Website-Icon News4teachers

Die meisten jungen Menschen informieren sich über Politik nur aus sozialen Medien – und erkennen Desinformation dort nicht

BERLIN. Die Digitalisierung ist breit unter den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland angekommen, wie der Digitalindex der Initiative D21 belegt. Die Schattenseiten: Es gibt eine Gruppe von Abgehängten – und: Insbesondere junge Menschen holen sich Informationen aus den sozialen Medien, deren Wahrheitsgehalt und deren Relevanz sie aber oftmals nicht einschätzen können. Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Realschullehrerverbands, sieht die Kitas und Schulen in der Pflicht.

Wie viel Gehalt steckt in den Sozialen Medien? Illustration: Shutterstock

Für die große Mehrheit der Menschen in Deutschland ist die Digitalisierung fester Bestandteil des eigenen Lebens. Mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger (55 Prozent) gehören zur Digitalen Mitte, die gut im digitalen Wandel mithalten kann. Mehr als jeder Vierte kann sich zu den Digitalen Profis (30 Prozent) zählen. Sie finden sich souverän und kompetent in der digitalen Welt zurecht.  Die digitale Spaltung in der Gesellschaft ist aber nicht aufgehoben: Etwa 15 Prozent bilden die Gruppe der digitalen „Vermeider“, die aktuell wenig am digitalen Leben teilhaben. Vor allem Frauen, ältere Generationen und Menschen mit niedriger formaler Bildung laufen Gefahr, ins digitale Abseits zu geraten und gesellschaftlich und ökonomisch den Anschluss zu verlieren.

Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie D21-Digital-Index 2022/23 der Initiative D21, durchgeführt von Kantar und unter der Schirmherrschaft von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Anzeige

Die Digitalisierung durchdringt danach viele Lebensbereiche, so auch Arbeitswelt und Wirtschaft. Wertschöpfung erfolgt hier immer häufiger und in immer neuen Bereichen auch durch Digitalisierung. 40 Prozent der zwischen 2005 und 2016 neu geschaffenen Berufe sind in digitalintensiven Branchen entstanden. Damit einhergehende Transformationsprozesse sind jedoch nur wenigen Menschen bewusst: Während 80 Prozent der Berufstätigen der Aussage zustimmen, bis 2035 könnten ganze Berufe verschwinden, glauben nur 19 Prozent, dies könne sie selbst betreffen.

„In der Kultur der Digitalität kommt es mehr denn je darauf an, ein Leben lang Schritt zu halten. Sich den Zugang zur digitalen Welt zu erschließen, reicht dabei längst nicht aus”

Zur Herausforderung für den Wohlstand im Land droht das Bildungssystem zu werden, von dem nur 31 Prozent annehmen, dass es Schülerinnen und Schülern ausreichend digitale Fähigkeiten vermittelt, um im internationalen Vergleich mithalten zu können.

Zum Einfluss der Digitalisierung auf die Demokratie ist sich die Bevölkerung uneins. 56 Prozent der Bürgerinnen und Bürger glauben, dass sich die Digitalisierung eher positiv auf die Demokratie auswirkt. Auf der anderen Seite sehen 20 Prozent der Bevölkerung in der Digitalisierung eine Gefahr für die Demokratie, acht Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Fast zwei Drittel (64 Prozent) geben an, dass in ihren Augen Desinformationen eines der größten Risiken für die Demokratie sind; fast ebenso viele (61 Prozent) sind nach eigenen Angaben Desinformationen im Netz bereits begegnet.

Von ungefähr kommen diese Ängste nicht. So ergab unlängst eine Studie des Branchenverbands Bitkom, dass die Sozialen Medien zunehmend die klassischen Medien verdrängen – gerade unter jungen Menschen. 89 Prozent der deutschen Internetnutzerinnen und -nutzer ab 16 Jahren waren in den vergangenen 12 Monaten in sozialen Netzwerken unterwegs, das entspricht rund 54 Millionen Menschen. 80 Prozent haben aktiv Beiträge gepostet, Inhalte hochgeladen oder Kommentare geschrieben, neun  Prozent haben die Plattformen ausschließlich passiv genutzt, z. B. Beiträge gelesen, Bilder oder Videos angeschaut, ohne jedoch eigene Inhalte zu veröffentlichen. Die meisten bewegen sich regelmäßig auf den Plattformen: Für mehr als zwei Drittel (70 Prozent) der Nutzerinnen und Nutzer gehören soziale Netzwerke zum Alltag.

