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Vereinte Nationen rügen Deutschland wegen Stillstand bei der Inklusion – Land NRW streicht Mittel für Inklusion

Inklusion? Och, nö. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

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BERLIN. Ist die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN), die der Bundestag 2009 ratifiziert hat, für die schwarz-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ein Papier ohne Wert? Nur wenige Tage, nachdem Deutschland von den UN in einem Prüfbericht scharf für fehlende Fortschritte bei der Inklusion im Schulsystem kritisiert wurde, wird bekannt, dass das Land keine Haushaltmittel mehr dafür einplant, sogenannte Inklusionshelfer an Schulen zu bezahlen.

Dieses Kind hat einen Anspruch auf einen Platz an einer Regelschule. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Zu wenig Geld, kein Konzept, keine Fortschritte – der Bericht, den der für die Behindertenrechtkonvention zuständige Fachausschuss der Vereinten Nationen über die Inklusion in Deutschland herausgegeben hat, fällt vernichtend aus (News4teachers berichtete). „Der Ausschuss ist besorgt über die mangelnde vollständige Umsetzung inklusiver Bildung im gesamten Bildungssystem und die Verbreitung von Sonderschulen und -klassen“, so heißt es als Fazit der sogenannten Staatenprüfung.

Die Bundesregierung wird in dem Bericht dringend aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Bundesländer umfassende Aktionspläne vorlegen und umsetzen, um die Umwandlung der Sonderbeschulung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in eine inklusive Beschulung zu beschleunigen.

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„Das bedeutet nämlich, dass uns die Leute verloren gehen, ohne die das Ganze nicht funktioniert“

Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen. In den 14 Jahren seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland wurde in dem Bundesland die sogenannte „Exklusionsquote“, also der Anteil der Kinder an Förderschulen, von 5,2 Prozent 2008 auf lediglich 4,8 Prozent 2021 reduziert, zuletzt ist der Anteil sogar wieder gestiegen (2018: 4,7 Prozent). Für die Kinder mit amtlich festgestelltem besonderen Förderbedarf, die trotzdem an Regelschulen gehen, hat das Land bislang 47 Millionen Euro im Jahr ausgegeben, um ihnen damit Menschen an die Seite stellen zu können, die ihnen die Eingliederung ermöglichen – sogenannte Inklusionsassistenten. Laut einem Bericht des WDR ist im kommenden Haushalt dieser Posten nicht mehr vorgesehen.

Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetags NRW, hält es laut WDR für falsch, diese Gelder zu streichen. „Das bedeutet nämlich, dass uns die Leute verloren gehen, ohne die das Ganze nicht funktioniert“, sagt er. Auch die Opposition äußert dem Bericht zufolge Kritik: Die Kürzungen bei der Inklusion im Haushaltsentwurf 2024 seien politisch nicht zu rechtfertigen, erklärt Silvia Gosewinkel, Inklusionsbeauftragte der SPD-Landtagsfraktion. Die Landesregierung betreibe nur Stückwerk und habe kein Gesamtkonzept für die Inklusion. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) lässt auf Anfrage des Senders erkennen, dass die Entscheidung möglicherweise noch nicht final ist – sie will sie von einer Überprüfung der Maßnahme abhängig machen, die derzeit laufe.

„Wir wollen die Rahmenbedingungen für ganzheitliche Bildung, individuelle Förderung, gelingende Inklusion und Exzellenz in Schulen verbessern“

Dass in Nordrhein-Westfalen auch noch zusätzliche Förderschulen gebaut werden sollen – entsprechende Planungen liefen in Köln, Duisburg, dem Kreis Unna und auch im Landschaftsverband Rheinland –, passt für Eva-Maria Thoms von der Elterninitiative Mittendrin ins Bild. Denn aktuell gehe die Entwicklung klar in die falsche Richtung. „Dies sind eindeutige Verstöße gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, die gerade angesichts der Ergebnisse der Staatenprüfung sofort gestoppt werden müssen“, sagt sie. Das Schulministerium müsse stattdessen endlich den sogar im Koalitionsvertrag angekündigten Aktionsplan für die inklusive Bildung erarbeiten – und die Führungsrolle für den Aufbau eines inklusiven Schulsystems in NRW übernehmen.

Tatsächlich findet sich im schwarz-grünen Koalitionsvertrag folgender Passus: „Wir wollen die Rahmenbedingungen für ganzheitliche Bildung, individuelle Förderung, gelingende Inklusion und Exzellenz in Schulen verbessern.“ News4teachers

Die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen ist mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz 2014 der Verpflichtung nachgekommen, die UN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen rechtlich umzusetzen. Seitdem gilt:

„Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sollen in das allgemeine Bildungssystem einbezogen und das gemeinsame zielgleiche und zieldifferente Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung in der allgemeinen Schule ermöglicht werden. Hierzu werden die inklusive Bildung und Erziehung in allgemeinen Schulen im nordrhein-westfälischen Schulgesetz als Regelfall verankert. Eltern können aber für ihr Kind alternativ weiterhin die Förderschule wählen.

Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz tritt am 1. August 2014 in Kraft. Die Schulaufsichtsbehörde ist aber bereits jetzt verpflichtet, den Eltern der für die künftigen Eingangsklassen der Grundschulen und weiterführenden Schulen anzumeldenden Kinder und Jugendlichen mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung mit Zustimmung des Schulträgers mindestens eine allgemeine Schule vorzuschlagen, an der ein Angebot des Gemeinsamen Lernens eingerichtet ist.

Auch das Angebot des Gemeinsamen Lernens in allgemeinen Schulen wird mit Zustimmung des Schulträgers eingerichtet. Um das Schulangebot schrittweise inklusiv auszubauen, kann der Schulträger allgemeine Schwerpunktschulen bestimmen, in denen Kinder und Jugendliche ohne Behinderungen und mit unterschiedlichen Behinderungen gemeinsam unterrichtet und erzogen werden. Schulträger können aber auch beschließen, ihre Förderschulen in den Bereichen Lernen, Emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache aufzulösen. In diesem Fall ist allein die allgemeine Schule Ort der sonderpädagogischen Förderung.“

Hier geht es zum vollständigen Gesetzestext.

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