POTSDAM. In ethnisch vielfältigeren Klassen haben geflüchtete Kinder und Jugendliche tendenziell mehr Freunde und werden deutlich seltener als Tischnachbarn abgelehnt als in weniger vielfältigen Klassen, zeigt eine aktuelle Studie. Der besseren sozialen Integration stehen aber auch Nachteile gegenüber.
In ethnisch diverseren Schulklassen haben Schülerinnen und Schüler mit Fluchthintergrund mehr Freundinnen und Freunde und erfahren weniger Ablehnung als in homogeneren Klassen. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam um den Potsdamer Bildungsforscher Georg Lorenz in einer aktuellen Studie. Darin stellen die Forscherinnen und Forscher auch Hinweise auf Ursachen für ihren Befund vor: „In diverseren Klassen gibt es mehr Möglichkeiten für Kontakte zu Peers aus eingewanderten Familien. Diese freunden sich öfter mit geflüchteten Jugendlichen an und lehnen diese seltener ab“, so Lorenz. Zudem seien Peers aus der Mehrheitsgesellschaft in diverseren Klassen aber auch offener gegenüber Geflüchteten.
Aktuell ist rund ein Prozent der Weltbevölkerung auf der Flucht, darunter viele Kinder und Jugendliche. Für eine erfolgreiche Teilhabe benötigen diese nicht nur Zugang zu formaler Bildung, sondern auch positive Beziehungen zu Gleichaltrigen. Um zu beantworten, ob und wie eine derartige soziale Integration gelingen kann, haben die Forscherinnen und Forscher die Peer-Beziehungen von jugendlichen Geflüchteten in Schulen untersucht. Für ihre Studie analysierten sie die Freundschafts- und Ablehnungsnetzwerke von 39.154 Sekundarschülerinnen und -schülern in 1.807 Klassen.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Unterbringung von geflüchteten Jugendlichen in einem Schulumfeld, das bereits ethnisch vielfältig ist, in gewissem Maße ihre soziale Integration fördern kann“
Die Ergebnisse zeigten, dass geflüchtete Kinder und Jugendliche einige Jahre nach ihrer Ankunft in ihren Klassen weniger sozial integriert seien als Gleichaltrige, die der ethnischen Mehrheit oder einer ethnischen Minderheit ohne Fluchthintergrund angehören. In ethnisch vielfältigeren Klassen würden sie jedoch deutlich seltener abgelehnt als in weniger vielfältigen Klassen.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Unterbringung von geflüchteten Jugendlichen in einem Schulumfeld, das bereits ethnisch vielfältig ist, in gewissem Maße ihre soziale Integration fördern kann“, sagt Lorenz. Da ein positiver Kontakt mit Gleichaltrigen der Mehrheitsgruppe für den akademischen Erfolg und die schulische Anpassung von Schülern mit Migrationshintergrund entscheidend sei, könnte die Zuweisung von geflüchteten Jugendlichen an ethnisch vielfältige Schulen und Klassen auch ihre künftigen Lebenschancen fördern.
Gleichwohl lasse sich daraus keine direkte Empfehlung ableiten, so der Bildungsforscher. Denn auf der anderen Seite profitiere beispielsweise die Entwicklung der Mehrheitssprache bei geflüchteten Jugendlichen von vielen Kontakten zu Schülerinnen und Schülern der Mehrheitsbevölkerung – und Sprachkenntnisse seien ein entscheidender Faktor für schulischen Bildungserfolg. Außerdem könnte die Zuweisung von geflüchteten Jugendlichen zu Schulen mit größerer Vielfalt die Segregation insgesamt verstärken.
„Entscheidend ist, dass die durch stetige Zuwanderung wachsende Vielfalt in Deutschland langfristig mehr oder weniger automatisch zu einem Abbau von ethnischen Ungleichheiten beitragen kann“, so Lorenz. Die Empfehlung der Forscher zielt deshalb auf die besondere Unterstützung von Schülerinnen und Schüler mit Fluchthintergrund in der jetzigen Situation ab: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass den geflüchteten Jugendlichen in Klassen mit geringer Vielfalt besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, um Ausgrenzungsprozesse zu vermeiden und eine erfolgreiche soziale Integration zu ermöglichen.“ Die Ergebnisse der Studie sind im Wissenschaftsjournal „Nature Human Behaviour“ publiziert. (pm) News4teachers