Allerdings gibt es unter den Altersgruppen teils beträchtliche Unterschiede. So dienen die Plattformen jungen Internetnutzerinnen und -nutzern unter 30 stärker als anderen Altersgruppen auch dazu, sich über aktuelle Ereignisse und Politik zu informieren sowie aktiv am politischen Diskurs zu beteiligen: Für 78 Prozent der unter 30-Jährigen ermöglichen soziale Netzwerke den schnellsten Zugang zum aktuellen Weltgeschehen – bei den über 30-Jährigen sind es 59 Prozent.

43 Prozent der Generation U30 sagen: Soziale Netzwerke haben Einfluss auf meine politische Meinung – unter den Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzern über 30 sind es nur 20 Prozent. Und ein Drittel (32 Prozent) der U30-Generation stimmt der Aussage zu, durch soziale Netzwerke die Politik beeinflussen zu können (Ü30: 16 Prozent). Und: Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der unter 30-Jährigen stimmt der Aussage zu, dass sie ohne soziale Netzwerke oft nicht wüssten, was in der Welt geschieht.

„Schulen und Kitas haben den gesellschaftlichen Auftrag, Kinder und Jugendliche auf eine Welt vorzubereiten, die sich immer schneller wandelt”

Um demokratische Prozesse zu stärken, ist deshalb digitale Kompetenz unerlässlich, deren Erwerb schon in Schule und Kita beginnt. Davon ist Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Realschullehrerverbands (VDR) überzeugt – er fordert mit dem Didacta Verband (dessen Vorstand Böhm angehört), digitale Kompetenz fest in die Bildungspläne aller Schulformen und auch schon der Kitas aufzunehmen. „Schulen und Kitas haben den gesellschaftlichen Auftrag, Kinder und Jugendliche auf eine Welt vorzubereiten, die sich immer schneller wandelt. Digitale Aufklärung legt dabei einen Grundstein für lebenslanges Lernen und Teilhabe. Dafür braucht es die richtigen Rahmenbedingungen“, meint Böhm.

Der VDR-Chef betont: „In der Kultur der Digitalität kommt es mehr denn je darauf an, ein Leben lang Schritt zu halten. Sich den Zugang zur digitalen Welt zu erschließen, reicht dabei längst nicht aus. Wir müssen uns auf Kompetenzen verlassen können, die es uns ermöglichen, digitale Zusammenhänge zu erkennen und neue, immer schneller aufeinanderfolgende Entwicklungen anzunehmen, bevor der Veränderungsdruck uns dazu zwingt.“

Lehrkräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher sollen Kindern und Jugendlichen den Weg zu mündigen, kompetenten und reflektierten Nutzerinnen und Nutzern digitaler Medien ebnen. Dafür müssten die Lehrenden schon in der Ausbildung, und später durch geeignete Fortbildungsmaßnahmen, befähigt werden. Sie sollten jungen Menschen dabei helfen, Informationen nicht nur zu finden, sondern auch ihre Richtigkeit zu beurteilen und Fake News zu erkennen. Sie sollten sie anleiten, neue KI-Anwendungen wie ChatGPT zu nutzen, und zugleich deren Funktionsweise zu verstehen, um sich vor möglichen Desinformationen zu schützen.

Auf dem Weg dorthin ist aber noch ein gutes Stück zurückzulegen, so Böhm. Der D21-Digital-Index zeige: Nicht einmal die Hälfte der Schülerinnen und Schüler traut sich zu, die Richtigkeit von Informationen und ihren Quellen zu überprüfen. Gleichzeitig zeigen sie eine hohe Bereitschaft, visuell aufbereiteten Informationen eher zu vertrauen. Ihr Nutzungsverhalten ist vor allem durch bildbetonte Medien wie YouTube, Instagram und TikTok geprägt. Daraus ergebe sich ein klarer Auftrag. Böhm: „Medien- und Informationskompetenz und der Umgang mit Desinformationen gehören in den Lehrplan der Schulen.“ News4teachers

Warum ChatGPT zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen kann – und womöglich bald auch Lehrkräfte entlastet

Die mobile Version verlassen