Website-Icon News4teachers

Lehrermangel: Auch Kretschmann lässt die Teilzeit von Lehrkräften beschneiden (nun doch)

Anzeige

STUTTGART. Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte in Baden-Württemberg arbeiten in Teilzeit. Noch vor knapp einem Jahr war Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) mit einer Initiative gescheitert, die Mindesarbeitszeit heraufzusetzen, um den Lehrermangel zu bekämpfen. Jetzt die Kehrtwende: Seine Kultusministerin Schopper schränkt das Recht auf Teilzeit für Lehrerinnen und Lehrer ein.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) war früher selbst Lehrer – für Biologie, Physik und Ethik. Foto: Shutterstock / Tobias Tropper

Die Katze ist aus dem Sack: Im Kampf gegen den Lehrermangel an Schulen in Baden-Württemberg sollen Lehrkräfte einem SWR-Bericht zufolge bald nur noch begründet weniger als 75 Prozent arbeiten. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) will das Teilzeitmodell vom Schuljahr 2024/2025 an einschränken, wie der Südwestrundfunk, dem der Entwurf des Ministeriums vorlag, berichtete. Ausnahmen sind demzufolge dann Elternzeit, familiäre Gründe und Pflegezeit. Nach SWR-Informationen ist der Entwurf des Kultusministeriums, der ein Paket aus mehr als 20 Punkten umfasst, in der grün-schwarzen Koalition bereits abgestimmt. Das Kultusministerium bestätigte mittlerweile den Bericht.

Wie ist die Mindestarbeitszeit bisher geregelt? Derzeit ist es so, dass Landesbeamte grundsätzlich Anspruch darauf haben, in Teilzeit bis zu 50 Prozent zu arbeiten. Ein Sprecher des Kultusministeriums erklärte, ein Antrag auf Teilzeit aus familiären Gründen, etwa weil ein Kind betreut oder ein Angehöriger gepflegt wird, könne nur abgelehnt werden, wenn zwingende dienstliche Gründe dem entgegenstünden. Die Untergrenze bei der Teilzeit ist seit einer Änderung unter Grün-Rot vor fünf Jahren 25 Prozent – vorher waren es noch 30 Prozent. Solche Anträge werden bei Lehrkräften individuell vom jeweiligen Regierungspräsidium geprüft.

Anzeige

«Man muss auch wissen, an welchem Windrad man dreht, dass dann da auch Wind rauskommt»

Bereits in der vergangenen Woche hatte die Kultusministerin die Wende eingeleitet. Der öffentliche Druck auf Einschränkungen der Teilzeitmöglichkeiten von Lehrkräften werde größer, behauptete Schopper, auch in der persönlichen Rechtfertigung im Freundeskreis oder bei Elternabenden. «Auch wenn ich finde, dass das schon komfortabel ist, sag‘ ich mal persönlich, dass man bis zum 18. Lebensjahr des Kindes da durchaus in der Teilzeit im unterhälftigen Bereich auch sein kann», erklärte Schopper. Das sei in der Lebensrealität vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht üblich.

Für eine Verpflichtung müsste man aber das Beamtengesetz ändern. «Das werden wir nicht anfassen und auch nicht hinkriegen», sagte Schopper. «Man muss auch wissen, an welchem Windrad man dreht, dass dann da auch Wind rauskommt.» Die Landesregierung setze weiterhin auf den freiwilligen Appell an die Lehrer, weniger in Teilzeit zu arbeiten. Eine Woche später gilt das schon nicht mehr.

Bereits vor knapp einem Jahr war Ministerpräsident Winfried Kretschmann (ebenfalls Grüne) vorgeprescht: «Vielleicht müssen wir auch mehr arbeiten», sagte er – Lehrkräfte im Blick.  Die Regelungen bei Teilzeit seien derzeit «sehr großzügig», sodass vor allem viele Lehrerinnen relativ wenige Stunden unterrichteten. Kretschmann bekräftigte, wenn jede Pädagogin in Teilzeit eine Stunde mehr unterrichten würde, gewönne man umgerechnet 1000 Lehrerstellen.

«Die Teilzeit-Lehrkräfte arbeiten nicht deshalb weniger, weil es Spaß macht, weniger Geld zu verdienen»

Die Empörung auf Seiten der Lehrerverbände war groß. Monika Stein, GEW-Landeschefin, nannte den Vorschlag «total daneben». Sie sagte: «Die Teilzeit-Lehrkräfte arbeiten nicht deshalb weniger, weil es Spaß macht, weniger Geld zu verdienen, sondern weil es für sie notwendig ist, Teilzeit zu arbeiten, damit sie ihren Beruf gut ausüben können.» Es gehe auch darum, Familie und Job unter einen Hut zu bringen. Gerhard Brand vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) sagte: «Das Thema Arbeitszeit wird ausgerechnet in einer Phase wieder aus der Schublade geholt, in der Lehrer wegen Pandemie und Krieg bereits lange ohne Murren bis zum Anschlag gearbeitet haben.»

Angesichts des Gegendrucks zog Kretschmann seine Idee, die Mindestarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte in Teilzeit wegen des Lehrermangels zu erhöhen, dann wieder zurück. Das Kultusministerium habe sie umfassend geprüft, erklärte eine Regierungssprecherin. «Allerdings hat die Prüfung ergeben, dass wir dadurch lediglich 80 bis 120 Deputate gewinnen würden. Deshalb werden wir die Idee nicht weiterverfolgen.» Heraus kam lediglich ein Brief der Landesregierung an die Lehrkräfte, in dem appelliert wurde, die Arbeitszeit individuell aufzustocken.

Warum die Initiative jetzt doch wieder hervorgeholt wird? Die Landesregierung hat durch ein Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz zum Lehrermangel Rückendeckung bekommen – darin wird unter anderem genau das empfohlen: eine Einschränkung der Teilzeit. Mittlerweile haben einige Bundesländer angekündigt, entsprechend verfahren zu wollen (News4teachers berichtete).

Und Schopper will noch an einer weiteren Schraube drehen: Ein sogenanntes Sabbatjahr soll künftig erst nach fünf Jahren im Dienst gewährt werden. Ein weiteres Freistellungsjahr soll dann wieder erst nach fünf Jahren erlaubt sein. Den Angaben zufolge sind im laufenden Schuljahr rund 900 Sabbaticals genehmigt. Trotz – oder wegen? – des deutlichen Personalmangels an den Schulen entscheiden sich laut Statistischem Landesamt im Südwesten immer mehr Lehrerinnen und Lehrer für Teilzeit. Im Schuljahr 2021/2022 arbeiteten knapp 56,6 Prozent und somit mehr als die Hälfte der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen nicht voll. News4teachers / mit Material der dpa

VBE: Das Einschränken von Teilzeit im Lehrerberuf trifft vor allem Frauen!

Anzeige
Die mobile Version verlassen