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IQB-Pleite: Fellers Abteilungsleiter macht Corona verantwortlich – und Flüchtlinge

DÜSSELDORF. Seit Jahren schneiden Schüler in NRW bei Lernstandstudien unterdurchschnittlich ab. Die jüngste IQB-Studie legte die Defizite vor allem bei Deutsch erneut bloß. Rasch wird sich daran wohl nichts ändern – auch wenn das Schulministerium behauptet, dass Corona und Flüchtlinge für das schwache Abschneiden verantwortlich seien. Die SPD und der VBE sehen darüber hinaus strukturelle Probleme im System.

Sündenbock gefunden! Foto: Shutterstock

Nach dem erneut schlechten Abschneiden von Schülerinnen und Schülern in Nordrhein-Westfalen bei einer Bildungsstudie hat Schulministerin Dorothee Feller (CDU) wenig Hoffnung auf eine schnelle Verbesserung der Lage gemacht. «Wir haben weiterhin großen Nachholbedarf im Bereich Deutsch», räumte Feller am Mittwoch im Schulausschuss des Landtags ein.

Neuntklässler in NRW schneiden dem «IQB-Bildungstrend 2022» zufolge beim Lesen, Zuhören und Schreiben schwächer ab als der Bundesschnitt. Den Mindeststandard für den mittleren Schulabschluss (MSA) verfehlten im Fach Deutsch 39 Prozent der Neuntklässler in NRW im Lesen und sogar 41 Prozent beim Hörverständnis. 29 Prozent scheiterten im Bereich Rechtschreibung.

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Der Weg, die Kompetenzen der Schüler zu verbessern, werde lang sein, betonte Feller. «Wir haben es in der Schule mit Menschen zu tun. Wir können nicht wie in einem Unternehmen und einer Maschine nachts ein Update fahren und am nächsten Tag ist alles besser.»

Schon bei der IQB-Studie aus dem Grundschulbereich im vergangenen Jahr sei festgestellt worden, dass bis zu einem Viertel der Viertklässler die Mindestanforderungen in Rechnen, Schreiben, Zuhören, Lesen nicht erfüllt hätten, sagte die Ministerin. Mit diesen Schwächen seien die Kinder dann auf weiterführende Schulen gegangen.

«Wir müssen in den Basiskompetenzen in allen Schulbereichen besser werden und auch einen Schwerpunkt legen»

Daher sei das «A und O», die Basiskompetenzen in den Grundschulen zu fördern, betonte Feller. «Wenn wir da nicht besser werden, können wir auch an weiterführenden Schulen nicht besser werden.» Zugleich müssten auch die Siebt-, Acht- und Neuntklässler an den weiterführenden Schulen gefördert werden. «Wir müssen in den Basiskompetenzen in allen Schulbereichen besser werden und auch einen Schwerpunkt legen.»

Feller setzt ihre Hoffungen dabei auch auf das Startchancenprogramm von Bund und Ländern für Schulen in schwierigen Lagen, das voraussichtlich zu Beginn des Schuljahres 2024/25 beginnen könne. In NRW sollen mit diesem Programm 900 Brennpunkt-Schulen mit rund einer Viertelmillion Schülern besonders gefördert werden.

Die Ministerin hatte bereits darauf hingewiesen, dass die Lernstände bei der jetzigen Studie im dritten Jahr der Corona-Pandemie erhoben worden waren. Auch den Studienautoren zufolge wirkten sich pandemiebedingte Schulschließungen oder auch Fern- und Wechselunterricht bundesweit negativ aus.

Die SPD-Opposition ließ das Argument des Pandemie-Effekts nicht gelten. Denn NRW liege schon über Jahre hinweg – auch vor Corona – in Bildungsstudien immer im unteren Durchschnitt. «Wir befinden uns in einer absoluten Bildungskatastrophe», sagte die schulpolitische Sprecherin Dilek Engin. Die Ergebnisse für NRW seien «desaströs», doch Feller bleibe die notwendigen Antworten schuldig. Engin forderte einen Bildungspakt für NRW mit kleineren Lerngruppen und einer Neuausrichtung der Lehrpläne. Feller habe nur «winzige Stellschrauben» erwähnt. Damit seien die Missstände an den Schulen nicht zu beheben.

