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Kultusminister wehren sich gegen geplante Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte – Philologen wollen sie nun einklagen

STUTTGART. Wie viel arbeiten Lehrer wirklich? Der Philologenverband Baden-Württemberg ist überzeugt, dass sie durch Überstunden deutlich mehr tun, als sie müssten. Mit einer Klage will der Verband jetzt das Land zwingen, die genauen Arbeitszeiten zu erfassen – wie es das Bundesarbeitsgericht gefordert hat. Tatsächlich ist ein entsprechendes Gesetz in der Mache. Die Kultusminister drängen aber auf Ausnahmen für Lehrkräfte.

Muss sich mit den Kultusministern herumschlagen: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Arbeitszeiterfassung gesetzlich regeln – auch für Lehrkräfte. Foto: Shutterstock / photocosmos1

Der Philologenverband will das Land Baden-Württemberg auf eine Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften verklagen. «Wir sind momentan in konkreten Vorbereitungen eines Klageverfahrens», sagte der Landesvorsitzende des Gymnasiallehrerverbandes, Ralf Scholl, am Donnerstag in Stuttgart. Er hoffe, dass die Klage in drei bis vier Monaten eingereicht werden könne.

«Wir wollen, dass die Arbeitszeit der Lehrkräfte endlich mal zuverlässig erfasst wird», sagte Scholl. Das Kultusministerium mauere in dieser Frage. «Wir wissen, dass Lehrkräfte im Schnitt deutlich mehr arbeiten als die 1804 Stunden Beamtenarbeitszeit im Jahr», argumentierte Scholl. Bei Teilzeitkräften sei die Lage wegen verpflichtender Zusatztermine wie Konferenzen noch ungünstiger. Zudem müsse geklärt werden, was genau zur Arbeitszeit eines Lehrers oder einer Lehrerin gehöre. «Natürlich alles, was im Kontakt mit Schülern geschieht. Aber wie viel an Vorbereitung oder an Klausurenkorrektur gehört mit rein?», fragte Scholl.

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Der Verbandschef verwies auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Das hatte im September vorigen Jahres entschieden, dass die Erfassung von Arbeitszeit in Deutschland verpflichtend sei. Das Bundesarbeitsministerium hatte daraufhin im April einen Gesetzentwurf vorgelegt, demzufolge die Arbeitszeit künftig elektronisch erfasst werden soll. Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit sollen danach noch am selben Tag aufgezeichnet werden. Von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sind demnach auch Lehrkräfte, andere Beamtinnen und Beamte sowie die Wissenschaft betroffen.

Den Gesetzentwurf nahm offenbar Berlins Bildungssenatorin und Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) Katharina Günther-Wünsch (CDU) zum Anlass, sich per Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu wenden und auf gesetzliche Sonderregelungen für Lehrkräfte und Beschäftigte in der Wissenschaft zu bestehen.

«Dass es immer häufiger dazu kommt, dass Lehrkräfte diese Regelarbeitszeit deutlich überschreiten und in ihrer Freizeit etwaigen Aufgaben nachgehen müssen, ist inakzeptabel»

Günther-Wünsch kritisiert in ihrem Schreiben an Heil, so berichtet «Papershift» (ein Unternehmen, das Arbeitszeiterfassungs-Software anbietet) in einem Blog-Beitrag, der aktuelle Referentenentwurf trage der «besonderen Situation der Lehrkräfte» nicht Rechnung. Die Arbeitszeiten von Lehrkräften seien nicht oder nur zum Teil messbar. Möglich sei das nur für die erteilten Unterrichtsstunden, nicht aber für die zahlreichen außerunterrichtlichen Tätigkeiten wie zum Beispiel die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Eltern- und Schülerbesprechungen, Verwaltungsarbeiten, Aufsichten etc. Die dafür anfallenden Arbeitszeiten könnten nicht prognostiziert oder durch den Arbeitgeber überprüft werden. Es gehöre zum Berufsbild der Lehrkraft, dass sie ihre Aufgaben eigenverantwortlich und selbständig ausübt.

Günther-Wünsch führte laut Bericht außerdem an, dass eine Ungleichbehandlung drohe, weil die geplante Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nur für tarifbeschäftige Lehrkräfte gelten würde. Das widerspreche dem europäischen Arbeitnehmerbegriff. Zudem hänge die Attraktivität des Lehrerberufs mit der Flexibilität der Arbeitseinteilung zusammen.

Der Streit hält an – Günther-Wünsch hat Medienberichten zufolge aus dem Hause Heil eine Abfuhr erhalten. Das baden-württembergische Kultusministerium teilte nun auf Nachfrage der dpa mit, einen konkreten Gesetzesvorschlag des Bundes zur Zeiterfassung abwarten zu wollen. Auf dessen Basis wolle man dann die Umsetzung für die Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg prüfen. Dieser Vorschlag des Bundes liege bislang nicht vor.

«Für die Lehrkräftearbeitszeit gilt die Besonderheit, dass nur die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung, nicht aber die sonstigen von ihnen zu übernehmenden Tätigkeiten, zeitlich genau festgelegt sind», erklärte ein Sprecher von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne). Diese Besonderheit müsse bei einer Erfassung der Arbeitszeit berücksichtigt werden.

Unterstützung für die Klageankündigung der Gymnasiallehrer kam von der FDP im Stuttgarter Landtag. Auch Lehrkräfte hätten eine Regelarbeitszeit, sagte der bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Timm Kern. «Dass es immer häufiger dazu kommt, dass Lehrkräfte diese Regelarbeitszeit deutlich überschreiten und in ihrer Freizeit etwaigen Aufgaben nachgehen müssen, ist inakzeptabel.» Der Job als Lehrkraft erfordere eine gewisse Flexibilität, die oberen und unteren Grenzen der Arbeitszeit müssten aber abgesteckt sein, sagte Kern. News4teachers / mit Material der dpa

Warum die Kultusminister kein Interesse daran haben, die Arbeitszeit von Lehrkräften genau zu erfassen (obwohl sie es müssten)

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