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Kollaps des Bildungssystems? Grundschule meldet, dass 40 Kinder wohl die erste Klasse wiederholen müssen – nicht schulreif

LUDWIGSHAFEN. Grundschulen in sozial schwierigen Lagen kämpfen zunehmend auf verlorenem Posten. Was das in der Praxis bedeutet, macht ein aktueller Fall aus Ludwigshafen anschaulich: Dort müssen absehbar 40 Kinder das erste Schuljahr wiederholen – an einer einzigen Schule. Die GEW sagt Schlimmes voraus: „Da kommt eine Welle auf uns zu.“

Steht das Bildungssystem vor einem Kollaps? Foto: Shutterstock

„An den Grundschulen wird der Grundstein für alle weite­ren Bildungsprozesse gelegt. Dem von den Lehrkräften umzusetzenden Bildungs- und Erziehungsauftrag kommt daher eine besondere Rolle zu. Leider hat der Primarbereich in den letzten Jahren von der Landesregierung zu wenig Berücksichtigung erfahren. Die Folgen sind deutlich spürbare Missstände an den Schulen“, erklärte Christiane Herz von der GEW Rheinland-Pfalz unlängst. Der Anlass: eine Landtagsanhörung, die sich mit den – auch für Rheinland-Pfalz schlechten – Ergebnissen des IQB-Leistungsvergleichs bei Viertklässlerinnen und Viertklässlern beschäftigte.

„Die Herausforderungen im Schulalltag“, führte Herz aus, „und die damit verbundene Mehrbelastung der Kolleginnen und Kollegen sind in den letzten Jahren gestiegen. Die Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz muss nun endlich ihr Augenmerk auf die besonderen Aufgaben und Herausforderungen der Beschäftig­ten an Grundschulen richten. An Grundschulen lernen vereint Kinder verschiedenster sozialer und kultu­reller Herkunft mit unterschiedlichsten Startvoraussetzungen. Wir haben die Aufgabe, all diese Kinder in der Entwicklung ihrer Potenziale zu unterstützen und in ihren individuellen Entwicklungsbedürfnissen zu fördern.“

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Was das in der Praxis bedeutet, wenn Schulen dabei aufgrund der Bedingungen scheitern, macht ein aktueller Fall anschaulich – eine Grundschule in Ludwigshafen schlägt Alarm: 40 Erstklässlerinnen und Erstklässler müssen absehbar die erste Klasse wiederholen, wie der SWR berichtet. Die Schulleiterin erklärte gegenüber dem Sender, sie sei „überrascht und schockiert“ gewesen, als sie erfahren habe, dass 40 Schüler – rund ein Drittel der Erstklässler – wohl die erste Klasse wiederholen müssen. „Oh je, das sind ja zwei Klassen!“

Der Hintergrund: Die Schule liegt in einem sozial schwachen Stadtteil. Praktisch alle Kinder dort, 450 Schülerinnen und Schüler besuchen die Schule, haben einen Migrationshintergrund. Einige von ihnen würden eingeschult, ohne Deutsch zu können, heißt es in dem Bericht.

Nicht nur der soziale und sprachliche Hintergrund ist schwierig. Auch die Vorbereitung auf die Schule sei unzureichend – es gebe in Ludwigshafen zu wenige Kita-Plätze. Im Unterricht zeige sich, dass manche Kinder nie auf den Unterricht vorbereitet wurden, berichtet die Schulleiterin. Viele müssten zunächst lernen, still auf ihrem Platz zu sitzen und sich zu konzentrieren. Das, was Kinder üblicherweise in der Kita lernen – Stifthaltung, Feinmotorik – fehle. Und das müssten die Erstklässlerinnen und Erstklässler dann im Unterricht nachholen, wodurch sie fachlich in Verzug geraten.

Von Zuhause komme meist wenig Unterstützung. Manche Eltern verfügten selbst nicht über eine solide Schulbildung, erzählt die Rektorin. Deshalb sei es für manche Eltern nicht einmal selbstverständlich, dass ihre Kinder regelmäßig Hausaufgaben machen – oder auch nur morgens rechtzeitig aufstehen. Damit sich die Situation in der Ludwigshafener Grundschule bald ändert, fordert die Schulleiterin mehr Kita-Plätze in Ludwigshafen. Außerdem müsse es mehr Lehrkräfte geben. Die bisherigen Maßnahmen reichten einfach nicht aus.

„Generell müssen wir feststellen, dass mehr Menschen zu uns kommen, die eine stärkere Unterstützung brauchen, um zu verstehen, wie wichtig unser Bildungssystem ist“

Der GEW-Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer sagt gegenüber dem SWR, er sei angesichts der Situation in Ludwigshafen schockiert. „Ich glaube, da kommt eine Welle auf uns zu von Schülerinnen und Schülern, die nicht so vorgebildet sind, wie wir das gewohnt sind und wir müssen uns darauf vorbereiten“, so Hammer. Dass so viele Kinder nicht schulfähig seien, sei dramatisch und neu.

Er betont: „Generell müssen wir feststellen, dass mehr Menschen zu uns kommen, die eine stärkere Unterstützung brauchen, um zu verstehen, wie wichtig unser Bildungssystem ist“, so Hammer weiter. Die Grundschulen würden das personell nicht mehr schaffen. Der GEW-Landeschef unterstützt deshalb die Forderung der Ludwigshafener Schulleiterin, Grundschulklassen künftig mit zwei Lehrkräften zu besetzen. Oder auch mit einer zweiten Fachkraft, die als Dolmetscherin beim Deutschlernen unterstützen könne.

Die Schulleiterin weiß, dass sie darauf in absehbarer Zeit darauf nicht hoffen darf – und ist deshalb selbst aktiv geworden. Sie hat sich deshalb Unterstützung vom Chemiekonzern BASF organisiert, der seit Kurzem ein Projekt finanziert. Titel „Fit für einen guten Start in die Schule: Spielerisch Motorik, Ausdauer und Konzentration schulen“. News4teachers

Hier geht es zum Bericht des SWR (Video von der Sendung).

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