Das Deutsche Menschenrechtsinstitut (DIMR) hat den Bund aufgefordert, für Fortschritte bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention an deutschen Schulen zu sorgen. Die Bundesregierung könne sich hier nicht auf den Bildungsföderalismus berufen, sondern müsse mit dafür sorgen, dass nicht mehr so viele Kinder und Jugendliche mit Behinderungen an Förderschulen unterrichtet würden.
Im aktuellen Jahresbericht des Instituts, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, heißt es: «Vordergründig bekennen sich viele Landesregierungen zur inklusiven Bildung, in der Realität halten sie aber am Förderschulsystem für Schüler*innen mit Behinderungen fest.» Und: «Die deutliche Mehrheit der Bundesländer macht mangels ausreichend ausgeprägtem politischen Willen nach knapp 14 Jahren Verpflichtung zur Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems bei der bestehenden Kompetenz- und Finanzmittelverteilung keine substanziellen Fortschritte – trotz weitreichender nationaler und internationaler Kritik.»
«Aktuell geht in Deutschland mehr als die Hälfte der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf Förderschulen»
Ohne eine Stärkung der Bundeszuständigkeit seien keine Fortschritte zu erwarten. Konkret gefordert wird die «Einführung einer ergänzenden Zuständigkeit des Bundes für bestimmte Elemente eines inklusiven Schulsystems außerhalb des pädagogischen Kernbereichs (Artikel 74 Absatz 1 Nr. 4 GG)» sowie die «Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe zur Schaffung eines inklusiven Schulwesens zur Angleichung und Erweiterung der Standards (Artikel 91b GG)». Darüber hinaus soll ein Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern («Pakt für Inklusion») Druck machen.
Der Anteil der in Förderschulen unterrichteten Schülerinnen und Schüler sei vom Schuljahr 2008/2009 bis zum Schuljahr 2020/2021 lediglich von 4,9 Prozent auf 4,4 Prozent gesunken. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern seien sehr groß. Während in Bremen 0,9 Prozent der Schüler Förderschulen besuchten, seien es in Sachsen-Anhalt 6,5 Prozent. In Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und dem Saarland sei die Quote in den vergangenen zehn Jahren sogar angestiegen.
“Immer wieder legen Lehrer Schülern mit Behinderungen den Wechsel auf eine Förderschule unmissverständlich nahe”
«Das Ergebnis: Aktuell geht in Deutschland mehr als die Hälfte der Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf Förderschulen», so heißt es in dem Bericht. «Zudem verlassen sie diese Schulen meist ohne Abschluss – der Beginn einer lebenslangen Exklusionskette: Jugendliche mit Behinderungen wechseln oft in gesonderte und theoriereduzierte Formen der Ausbildung. In sogenannten Werkstätten für Menschen mit Behinderungen verdienen sie nicht nur weniger als den Mindestlohn, sie haben auch anschließend weniger Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, was mittel- und langfristig zu Arbeitslosigkeit und in Armut führen kann.»
Die Gründe für die de facto-Exklusion seien vielfältig. «Für manche Eltern ist es oft ein beträchtlicher Mehraufwand, einen inklusiven Schulplatz zu organisieren. Anderen wird schon früh vermittelt, dass ihr Kind auf einer Förderschule besser aufgehoben sei. Auch gibt es Eltern, die nur aufgrund unzureichender Informationen eine Förderschule wählen. Und immer wieder legen Lehrer*innen beziehungsweise Regelschulen Schüler*innen mit Behinderungen den Wechsel auf eine Förderschule unmissverständlich nahe.» News4teachers / mit Material der dpa
