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Die AfD schürt Ängste gegen Aufklärung in Kitas und Schulen: “Kleine Kinder werden verwirrt, ob sie Jungen oder Mädchen sind”

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HANNOVER. Die AfD im niedersächsischen Landtag will die sexuelle Aufklärung von Kindern und Jugendlichen einschränken. In einem am Montag vorgestellten Antrag fordert die Fraktion unter anderem, «sicherzustellen, dass in Krippen und Kindergärten keine Sexualaufklärung mehr stattfindet». Das soll angeblich Missbrauchsversuchen vorbeugen. Auch vor transgeschlechtlichen Menschen schüren die Rechtsaußen-Politikerinnen und -Politiker Ängste.

Was passiert mit Kindern, denen von Transmenschen vorgelesen wird? Foto: Shuttestock

So sollen Buchlesungen von Transgenderpersonen, die sich mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen befassen, in Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie an Schulen untersagt werden, fordert die AfD. Bezug genommen wird damit offensichtlich auf eine Lesung von zwei Dragkünstlern für Kinder in München, die rechte Gruppen zum Anlass genommen hatten, gegen eine angebliche Frühsexualisierung zu protestieren und die Initiatoren zu bedrohen. Weder ging es bei der Lesung um sexuelle Aufklärung (Thema war: «Es ist okay, anders zu sein»), noch fand sie in einer Kita oder in einer Schule statt. Es handelte sich um eine Veranstaltung der Münchner Stadtbücherei, zu der sich Eltern mit ihren Kindern anmelden konnten.

Die AfD ficht das nicht an. «Wir sind nicht gegen Sexualerziehung, wir halten das aber tatsächlich in Kitas für ein No Go», sagte AfD-Fraktionschef Stefan Marzischewski-Drewes. Kleine Kinder würden verwirrt, ob sie Jungen oder Mädchen sind, und homosexuelle Minderheiten instrumentalisiert, um Kinder umzuerziehen. «Wir sind der Meinung, das hat im Kindergarten nichts zu suchen», sagte Marzischewski-Drewes.

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«Im Interesse der Kinder ist sicherzustellen, dass in Krippen und Kindergärten keine Sexualaufklärung mehr stattfindet, auch um etwaigen Missbrauchsversuchen vorzubeugen»

In der Begründung des Antrags, der am Freitag auf der Tagesordnung des Landtags steht, greift die Rechtsaußen-Partei, die vom Verfassungsschutz als «rechtsextremer Verdachtsfall“ und in Teilen als «gesichert rechtsextremistisch“ geführt wird, auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung an, immerhin eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums. «Die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung betriebene ‚Sexualaufklärung‘ (Anführungsstriche im Original, d. Red.) lässt zunehmend ernsthafte Zweifel darüber aufkommen, ob sie in Gänze als altersgerecht und inhaltlich angemessen beurteilt werden kann», behauptet die AfD.

Und weiter: «‘Medienpakete‘ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Anführungsstriche im Original, d. Red.) wie die Kindergartenbox unterstreichen derartige unangemessene Vorstellungen, indem sie wie die besagte Informationsbroschüre apodiktisch unterstellen, dass Kleinkinder in der Regel natürliche sexuelle Wünsche hätten, die in jedem Falle aufzugreifen, zu unterstützen und auszuleben seien. Tatsächlich entsteht hierbei vielmehr der Eindruck, dass es sich um eine gezielte Frühsexualisierung von Kindern im Allgemeinen handelt, insbesondere solchen, die in ihrem jungen Alter für jedwede Art von ‚Sexualaufklärung‘ (Anführungsstriche im Original, d. Red.) aus sich selbst heraus eigentlich nicht zugänglich wären und damit am liebsten nicht konfrontiert werden möchten.»

Weiter behauptet die AfD: «Die aufgedrängte Konfrontation durch staatlich autorisierte Erzieher und damit faktische Erlaubnis von Frühsexualisierung erfolgt zumeist gegen das hochsensible wie verletzliche Schamgefühl der Kinder und den ausdrücklichen Willen der Eltern. Dadurch stellt sie einen unzulässigen Eingriff in die natürliche Entwicklung der Kinder und in das vom Grundgesetz garantierte Elternrecht auf Erziehung dar. Neben seelischen Verletzungen der Kinder kann dies auch zur Folge haben, dass die Hemmschwelle von Kindern, sich gegen Übergriffe zu wehren, gesenkt wird. Insofern ist im Interesse der Kinder sicherzustellen, dass in Krippen und Kindergärten keine Sexualaufklärung mehr stattfindet, auch um etwaigen Missbrauchsversuchen vorzubeugen.»

