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Flucht aus dem staatlichen Schulsystem: Die Privatschulen erleben einen Nachfrage-Boom (stoßen aber an Grenzen)

BERLIN. Montessori, Waldorf, christlich geprägt oder konfessionslos: Schulen in freier Trägerschaft haben häufig ein klares Profil. Das scheint viele Eltern anzusprechen. Die Privatschulen erleben einen Nachfrageboom. Die Kehrseite: Immer öfter werden Kinder abgewiesen. Und: Der Lehrkräftemangel plagt auch die Schulen in freier Trägerschaft.

Der Zustand des staatlichen Schulsystems treibt immer mehr Eltern zu den Privatschulen. Illustration: Shutterstock

Schulen in freier Trägerschaft verbuchen in Deutschland einen hohen Zulauf. Beispiel Thüringen: «Die Nachfrage nach Schulplätzen in freier Trägerschaft ist regelmäßig höher als die verfügbaren Platzkapazitäten», erklärt Marco Eberl, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Schulträger im Freistaat (LAG). Dem Bildungsministerium zufolge gibt es in Thüringen aktuell 158 Schulen in freier Trägerschaft – Tendenz: steigend.

Die große Nachfrage können auch die Schulen direkt bestätigen. So gab es einem Sprecher des Bistums Erfurt zufolge an der Edith Stein Schule in Erfurt im laufenden Schuljahr 138 Anmeldungen für die 75 neuen Plätze im gymnasialen Zweig der Schule, die dazugehörige Regelschule verzeichnete 75 Bewerbungen für 24 Plätze.  Die Waldorfschule in Erfurt muss Schulleiterin Andrea Fabry zufolge seit einigen Jahren rund zwei Drittel der Bewerber ablehnen, obwohl die Klassengrößen bereits etwas nach oben angepasst worden seien. In der Emil-Petri-Schule in Arnstadt kommen auf einen Platz der Gemeinschaftsschule in der Regel rein rechnerisch 1,5 Bewerbungen, so der Schulleiter.

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Beispiel Brandenburg: Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen im Land (AGFS) werden im aktuellen Schuljahr 2022/23 in 188 Schulen rund 34.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Im Schuljahr 2020/21 seien es noch 182 Schulen mit etwa 33.000 Schülern gewesen. Für das kommende Schuljahr habe das Bildungsministerium weitere Bescheide zur Genehmigung für Schulen in freier Trägerschaft angekündigt, sagte AGFS-Geschäftsführer Dirk Seifert.

Ebenfalls deutlich verläuft der Zuwachs in Sachsen. Der Statistik zufolge ist die Zahl der allgemeinbildenden Privatschulen im Freistaat von 2013 bis 2022 von 195 auf 248 gestiegen. Zum Vergleich: In Sachsen gibt es 1.559 öffentliche allgemeinbildende Schulen. Die Schülerzahl stieg bei den privaten Schulen im gleichen Zeitraum von 31.511 auf 46.858, also um rund 50 Prozent. Allein seit 2021 sind innerhalb nur eines Jahres rund 2.000 Schüler hinzugekommen.

«Es gelingt freien Schulen, die Bedürfnisse der Schüler und Eltern stärker in den Fokus zu nehmen und eine ‘Dienstleistungsmentalität’ anstatt einer Verwaltungsmentalität aufzubauen»

Der Trend lässt sich auch bundesweit beobachten: Im Schuljahr 2018/19 gab es in Deutschland 5.811 allgemeinbildende und berufliche Privatschulen, 14 Prozent aller Schulen. Im Schuljahr 1992/93 hatte es dagegen erst 3.232 Privatschulen in Deutschland gegeben – ein Plus von 80 Prozent.

Freie Träger können etwa Kirchen, aber auch Wohlfahrtsorganisationen, Stiftungen oder Vereine sein. Im Gegensatz zu staatlichen Schulen, die vollständig durch die öffentliche Hand finanziert werden, sind freie Schulen auf Schulgelder angewiesen. Diese seien in der Regel sozial gestaffelt, im Schnitt liege das Schulgeld zwischen 100 und 200 Euro im Monat, so die LAG Thüringen. Bei diesen Kosten sei aber etwa eine Ganztagsbetreuung eingeschlossen, die bei staatlichen Schulen teils noch gesondert gezahlt werden müsse. In den vergangenen Jahren habe der Anteil der Schüler an freien Schulen konstant zugenommen, so die LAG.

Grund für die Attraktivität der freien Schulen sind der LAG zufolge unter anderem die Unterschiede in Lehre und Lernen sowie die größeren Mitbestimmungsmöglichkeiten der Eltern. Oft würden reformierte Lernkonzepte verfolgt, freie Schulen könnten zudem flexibler auf neue Herausforderungen reagieren. Das erleichtere etwa die Einrichtung eines Ganztagsschulkonzepts oder die Digitalisierung. Zudem gelinge es freien Schulen, die Bedürfnisse der Schüler und Eltern stärker in den Fokus zu nehmen und eine «Dienstleistungsmentalität» anstatt einer Verwaltungsmentalität aufzubauen.