Dirk Schnelle, Abteilungsleiter im Schulministerium, sagte, neben der Corona-Pandemie liefere auch die starke Zuwanderung von Geflüchteten in den Jahren 2015 bis 2017 eine Erklärung für die schwachen Leistungen. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die zu Hause immer und nur Deutsch sprächen, sei in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen.

NRW sei mit seinen Ergebnissen nicht allein. Als eine zentrale Maßnahme solle nun das Lesekonzept umgesetzt werden. Denn es sei davon auszugehen, dass sich das mit der Zeit auch positiv auf andere Kompetenzbereiche im Fach Deutsch aber auch auf die übrigen Fächer auswirken werde.

Als «erstaunlich» bezeichnete Schnelle die positiven Ergebnisse beim Leseverstehen in Englisch. Anders als bei Deutsch schienen in Englisch viel stärker außerschulische Lerngelegenheiten wie Online-Gaming oder englische Sprachvideos wahrgenommen zu werden. Während der Pandemie seien wegen der reduzierten Freizeitmöglichkeiten vor allem digitale Medien, wohl auch oft in englischer Sprache, genutzt worden. Es zeige sich, «dass das Interesse der Schüler am Englischunterricht deutlich höher ist als das Interesse am Deutschunterricht.»

NRW ist es nach Angaben Schnelles auch gelungen, hinter Bayern die wenigsten Schülerinnen und Schüler zu haben, die ohne Abschluss die Schule verließen. Er bezog sich damit auf Zahlen von 2021. Nach neueren Zahlen des Statistischen Landesamts haben in NRW 2022 allerdings deutlich mehr Jugendliche die Schule ohne mindestens einen Hauptschulabschluss in der Tasche verlassen als 2021. Ihre Zahl stieg demnach von 10 125 im Vorjahr auf 11 385 Jugendliche 2022. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Schulabgänger in NRW erhöhte sich 2022 auf 6,4 Prozent nach 5,6 Prozent im Vorjahr.

«Die Ergebnisse der IQB-Studie zeigen wieder einmal, dass das druckvolle Abarbeiten von übervollen Lehrplänen in vollgepfropften Klassen mit überbelasteten Lehrkräften schlichtweg nicht funktioniert»

Die Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE NRW), Anne Deimel, sagte, die IQB-Ergebnisse der Neuntklässler «zeigen deutlich, dass diese die Corona-Zeit noch nicht verarbeitet haben». Die Defitize im NRW reichen ihr zufolge allerdings weit über die Corona-Krise hinaus. So erklärte Deimel: «Erfolgreiches Lernen geschieht auf der Grundlage einer ganzheitlichen Bildung für ganzheitliche Menschen. Die Ergebnisse der IQB-Studie zeigen wieder einmal, dass das druckvolle Abarbeiten von übervollen Lehrplänen in vollgepfropften Klassen mit überbelasteten Lehrkräften schlichtweg nicht funktioniert.»

Weiter führte sie aus: «Um auf Dauer die Lern- und Leistungsergebnisse der Schülerinnen und Schüler zu steigern, ist die Landesregierung gefordert, das gesamte Bildungssystem effektiv zu stärken. Es muss prioritäres Ziel sein, die tägliche Mangelverwaltung in Kitas und Schulen möglichst schnell zu beenden. Das gelingt ausschließlich durch attraktive Arbeitsbedingungen.» Attraktive Arbeitsbedingungen – das bedeutet laut VBE: kleinere Klassengrößen, Arbeiten in multiprofessionellen Teams mit pädagogischen Fachkräften und den notwendigen Besprechungs- und Beratungszeiten, gut ausgestattete Räumlichkeiten, Entlastung von Verwaltungstätigkeiten durch Schulverwaltungsassistenz. Hinzu kommt die Rücknahme der Begrenzung der Teilzeitmöglichkeiten und der Pflichtabordnungen ohne Konsens.

Deimel: «Ebenso spiegeln diese Ergebnisse wider, dass in den Schulen zu wenig Zeit für die individuelle Förderung und das Lernen in Kleingruppen vorhanden ist.» Besonders in diesem Bereich müsse dringend nachgesteuert werden, um allen Kindern gerecht werden zu können, mahnte die VBE-Landesvorsitzende. News4teachers / mit Material der dpa

Menschen in NRW sind besonders unzufrieden mit Schulen – kein Wunder

 

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