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Exklusiv: Ein Blick vorab in die neue Hattie-Studie – welche Faktoren das Lernen begünstigen (und welche schaden)

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AUGSBURG. Noch immer gilt die sogenannte Hattie-Studie – neben der PISA-Studie – als größter Aufreger der empirischen Bildungsforschung. Der neuseeländische Professor John Hattie fasste die Daten von Tausenden internationalen Untersuchungen zusammen, um daraus die Gelingensfaktoren für schulisches Lernen zu extrahieren. Zentrales Ergebnis: Auf das Handeln der Lehrkräfte im Unterricht kommt es an (weniger auf die Rahmenbedingungen). Aktuell ist eine Neuauflage in Arbeit, wie Hatties deutscher Kollege Prof. Klaus Zierer verrät. Er  gibt erste Einblicke in die Ergebnisse. 

Was unterstützt das Lernen – und was behindert es? Das will die Hattie-Studie ermitteln. Foto: Shutterstock

Als John Hattie Ende 2008 sein Buch „Visible Learning“ veröffentlichte, sorgte seine Arbeit weltweit für großes Aufsehen. Times Educational Supplement sprach überschwänglich vom „’Reveal Teachings’ Holy Grail“ – und in Deutschland war vom „Harry Potter der Pädagogen“ (Stern) zu lesen. Bei Amazon erreichte die deutsche Übersetzung „Lernen sichtbar machen“ sogar eine Top-20-Platzierung.

„Wirft man einen Blick in das Buch, muss das bis heute überraschen. Denn ‘Visible Learning’ ist mehr eine Forschungsliteratur als ein Bestseller“ – sagt jemand, der es wissen muss: Prof. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik der Universität Augsburg. Er hat die Studie ins Deutsche übersetzt und legte dann selbst eine Einführung in „Visible Learning“ vor – mit dem provokanten Titel: „Hattie für gestresste Lehrer“. Später schrieb er mit Hattie gemeinsam Bücher („Kenne deinen Einfluss! ‘Visible Learning’ für die Unterrichtspraxis“).

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„Nun sind mehrere Jahre vergangen und für viele scheint ‘Visible Learning’ eine einmalige Sache gewesen zu sein. Derweil ging und geht die Arbeit daran weiter. Mittlerweile liegen über 2.100 Meta-Analyse zugrunde und damit fast drei Mal so viele wie noch vor 15 Jahren. Auch die Anzahl der Faktoren, die damals das viel diskutierte Hattie-Ranking bildeten, ist von 138 auf 362 angestiegen“, so berichtet Zierer gegenüber News4teachers.

„Wir haben eine Reihe von Lehrkräften, bei denen die Klassengröße völlig egal ist: Sie unterrichten vor 30 Schülerinnen und Schülern genauso gut wie vor 20 oder vor 40″

„Damit versucht ‘Visible Learning’ nach wie vor den aktuellen Stand der empirischen Bildungsforschung abzubilden und wichtige Schlussfolgerungen zu ziehen. Enthalten sind daher unter anderem Faktoren, die sich mit den Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Medien im Unterricht befassen, die untersuchen, wie pandemiebedingte Schulschließungen auf die Lernleistung wirken, oder die so schillernde Konstrukte wie „Kollektive Wirksamkeitserwartungen“ unter die Lupe nehmen. Noch in diesem Jahr fasst John Hattie seine Erweiterungen in ‘Visible Learning – The Sequel’ zusammen und ich werde dieses Buch wieder ins Deutsche übersetzen”, so kündigt Zierer an.

„Aber bereits die jetzt schon sichtbaren Entwicklungen und Neuerungen sind für mich ein Anlass, ‘Hattie für gestresste Lehrer’ neu aufzulegen und eine aktuelle Einführung in ‘Visible Learning’ mit über 2.100 Meta-Analysen zu geben. Darin finden sich nicht nur Aktualisierungen bestehender Faktoren, sondern auch eine Vielzahl von neuen Beschreibungen und Kommentierungen, um den aktuellen Bildungsdiskurs berücksichtigen zu können“, erklärt er.

