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Daumenschrauben gegen den Lehrermangel: Schulministerin zieht positive Zwischenbilanz, Verbände widersprechen

DÜSSELDORF. Abordnungen von Lehrern an unterversorgten Schulen, Einschränkungen bei der Teilzeit und Hunderte «Alltagshelfer» sollen die große Personalnot im Klassenzimmer lindern. Die Ministerin sieht Fortschritte, Praktiker berichten von großen Defiziten – und davon, dass der Lehrerberuf langfristig an Attraktivität verliere.

Massiv unter Druck: NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU). Foto: MSB

Nordrhein-Westfalens Schulministerin Dorothee Feller sieht erste Fortschritte auf dem Weg zu einer besseren Personalausstattung in den Klassenzimmern. Bis zum Ziel eines allgemein höheren Bildungsniveaus der Schülerinnen und Schüler stellt sich die CDU-Politikerin hingegen auf einen Marathon ein. Am Montag zog sie in Düsseldorf eine erste Zwischenbilanz, was ihr Ende 2022 vorgestelltes Handlungskonzept gegen Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfall bislang gebracht hat. Im Folgenden die wesentlichen Parameter.

Abordnungen: Die Möglichkeiten, Lehrkräfte zeitlich befristet an unterversorgte Schulen zu entsenden, wurden erweitert. Neueinstellungen können jetzt grundsätzlich mit einer zweijährigen Abordnung verbunden werden. Insgesamt haben die Bezirksregierungen in diesem Schuljahr bereits 8.129 Abordnungen (Stand: 2. Oktober) ausgesprochen. Mit 3553 Zuweisungen haben die Grundschulen besonders davon profitiert. Im Vergleich zum April habe sich diese Zahl dort kurzfristig um 205 erhöht, berichtete Feller. Gleichzeitig habe sich die Dauer der Abordnungen über alle Schulformen hinweg erhöht. Einen erheblichen Beitrag leisteten die Gymnasien, die Lehrkräfte abgaben.

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Teilzeit: Bei Anträgen auf Teilzeit wird jetzt intensiv im Einzelfall geprüft, ob dienstliche Gründe entgegenstehen. Dadurch habe sich die Anzahl von Lehrer-Teilzeiten, die ohne gravierenden Grund beantragt werden, im Vergleich zum Schuljahr 2022/23 bereits um 510 auf 13 234 Fälle verringert. Teilzeit aus familiären Gründen bleibe auf jeden Fall unangetastet, versicherte Feller.

Entfristungen: Mehr als 90 Mal war schon die neue Option von Erfolg gekrönt, als befristet eingestellte Vertretungslehrkraft einen Antrag auf Übernahme zu stellen. Für ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis muss aber mindestens ein Bachelor oder vergleichbarer Hochschulabschluss vorliegen.

Alltagshelfer: Seit diesem Schuljahr können Grund- und Förderschulen erstmals Alltagshelfer für einfache Hilfstätigkeiten einstellen, die nicht direkt mit Unterrichten zu tun haben. Fast 700 Mal hat das bisher geklappt – zu Schuljahresbeginn waren erst rund 400 Alltagshelfer zur Einstellung vorgesehen, wie Feller berichtete.

Alltagserfahrungen: Die beiden Alltagshelferinnen – Kübra Kacar (31), gelernte Zahnarzthelferin, und Yvonne Dominas (39), eigentlich Friseurin – berichteten in Düsseldorf, was an der Regenbogenschule in Gelsenkirchen-Schalke zu ihren Aufgaben gehört: Jacken ausziehen, Schuhe zubinden, Namen aufschreiben, Blätter einsammeln, Bücher stempeln. «Wir gehen drei Stunden lang durch die Klasse, weil ständig einer Hilfe braucht», erzählte Kacar. «Wir haben so ‘ne krasse Bindung aufgebaut.» Schon morgens würden die fünf Alltagshelferinnen, die in den ersten Klassen unterwegs sind, mit selbst gemalten Bildern empfangen. «Wir sind wie Familie. Das ist nicht nur Schule oder Arbeit, es ist mehr als das.»