Die Geschäftsführerin des Landesverband Sachsen-Thüringen des Verbandes Deutscher Privatschulen, Manja Bürger, sieht als Gründe für den anhaltenden Zulauf zu den Privatschulen die Unzufriedenheit der Menschen mit staatlichen Schulen, einer weniger motivierten Lehrerschaft dort. Außerdem gebe es in Privatschulen teilweise kleinere Klassen oder auch geringeren Stundenausfall. Mitunter seien Freie Schulen auch moderner ausgestattet und bei der Digitalisierung weiter als staatliche. Andere Eltern kämen zu freien Schulen, weil sie deren Konzepte überzeugten.

«Wir beobachten aktuell mit Sorge die wieder stärker werdende Ungleichbehandlung von freien und staatlichen Schulen durch das Bildungsministerium»

Ein Problem, das Privatschulen in vielen Bundesländern betrifft, ist allerdings das Ringen um die Finanzen mit den Landesregierungen. Der Staat ist dazu verpflichtet, einen Großteil der Betriebskosten zu tragen (schließlich übernehmen die Privatschulen eine Pflichtaufgabe des Staates) – überlässt den privaten Schulträgern aber stets einen Eigenanteil. Wie hoch der ausfällt (und wie er berechnet wird), ist allerdings Verhandlungssache. Und immer wieder ein Streitpunkt.

Marco Eberl von der LAG Thüringen beklagt dabei eine aus seiner Sicht ungenügende Finanzierung der freien Schulen im Freistaat. «Wir beobachten aktuell mit Sorge die wieder stärker werdende Ungleichbehandlung von freien und staatlichen Schulen durch das Bildungsministerium», so Eberl. «Die aktuelle Nichtanerkennung von Verwaltungskosten und Abschreibungen ausschließlich bei freien Schulträgern gefährdet die Stabilität des gesamten Schulnetzes und den Schulfrieden im Land.»

Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es aktuell Streit um die Finanzierung freier Schulen. Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) erklärte unlängst, aufgrund einer turnusmäßigen Neuberechnung der Kostensätze würden die Zuwendungen des Landes pro Grundschüler zwar steigen, gleichzeitig aber gebe es für Gymnasiasten geringere Pro-Kopf-Zuschüsse. Die Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen in Mecklenburg-Vorpommern sieht dadurch eine Reihe von Privatschulen im Land vor massive finanzielle Probleme gestellt. Vor allem in den oberen Bildungsgängen zeichneten sich drastische Kürzungen ab. «Das ist für manche Schulen existenzbedrohend», heißt es.

Zweiter Problempunkt: der Lehrkräftemangel, von dem auch zunehmend freie Schulen betroffen sind. Dabei macht sich bemerkbar, dass das Gehaltsniveau an freien Schulen nicht immer mit den Konditionen im Beamtenstatus mithalten kann. Während kirchliche Schulen ihre Lehrer nach dem Tarifvertrag der jeweiligen Landeskirche bezahlen, der dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) entspricht – und auch den Beamtenstatus anbieten können –, verweist der Verband der Waldorfschulen darauf, dass diese im Vergleich zu öffentlichen Arbeitgebern nicht mithalten könnten. Die Attraktivität der freien Schulträger als Arbeitgeber bemesse sich aber für viele Lehrkräfte nicht nur am Gehalt, sagte der Brandenburger AGFS-Geschäftsführer Seifert. Hinzu kämen Kriterien wie die Vielfalt pädagogischer Modelle, kurze Entscheidungswege oder geringere Lerngruppengrößen.

Die Brandenburger VDP-Geschäftsführerin Sabina Bothe nennt noch einen anderen Aspekt. So versuche der Staat vereinzelt, Lehrkräfte von Privatschulen gezielt abzuwerben. «Dies ist ein ungleicher Wettbewerb, da der Staat allein für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern verantwortlich ist», sagte Bothe. Zudem verschärfe die Besoldung der verbeamteten Lehrkräfte an öffentlichen Schulen und die Verbeamtung für Seiteneinsteiger den Wettbewerbsnachteil für Schulen in freier Trägerschaft. Der VdP fordert daher, Schulen in freier Trägerschaft flächendeckend in den Vorbereitungsdienst für Lehrer mit einzubeziehen.

Nicht nur der Lehermangel sorgt allerdings dafür, dass der Nachfrage-Boom nun nicht dazu führt, dass die Zahl der Privatschulen in Deutschland sprunghaft steigt – es gibt einen weiteren, überaus schlichten Grund, wie die sächsische VDP-Geschäftsführerin Bürger anmerkt. Oft fehlten vor allem in Ballungsräumen dafür die geeigneten Immobilien, Gebäude oder Grundstücke, um neue Schulen zu gründen. Bürger: «Und ohne die geht es nicht.» News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert.

Das staatliche Schulsystem schafft es nicht, alle Schüler bedarfsgerecht zu fördern – deshalb sind Privatschulen nötig

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