effizienz – fordert der Landesrechnungshof. Foto: Shutterstock

Lehrerverbeamtung und andere Maßnahmen in den vergangenen Jahren zur Attraktivitätssteigerung des Lehrerberufs haben aus Sicht des Landesrechnungshofs (SRH) nicht zur vollständigen Absicherung des Unterrichts in Sachsen geführt. Ein Sonderbericht sieht vielmehr Potenziale bei Einsparungen im System – als in neuen Stellen.

«Es ist gelungen, die Attraktivität des Lehrerberufs zu erhöhen, aber eine Verlängerung der Möglichkeit der Verbeamtung ist auch an ein Konzept zur Effizienzsteigerung zu binden», sagte der Präsident der Behörde, Jens Michel, bei der Vorstellung der Ergebnisse in Dresden. Die Verstetigung der Verbeamtung von Lehrkräften «auf alle Ewigkeit» werde nicht empfohlen, sondern «eine nüchterne Betrachtung aller Stellschrauben des Systems», bei der es keine Denkverbote geben dürfe. Die Auffassung, mehr Stellen lösten die Probleme, sei veraltet.

Anzeige

«Dienstliche Tätigkeiten, die keine Unterrichtsleistungen darstellen, führen zu einer enormen Reduzierung des Lehrerarbeitsvermögens»

Potenzial hat die Behörde etwa in der Entlastung der Lehrkräfte von unterrichtsfremden Aufgaben sowie beim Thema Abordnung und Versetzung ausgemacht. Auch die im Vergleich eher niedrige Stundenzahl im Grundschulbereich müsse kritisch hinterfragt werden, sagte SRH-Direktorin Isolde Haag. Zudem sollten neue Arbeitszeitmodelle geprüft und weiterentwickelt werden.

Der SRH untersuchte im Zeitraum 2018 bis 2021 die Wirksamkeit des Lehrermaßnahmenprogramms 2016 und des Handlungsprogramms 2018. Laut Haag binden sogenannte Anrechnungs-, Ermäßigungs-, Freistellungs- und Minderungsstunden Lehrerarbeitsvermögen in enormem Umfang. Wenn das um ein Drittel reduziert werden könne, stünden dauerhaft zusätzlich 1.000 Lehrkräfte für den Unterricht zur Verfügung.

«Dienstliche Tätigkeiten, die keine Unterrichtsleistungen darstellen, führen zu einer enormen Reduzierung des Lehrerarbeitsvermögens. Hier sieht der SRH Einsparpotential,  welches für eine bessere Unterrichtsabsicherung genutzt werden könnte», so heißt es wörtlich in dem Bericht.

Ausgeführt wird: «Die Arbeitszeitverordnung für die Lehrkräfte sieht nicht nur schulbezogene Anrechnungsstunden für Schulleitungstätigkeiten, sondern auch für weitere Funktionstätigkeiten wie Fachleiter, Beratungslehrer oder Oberstufenberater sowie für die Wahrnehmung besonderer schulischer und außerschulischer Aufgaben vor.» Zur Wahrnehmung von Funktionstätigkeiten von Lehrkräften und deren Berücksichtigung als Arbeitszeit habe das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) allerdings ausgeführt, dass Funktionstätigkeiten unter die schulbezogenen Tätigkeiten einer Lehrkraft (wie auch die Pausenaufsicht, etc.) zu subsumieren seien – heißt: Eine pauschale Entlastung muss nicht sein. Ein entsprechendes Urteil hat auch das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen jetzt getroffen – News4teachers berichtet.

«Die Instrumente der Abordnung und Versetzung von (verbeamteten) Lehrkräften können stärker genutzt werden»

Die Empfehlung lautet deshalb: «In einer Gesamtschau mit den anderen dienstlichen Aufgaben ist (..) zu prüfen, ob mit der Anordnung von Funktionstätigkeiten der zulässige Rahmen der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit (40 Stunden) überschritten wird. Dieser Entscheidung folgend, müsste bei der Übertragung von Funktionstätigkeiten im Einzelfall geprüft werden, ob die Lehrkraft ihre Wochenarbeitszeit wegen der Ausübung der übertragenen Funktion überschreitet. Nur in diesem Fall wäre die Unterrichtsverpflichtung über die erforderlichen Anrechnungsstunden auszugleichen.» Das BVerwG habe dazu ausgeführt, dass die mit dem Beförderungsamt verbundene zeitliche Mehrbelastung durch planvolle und effiziente Arbeitsorganisation innerhalb der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit bewältigt werden kann. Dies könne der Dienstherr erwarten.

Zudem würden zu wenig Lehrkräfte zur Bedarfsdeckung im ländlichen Raum abgeordnet. So lautet die Empfehlung: «Die Instrumente der Abordnung und Versetzung von (verbeamteten) Lehrkräften zur Verringerung des Gefälles bei der Unterrichtsversorgung (z. B. Stadt-Land-Gefälle) können stärker genutzt werden.»

Seit dem 1. Januar 2019 können grundständig ausgebildete Lehrkräfte an öffentlichen Schulen bis zur Vollendung des 42. Lebensjahres im Freistaat verbeamtet werden. Die Regelung gilt vorerst bis zum 31. Dezember 2023 – und soll nach dem Willen der Regierung entfristet werden. Der Gesetzentwurf wird derzeit im Landtag beraten. Die Verlängerung müsse an ein Konzept zur Effizienzsteigerung im Bildungswesen gebunden werden, sagte SRH-Präsident Michel.