Inhaltlich werde die Systematik aufgegriffen, die John Hattie bereits in einem Update aus dem Jahr 2018 vorgenommen habe: Anstelle von sechs Domänen sind es jetzt neun – aus der alten Domäne „Schule“ ist die Domäne „Klassenzimmer“ ausgegliedert. Die Domäne „Unterrichten“ sei dreigeteilt in die Domänen „Lernstrategien“,  „Lehrstrategien“ und „Implementation“. Gleich geblieben sind die Domänen „Lernende“ „Elternhaus“, „Curricula“ und „Lehrperson“. Hier eine erste Überischt zum aktuellen Datensatz mit wesentlichen Statistiken:

Methodisch ist ein weiterer Wert hinzugekommen: die Aussagekraft. Sie soll helfen, Effektstärken besser interpretieren zu können. Allein der Blick darauf verrät nämlich nicht, wie viele Meta-Analysen, mit welcher Streuung und aus welchen Jahren in die Synthese eingeflossen sind. Je nach Wert der Berechnungen resultiert eine eher geringe, aktzeptable, hohe oder sehr hohe Aussagekraft für die Effektstärken. Somit wird unmittelbar sichtbar, die die Datenlage hinter einem Faktor zu interpretieren ist.

Mit der Neuauflage von „Hattie für gestresste Lehrer 2.0“ gibt es eine Reihe im Magazinteil der Zeitschrift „Pädagogik”. Unter dem Titel „Der Faktor des Monats“ wird regelmäßig ein Faktor aus dem aktuellen Datensatz herausgegriffen und vorgestellt. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Theorie und der Empirie, sondern vor allem auf der praktischen Umsetzung. Diese Reihe wird wiederum zum Anlass genommen, auf dem YouTube Kanal „Bildung, jetzt!“ monatlich ein Video (gratis) zu veröffentlichen, in dem die wesentlichen Aspekte besprochen werden – „Flipped Classroom“, „Noten & Co.“ sowie „Kollektive Wirksamkeitserwartungen“ machen den Anfang.

Exklusiv zeigen wir im Folgenden: eine Visualiserung über alle 362 Faktoren und ihre Effektstärken aus dem aktuellen Datensatz (wobei der Lesbarkeit halber nur einige in der Grafik schriftlich angeführt werden). Deutlich wird dabei: Stärkster Faktor ist eine korrekte „Einschätzung des Leistungsniveaus durch die Lehrperson” (eben das, was Hattie mit „Visible Learning” beschrieb). Die pandemiebedingten Schulschließungen hatten hingegen einen deutlich negativen Effekt. Eine „leistungshomogene Klassenbildung” – wie sie in Deutschland traditionell angestrebt wird – bringt vergleichsweise wenig.

Auch die Klassengröße an sich hat einen deutlich geringeren Effekt, als viele erwarten. „Es lohnt sich, das differenziert zu betrachten: Es gibt Studien, die belegen, dass eine Erhöhung oder eine Reduzierung der Klassengröße entweder zu mehr oder zu weniger Stress führt – aber nicht bei allen Lehrkräften”, so erklärt Zierer das in einem aktuellen Interview mit dem Deutschen Schulportal der Robert-Bosch-Stiftung. „Wir haben eine Reihe von Lehrkräften, bei denen es völlig egal ist: Sie unterrichten vor 30 Schülerinnen und Schülern genauso gut wie vor 20 oder vor 40. Das macht ein Stück weit darauf aufmerksam, dass die Klassengröße, nur die Zahl, zunächst nur ein quantitativer Wert ist. Die Qualität dahinter hängt von anderen Faktoren ab, etwa von der Lehrerprofessionalität, der Zusammensetzung der Klasse, vom Fach oder auch von der Jahrgangsstufe. Die Komplexität geht weit über diese Zahl hinaus.”

Heißt also: Es lohnt sich stets, die statistisch ermittelten Effektstärken für die pädagogische Praxis einzuordnen. News4teachers

Der weltweit prominenteste Bildungsforscher im Interview: Was bringt die Digitalisierung der Schulen, Herr Hattie? „Viel – wenn…“

 

 

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