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Schulschwatz! Der Bildungstalk – Wie können sich Lehrkräfte ihren Optimismus bewahren (trotz der vielen Probleme)?

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DÜSSELDORF. Wie können sich Lehrkräfte trotz der vielen Herausforderungen wenigstens noch das Mindestmaß an Optimismus bewahren, das für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen unumgänglich ist? In der dritten Folge unseres neuen Podcastformates „Schulschwatz! Der Bildungstalk“ sprechen News4teachers Herausgeber Andrej Priboschek und die Pädagogikprofessorin Ines Oldenburg darüber mit dem Organisationssoziologen Prof. Marcel Schütz von der Northern Business School in Hamburg. 

Sich Optimismus zu bewahren, ist nicht leicht – vor allem für Lehrkräfte nicht. Foto: Shutterstock

Das vergangene Jahr bescherte den Schulen eine Vielzahl von Krisen und Herausforderungen. Dazu zählen die Corona-Pandemie, die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, die schnell zu bewerkstelligende Integration von ukrainischen Flüchtlingskindern in das deutsche Schulsystem, der Lehrermangel und die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung mit zu wenigen personellen Ressourcen.

Wie ist aktuell die Stimmungslage an den Schulen? Ines Oldenburg berichtet, dass die derzeitige Belastung an Deutschlands Schulen sehr hoch sei. Das habe viele verschiedene Gründe. Durch die Corona-Pandemie gebe es vieles aufzuarbeiten. Zum Beispiel hätten die Kinder und Jugendlichen nach den Lockdowns viel aufzuholen, vor allem beim Sozialen Lernen sei der Nachholbedarf groß. Auch gebe es Leistungsrückstände in Mathematik, Deutsch und anderen Fächern. Außerdem haben viele Kinder und Jugendliche durch die Corona-Pandemie verursacht psychische Probleme. „Diese Kinder und Jugendlichen sitzen nun in den Klassenzimmern und müssen von sowieso schon überlasteten Lehrkräften unterstützt werden“, sagt Ines Oldenburg. „Viele Schulen haben sich aber auf den Weg gemacht, diese Herausforderungen anzunehmen und mit Optimismus in die Zukunft zu blicken.“

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„In der Coronakrise hatte die Schule viele Ersatz- und Kompensationsfunktionen wahrzunehmen, die man bisher gar nicht kannte”

Andrej Priboschek möchte von Marcel Schütz wissen, was eigentlich ein Organisationssoziologe macht. Dieser beschäftigt sich in erster Linie mit organisatorischen Strukturen wie Firmen, Betrieben, Verwaltung, Schulen und anderen pädagogischen Einrichtungen. Der Soziologe befasst sich mit der Einbindung dieser Organisationen in die Gesellschaft und deren Beziehungen. Dabei geht es vor allem um personelle Beziehungen, die Beschaffenheit von Führungsstrukturen, die Entstehung von sozialen Schwierigkeiten und darum, welche Möglichkeiten zur Veränderung es gibt. „Die Organisationstheorie hat sich sehr früh mit dem Thema Bildung beschäftigt“, erläutert Marcel Schütz. „Am Beispiel von Bildungsorganisationen konnte man gut studieren, was passiert, wenn eine Organisation mit vielerlei Interessen konfrontiert ist. Dazu gehören beispielsweise Erwartungen der Gesellschaft an die Schule oder Vorgaben von der Politik. Auch gibt es eine unterschiedliche pädagogische Expertise der Lehrkräfte für unterschiedliche Fächer und Fachkulturen.“

Wie kann denn trotz der genannten Probleme mehr positives Denken in den Schulen entstehen? Marcel Schütz erläutert, dass die Schule sich in der Herausforderung befindet, allen gerecht werden zu müssen. Eltern, Schüler*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen haben unterschiedliche Erwartungen an die Schule und unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine bessere Schule aussehen soll. Die Schule sieht sich permanenten Reformdiskussionen ausgesetzt – von der Lehrerausbildung bis zum praktischen Unterricht.  „Krisen steigern dann noch die Wahrnehmung, dass man unter Druck steht“, erläutert Marcel Schütz.

„In der Coronakrise hatte die Schule viele Ersatz- und Kompensationsfunktionen wahrzunehmen, die man bisher gar nicht kannte. Da viele Eltern von zuhause aus arbeiten mussten, hatten die Schulen plötzlich die Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen zu beherbergen und zu versorgen. Das heißt: Wenn die Schule ausfällt, können die Eltern nicht mehr arbeiten. Das war völlig neu und viele haben begriffen, wie wichtig der Schulbetrieb für die Gesellschaft ist.“ Die Schulen müssten sich nach außen von diesen vielen Erwartungshaltungen abgrenzen, um nicht zum Spielball der Gesellschaft zu werden, so Professor Schütz weiter. Der primäre Job von Lehrkräften sei die Unterrichtsvermittlung und alle anderen Betreuungsaufgaben stellen eine zusätzliche Belastung dar.

