LEIPZIG. Während die Kirchen in der medialen Wahrnehmung derzeit eher schlecht wegkommen, wird die Bibel in ihrer Stellung für Glauben und Kultur wesentlich weniger angezweifelt. Allerdings lesen nur noch wenige Menschen darin, haben Theologen der Uni Leipzig ermittelt.
Zumindest dem Klischee nach bestand Unterricht in früheren Zeiten, wenn es ihn denn überhaupt gab, bei niedrigeren Bevölkerungsschichten vor allem darin, in der Bibel zu lesen und die Bibel bildete die einzige Lektüre im Haus. Doch wie steht es eigentlich heute um das „Buch der Bücher“? Theologinnen und Theologen der Universität Leipzig unter Leitung des Religionssoziologen Gert Pickel und seines Kollegen Alexander Deeg haben insgesamt gut 1.200 Menschen mit und ohne kirchliche Bindung nach ihrem Gebrauch und Verständnis der Bibel befragt. Im Rahmen des Projekts „Multiple Bibelverwendung in der spätmodernen Gesellschaft“ wurden Probandinnen und Probanden ab 16 Jahren nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Ein Drittel von ihnen war konfessionslos, ein weiteres Drittel evangelisch und ein Drittel katholisch. Die Befragung erfolgte telefonisch oder digital.
Nur ein geringer Teil der deutschen Bevölkerung liest demnach regelmäßig in der Bibel. Deutlich mehr Menschen fanden aber ihre Inhalte interessant. Nur etwa 30 Prozent der Deutschen nutzen sie mindestens einmal jährlich. Täglich lesen in ihr 1,6 Prozent, wöchentlich 3,2 Prozent. Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten besitzt überhaupt noch ein gedrucktes Exemplar. Andererseits fanden selbst 40 Prozent der Menschen ohne Konfessionszugehörigkeit biblische Inhalte interessant.
Im Vergleich zu Zahlen aus der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD aus dem Jahr 2014 sei der Anteil der Bibelleser zwar nicht gesunken, allerdings sei die Häufigkeit der Nutzung zurückgegangen. Dennoch stellt Alexander Deeg fest. „Wir sehen, dass die Anzahl der Nichtleser hoch ist“. Gert Pickel fügt hinzu: „Mich hat die relativ geringe Nutzung der Bibel unter Katholiken und Protestanten überrascht.“ Als Grund gaben die Nichtnutzerinnen und -nutzer meist fehlende persönliche Relevanz der Bibel für ihr Leben an. So antworteten 80 Prozent von ihnen an, sie würden keinen Grund sehen, die Bibel zu lesen. Dennoch zeige die Studie, dass „die Bibel als kulturelles Erbe für die Gesellschaft wichtig“ sei, so Pickel.
Die für Deeg überraschend hohe Zahl der Menschen mit Interesse an biblischen Inhalten biete die Chance, mit neuen, kreativen Angeboten zur Bibelnutzung jenseits der klassischen Orte wie dem Gottesdienst in der Kirche das allgemeine Interesse an der Bibel zu steigern. Als Beispiel nannte er das 929-Projekt in Israel, bei dem eine große Community jeden Tag eines der 929 Kapitel der Bibel allein liest und sich dann über eine App dazu austauscht. „Das wäre auch etwas für Deutschland. Ich bin dazu bereits mit der Kirche im Gespräch“, berichtet Deeg.
Gert Pickel regte an, die bereits bestehenden und vermehrt von Jüngeren genutzten digitalen Angebote zur Rezeption der Bibel auszubauen. Auch könne er sich beispielsweise in kirchlichen Altenheimen gemeinsame Bibelleserunden vorstellen. Digitale Formate ersetzten die gedruckte Bibel jedoch nicht. Ungefähr 11 Prozent der Bibellesenden nutzen die Bibel der Studie zufolge als E-Book, als App oder auf Webseiten im Internet häufig. Die Hörbibel wird vor allem von älteren Befragten häufig genutzt (9 Prozent).
Die Bibelsozialisation vollziehe sich nach den Worten Pickels maßgeblich im Alter von 4 bis 14 Jahren. Ein späterer Erstkontakt mit der Bibel sei eher selten. Sozialisationsorte der Bibel seien vorrangig der Religionsunterricht an Schulen, Gottesdienste und Vorbereitungsunterricht für Konfirmation und Firmung, gefolgt von den Eltern und Großeltern. Die Mehrheit der Befragten begegne der Bibel vorrangig im Gottesdienst. Die Studie ergab auch, dass mehr Männer als Frauen zur Bibel greifen.
Bibelleserinnen und -leser sind der Studie zufolge überwiegend der Meinung, dass ihnen dieses besondere Buch auch heute noch etwas zu sagen habe und die Ansprüche der Bibel durchaus auf die heutige Zeit übertragen werden könnten. 90 Prozent von ihnen und 63 Prozent derjenigen, die nicht in ihr lesen, sind der Ansicht, dass die Bibel zentrale Normen und Werte für die Gesellschaft überliefert. 46 Prozent derjenigen, die noch in der Bibel lesen, vertraten darüber hinaus die Meinung, dass Politik auf Grundlage der Bibel betrieben werden sollte. Die Mehrheit der Leserinnen und Leser empfand es als bereichernd, wenn die Inhalte unterschiedlich ausgelegt würden. „Diese pluralen Deutungen haben mit den unterschiedlichen Lebenssituationen zu tun“, schließt Alexander Deeg. (zab, pm)
Christen werden knapp: Land sucht nach Wegen für den Religionsunterricht