Was meint die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Thema Sexualaufklärung (BZgA)? Zunächst mal hat sie einen formalen Auftrag dazu: Das Schwangerschaftskonfliktgesetz sieht vor, dass die BZgA «unter Beteiligung der Länder und in Zusammenarbeit mit Vertretern der Familienberatungseinrichtungen aller Träger Konzepte entwickeln und bundeseinheitliche Maßnahmen zur Sexualaufklärung und Familienplanung erarbeiten und verbreiten» soll. Konkretisiert ist dieser Auftrag in einem mit den Bundesländern abgestimmten Rahmenkonzept zur Sexualaufklärung.

«Eine ganzheitliche positive Sexualaufklärung stellt einen wichtigen Beitrag dar zur Prävention des sexuellen Missbrauchs»

«Dieses Rahmenkonzept geht laut von einem umfassenden Begriff von Sexualität aus“, so heißt es. «Sexualität ist danach ein existentielles Grundbedürfnis des Menschen und ein zentraler Bestandteil seiner Identität und Persönlichkeitsentwicklung. Für jeden Menschen ist Sexualität mit ganz unterschiedlichen Hoffnungen, Erwartungen und Erfahrungen verbunden; sie ist darüber hinaus eingebettet in ein komplexes Netz aus Normen und Wertvorstellungen auf gesellschaftlicher Ebene. Eine darauf aufbauende Sexualaufklärung und Familienplanung beschränkt sich nicht auf bloße Wissensvermittlung über biologische Vorgänge wie Zeugung und Schwangerschaft, sondern thematisiert neben sachlichen Informationen auch die Beziehungen zwischen Menschen. Damit sind Liebe, Freundschaft und Emotionalität ebenfalls Gegenstand einer ganzheitlich orientierten Aufklärungsarbeit. Ziel ist es, Menschen zu einem eigen- und partnerverantwortlichen, gesundheitsgerechten Umgang mit Sexualität zu befähigen.»

Und was das Thema Missbrauch angeht, das die AfD in den Kontext Aufklärung bringt: «Eine ganzheitliche positive Sexualaufklärung stellt einen wichtigen Beitrag dar zur Prävention des sexuellen Missbrauchs. (…)  Kinder werden sensibilisiert, ihre eigenen Rechte zu kennen und sich an Erwachsene zu wenden, wenn sie Grenzüberschreitungen erfahren.» News4teachers / mit Material der dpa

Worum es geht

In einer Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Sexualerziehung von Kindern im Vorschulalter («Liebevoll begleiten») heißt es:

„‘Eltern, die ihre Kinder nicht aufklären, überlassen diesen zentralen Bereich anderen, denn ‚aufgeklärt’ werden Kinder immer‘, weiß Sexualpädagogin Beate Martin von pro familia. Ihre Erfahrung: Sex kann heute schon unter Kindern der ersten Klasse ein Thema sein. Jüngere Kinder spielen und lernen mit Gleichaltrigen im Kindergarten oder in der Spielgruppe, sie schnappen auf, was die größeren Geschwister oder älteren Kinder auf dem Spielplatz oder der Straße erzählen. Und Kinder sind sensibel für anzügliche Bemerkungen oder Witze Erwachsener.

Vor allem außerhalb der Familie werden Kinder mit Darstellungen von Erotik und Sexualität konfrontiert. Kinder nehmen diese Bilder und die damit verbundenen Bedeutungen (die sie aber oft noch nicht verstehen) wahr – ob auf Zeitschriften, Plakaten oder im Fernsehen. Sie erhaschen einen flüchtigen Blick auf Handybildschirme oder Filme im Internet.

‚Das kindliche Bild von Sexualität setzt sich also wie ein Mosaik aus vielen verschiedenen Eindrücken zusammen‘, erklärt Beate Martin. Damit dieses Mosaik nicht nur aus medial vermittelten Bildern und Eindrücken besteht, sollten Eltern heutzutage medienkundig sein und auch darüber mit ihren Kindern sprechen. So können sie sicher sein, dass die Erfahrungen ihrer Kinder über Sexualität, Geschlechterrollen und Lebensweisen nicht nur aus den Medien und der „öffentlichen“ Thematisierung von Sexualität gespeist werden. Hier haben die Eltern eine wichtige Funktion, und zwar von Anfang an, also auch schon im Vorschulalter.“

Hier lässt sich die vollständige Broschüre gratis herunterladen: https://shop.bzga.de/pdf/13660500.pdf

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