Laut dem Bericht konnten mittels Verbeamtung die Abwanderung von Lehrkräften gebremst und deren Anwerbung erleichtert werden. Andererseits gelte aber: «Mit der Erhöhung der Einkommen wurden auch Anreize für die Lehrkräfte geschaffen, Teilzeitarbeit ohne Einkommensverlust zu wählen und/oder den Teilzeitumfang aufzustocken. Der Effekt
konterkariert das erklärte Ziel aus dem Handlungsprogramm 2018, den Anteil an Teilzeit zu senken.»

Generationswechsel und Fachkräftemangel stellten die Unterrichtsversorgung aber weiter vor Herausforderungen, dazu sei noch bis 2027/2028 mit steigenden Schülerzahlen zu rechnen. Die Zahl der auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Lehrkräfte reiche auch bei besserer Bezahlung nicht aus, um alle freien und freiwerdenden Stellen zu besetzen.

Das Ziel einer hundertprozentigen Unterrichtsversorgung war laut Haag «zu keiner Zeit» gegeben. Das bestehende Defizit habe sich im Mittel aller Schularten gar von rund zwei Prozent auf rund 3,4 Prozent erhöht. Der Freistaat müsse also bis zum Absinken der Schülerzahlen 2028/2029 eine «Durststrecke» überwinden, auf der er die Unterrichtsversorgung mit weniger Personal als gewohnt sicherstellen muss. Aus Sicht des SRH gelingt das nur, «indem er vor allem für mehr Effizienz im Bildungsbereich sorgt».

Nach Angaben von Haag waren im Prüfzeitraum 98 Prozent der Lehrerstellen besetzt, trotzdem fehlten in allen Schularten Lehrerstunden «in Größenordnung». Ein Problem sei der Anteil unterrichtsfremder Tätigkeiten und Verpflichtungen von über 3.000 Lehrervollzeitstellen, damit stünden 13 Prozent des Lehrerarbeitsvermögens dem Unterricht nicht zur Verfügung. Lehrkräfte müssten von Verwaltungsaufgaben, die auf Dritte wie etwa Schulverwaltungsassistenten übertragen werden könnten, entlastet werden, sagte Haag und nannte etwa IT-Koordination, Datenschutz- oder Sicherheitsbeauftragte.

Kultusminister Christian Piwarz (CDU) sieht die Verbeamtung von Lehrkräften zur Nachwuchsgewinnung durch den Prüfbericht bestätigt. «Das Instrument ist teuer, aber notwendig», sagte er laut Mitteilung und sprach sich dafür aus, langfristig an der Lehrerverbeamtung festzuhalten. Die Hinweise im Bericht zur effizienteren Nutzung des vorhandenen Lehrarbeitsvermögens in den nächsten Jahren könne «man nicht unbeachtet lassen».

«Die Schaffung weiterer Stellen – die wegen des Fachkräftemangels nicht besetzt werden können – kann nicht die Lösung sein»

Im SHR-Papier heißt es hingegen: «Die Grundprobleme bei der Sicherstellung der Unterrichtsversorgung sieht der SRH angesichts des allgemeinen Mangels an Lehrkräften (Fachkräftemangel) weniger im Status der Lehrkräfte als Beamte oder Tarifbeschäftigte. Auch die Schaffung der Möglichkeit zur Verbeamtung und der bundesweite Spitzenplatz bei der Bezahlung – jedenfalls bei den sächsischen Grundschullehrkräften – haben keinen Einfluss auf das Problem des Mangels an Lehrkräften auf dem Arbeitsmarkt. Damit bleibt
die Herausforderung der Unterrichtsversorgung weiterhin bestehen. Insofern kann auch die Schaffung weiterer Stellen – die jedoch wegen des Fachkräftemangels nicht besetzt werden können – nicht die Lösung sein.»

Fazit: «Ziel muss sein, das vorhandene Lehrerarbeitsvermögen effizienter für Unterricht zu nutzen. Es muss dabei nicht auf eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit abgezielt werden. Es geht vielmehr darum, den Anteil der unterrichtsfremden Zeit so gering wie möglich zu halten. Auch andere Arbeitszeitmodelle sollten dabei erwogen werden. So könnte z. B. unter Zugrundelegung der Jahresarbeitszeit bei einer 40-Stunden-Woche, unter Einbeziehung der Schulferien, ein Regelstundenmaß errechnet werden. Überdies sollten Doppelhonorierungen durch Arbeitszeitanrechnungen und zusätzliche Entgelte für ein und
dieselbe Tätigkeit ausgeschlossen sein.»

Die Rechnungsprüfer empfehlen dem Kultusministerium in jedem Fall den Mut auch zu unpopulären Entscheidungen: «Zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung darf es keine Tabus geben.»

Für die Linksfraktion im Landtag ist die Verbeamtung kein Allheilmittel. «Es wäre besser, wenn alle Bundesländer darauf verzichten würden, das hilft uns im Moment nicht», sagte deren Bildungspolitikerin Luise Neuhaus-Wartenberg. Auch aus Sicht ihrer SPD-Kollegin Sabine Friedel hat dieser Wettbewerb auf Dauer keinen Erfolg. «Die Länder müssen zu einer gemeinsamen Verabredung zur Lehrkräftesicherung kommen», forderte sie. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zur vollständigen Analyse des Landesrechnungshofs.

Zweifel daran, dass sich mehr Lehrer lohnen: Landesrechnungshof drängt auf größere Klassen

Die mobile Version verlassen