Auch Ines Oldenburg betont, dass es wichtig sei, den Lehrkräften keine Zusatzverantwortung zuzuschreiben. So könne man von ihnen kaum verlangen, sämtliche Erziehungsdefizite von Eltern auszugleichen. Es sei trotzdem schwierig für die Lehrkräfte, sich nicht persönlich für Probleme verantwortlich zu fühlen. Umso wichtiger sei Teamarbeit in den Schulen. Dabei könne vor allem die Schulleitung unterstützen. Marcel Schütz ergänzt, dass gerade die Schulleitung viel Potenzial hat, interne Beziehungsstrukturen und Vertrauen im Team aufzubauen. Diese Unterstützung des Teams kann durch ein regelmäßiges Feedback, Gespräche, Konferenzen und Weiterbildungen erreicht werden. Als Lehrkraft sei man heutzutage oftmals ein Einzelkämpfer und fühle sich in Krisensituationen allein gelassen. Deshalb werde in der Lehrerausbildung zunehmend Wert auf Kollegialität gelegt.

Ines Oldenburg betont, dass die Schulleitung den professionellen Rahmen schaffe, um an der Schule einen Teamprozess zu gestalten und für eine gute Arbeitsatmosphäre zu sorgen. Die Schulleitung habe eine Vorbildfunktion und müsse auf professioneller Ebene den Austausch mit dem Kollegium suchen. „Ich fand es wunderbar, dass ich als Schulleitung die Dinge unmittelbar beeinflussen konnte“, sagt Ines Oldenburg begeistert, die selbst eine Grundschule leitete. „Als Lehrkraft fühlt man sich oft hilflos und glaubt, dass man sowieso nichts an der Situation ändern kann. Als Schulleitung habe ich eine Stellschraube, um aktiv für Veränderungen zu sorgen. Es hat mich begeistert unmittelbar zu erfahren, wie wirkungsvoll ich sein kann.“

Kooperationen innerhalb des Lehrerkollegiums, Wertschätzung und Anerkennung sind wichtig. Aber auch außerschulische Kooperationspartner sollten nicht außer Acht gelassen werden, so Oldenburg. Diese könnten eine Schule entlasten. „Ich möchte Lehrkräfte dazu ermutigen, Schulleitungsverantwortung zu übernehmen“, sagt Ines Oldenburg. „Das ist keine Bürde, sondern ein unfassbar großes Potenzial.“

Müssen die Grenzen des Leistbaren für Schulleitungen und Lehrkräfte festgelegt werden, um Erfolgsmaßstäbe zu setzen? Marcel Schütz betont, dass man bei der Vorstellung, was eine gute Schule ausmacht, Opfer des eigenen Erfolgs geworden sei. Die Vorstellungen darüber, was die Schule zu leisten hat, haben sich in den letzten Jahren weiterentwickelt und verändert. Die Erwartungen an die Leistungen, die eine Schule erbringen muss, sind sogar noch gestiegen. Die Schule wird heutzutage nicht als Lehranstalt betrachtet, sondern sie wird in den gesellschaftlichen Kontext eingebunden. Sie ist sozusagen ein Kosmos, der die Menschen auf verschiedene Vorstellungen in der Gesellschaft vorbereitet.

„Als Lehrkraft transportiere ich das Wissen der Welt an junge Menschen. Dafür muss ich selbst wissbegierig sein. Das Wissen steht im Fokus des Lehrerberufs“

Schulsozialarbeit, Interkulturalität oder geschlechtsspezifische Aspekte habe es vor einigen Jahrzehnten noch nicht gegeben, erläutert Marcel Schütz. Auch die Erwartungen an neue Schulfächer seien gestiegen. Diese hohen Erwartungshaltungen könnten aber auch für Enttäuschungen sorgen. Man könne sich nicht auf ein Modell der guten Schule einigen. Es sei wichtig, die Ressourcen koordiniert einzusetzen, betont Marcel Schütz. Der Kern der Schule sei, trotz aller Erwartungen, eine gute Unterrichtsvermittlung.

Ines Oldenburg erklärt, dass die Schule selbstbewusster gemacht werden müsse. Der Lehrerberuf müsse gesamtgesellschaftlich mehr wertgeschätzt werden, um langfristig dem Lehrermangel entgegenzuwirken. „Als Lehrkraft transportiere ich das Wissen der Welt an junge Menschen“, ergänzt Marcel Schütz. „Dafür muss ich selbst wissbegierig sein. Das Wissen steht im Fokus des Lehrerberufs.“

Andrej Priboschek fragt seine Gesprächspartner, ob man mehr über Erfolge sprechen müsse zum Beispiel über die gelungene Integration syrischer Flüchtlingskinder. „Das wäre wünschenswert“, antwortet Marcel Schütz. Der Fokus liege allzu oft auf schlechten Nachrichten. Es sei daher wichtig, Schulen mit besonderen Projekten als Positivbeispiele medial hervorzuheben. Zum Beispiel könnten die Projekte in Videoclips vorgestellt werden. „Wir müssen uns die Positivbeispiele bewusst machen“, betont auch Ines Oldenburg. „Die Inklusion zum Beispiel kann als Erfolgsgeschichte betrachtet werden, da sie uns dazu ermutigt, über unseren Umgang mit Verschiedenheit nachzudenken“ – trotz aller damit verbundenen Probleme.

Fazit: Gelungene Beispiele könnten Lehrkräften Mut machen, betont Marcel Schütz zum Schluss der Podcastfolge. Trotz des notwendigen positiven Denkens dürfen die Probleme in den Schulen jedoch nicht beiseitegeschoben werden. Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus

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