Sprachprobleme: Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen aus Elternhäusern, wo nur manchmal Deutsch gesprochen werde, habe zugenommen, stellte Feller fest. Über das Ausmaß sei sie sehr überrascht gewesen, gestand Kacar. Oftmals laufe die Verständigung «handsprachlich». Da viele ihrer Erstklässler weder Deutsch sprächen noch jemals eine Kita besucht hätten, fehlten schon Basiskompetenzen wie etwa beim Umziehen, berichtete die Leiterin der Regenbogenschule, Astrid Röwekamp. Auch der Rektor der Otfried-Preußler-Grundschule, René Wittinghofer, kennt «herausforderndes Arbeiten» im migrationsgeprägten Duisburger Norden, wo sich nicht viele Lehrkräfte freiwillig hinbewerben: «Wir sind nicht reine Wissensvermittler. Wir helfen, den Lebensalltag mitzugestalten.»

Unruhe: So froh die unterversorgten Schulen über Abordnungen und weniger Teilzeit-Ausfälle sind, so groß ist bei manchen betroffenen Lehrkräften der Frust über die Einschränkungen. Der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) berichtet von großer Unruhe in den Kollegien. «Pflichtabordnungen und beschränkte Teilzeitmöglichkeiten belasten viele Lehrkräfte», kritisierte der Landesvorsitzende Stefan Behlau. «Letztlich bleibt es bei einer Mangelverwaltung, die Löcher an der einen Stelle stopft, aber an anderer Stelle Unruhe und Mangel verursacht.»

«Uns erreichen über die Personalräte und über unsere Geschäftsstelle immer wieder Anfragen von frustrierten, erschöpften, ausgebrannten Lehrkräften, die nicht mehr können»

Ähnlich äußerte sich der Verband lehrer nrw. Fellers vermeintliche Erfolge seien teuer erkauft  – nämlich mit einem Attraktivitätsverlust des Lehrerberufs und einer unvermindert hohen Arbeitsbelastung der Bestandslehrkräfte. «Uns erreichen über die Personalräte und über unsere Geschäftsstelle immer wieder Anfragen von frustrierten, erschöpften, ausgebrannten Lehrkräften, die nicht mehr können und häufig nur eine Frage haben: Wie komme ich raus? Da ist etwas gekippt», berichtete Vorsitzender Sven Christoffer. «Insofern gehört es aus unserer Sicht zu einer ehrlichen Bestandsanalyse, auch zu erheben, wie viele Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel in die Teildienstfähigkeit flüchten oder sogar in die Kündigung beziehungsweise vorzeitige Zurruhesetzung», so Christoffer weiter.

Zweifellos sei der Kampf gegen den Lehrkräftemangel ein Marathonlauf, wie die Ministerin zu Recht angemerkt habe. Gerade deswegen sei es entscheidend, den Lehrerberuf attraktiver zu gestalten. Neben einer angemessenen Besoldung wären kleinere Klassen, eine zeitgemäße Ausstattung von Klassen- und Lehrerzimmern, weniger Bürokratismus, eine geringere Unterrichtsverpflichtung vor allem an den Schulformen der Sekundarstufe I und – ja – auch Teilzeitmöglichkeiten wirksame Instrumente. «Zum Scheitern verurteilt ist hingegen die Strategie, diejenigen Lehrkräfte, die noch stehen, noch mehr und noch länger arbeiten zu lassen», betonte Christoffer.

Bildungsdefizite: Langfristig soll mehr Personal zu besserer Förderung der Schüler und damit auch zu einem besseren Bildungsniveau führen. Der «IQB-Bildungstrend 2022» hat NRW aber gerade erst bescheinigt, dass Neuntklässler beim Lesen, Zuhören und Schreiben schwächer sind als der Bundesschnitt (News4teachers berichtete). Ähnlich schlecht schnitten bei anderen Vergleichstests (wie der Iglu-Studie) Viertklässler ab. Nachdem NRW bei den IQB-Trends nun schon seit vielen Jahren im unteren Drittel gelegen habe, seien die jüngsten Ergebnisse nicht verwunderlich, stellte die Schulministerin nüchtern fest.

Auch bei der nächsten Grundschulstudie werde NRW voraussichtlich noch nicht besser abschneiden. Um den Trend umzukehren, sei ein langer Atem nötig. «Wir können nicht wie bei einer Maschine über Nacht ein neues Update wählen und dann ist am nächsten Tag alles besser – das funktioniert in Schulen nicht.» Am Mittwoch muss Feller dazu im Schulausschuss des Landtags Rede und Antwort stehen. Von Bettina Grönewald, dpa

Menschen in NRW sind besonders unzufrieden mit Schulen – kein Wunder

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