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Schulschwatz, der Bildungstalk: Probleme mit Paschas? Wie Vorurteile über Muslime die Integration in Schulen erschweren

DÜSSELDORF. Musliminnen und Muslime gehören seit Jahrzehnten zu Deutschland – und scheinen doch allzu häufig fremd hierzulande zu sein (besonders zu Wahlkampfzeiten). In der neuen Folge des News4teachers-Podcasts „Schulschwatz! Der Bildungstalk“ sprechen Herausgeber Andrej Priboschek und Ines Oldenburg, Professorin an der Universität Oldenburg, mit der Islamwissenschaftlerin Miriam Kurz. Sie arbeitet am Museum für Islamische Kunst in Berlin und ist dort verantwortlich für das Projekt „Gemeinsame Vergangenheit – Gemeinsame Zukunft“. Im dessen Rahmen werden Unterrichtsmaterialien und Workshops zum Thema Islam für Schulen und Jugendeinrichtungen erarbeitet.

Muslimische Familien gehören zu Deutschland- seit Jahrzehnten (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Eins vorweg: Das Gespräch fand vor dem menschenverachtenden Terror-Angriff der Hamas auf Israel und der seitdem aufgeheizten Diskussion um Antisemitismus unter Musliminnen und Muslimen in Deutschland statt. Das macht es nicht weniger relevant – vielleicht sogar im Gegenteil: Es thematisiert grundsätzliche Probleme zwischen der deutschstämmigen Mehrheitsgesellschaft und eingewanderten muslimischen Familien, die seit Jahrzehnten immer wieder die Arbeit in Schulen erschweren. Der Blick darauf lohnt, gerade auch deshalb, weil eine Debatte darüber, was gegen den Antisemitismus auch unter muslimischen Jugendlichen getan werden kann, dringend geführt werden muss.

Im Vorfeld der Wahlen zu Berliner Abgeordnetenhaus gab es – mal wieder – heiße Diskussionen um das Thema Migration, nachdem CDU-Chef Friedrich Merz angeprangert hatte, dass Pascha-Allüren von muslimischen Schülern in der Schule die Lehrkräfte vor Probleme stelle (News4teachers berichtete). Wörtlich sagte er: „Und dann wollen sie diese Kinder zur Ordnung rufen, und die Folge ist, dass die Väter in den Schulen erscheinen und sich das verbitten. Insbesondere, wenn es sich um Lehrerinnen handelt, dass sie ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen.“ Unions-Fraktionsvize Jens Spahn sprang Merz bei: „Wenn man das richtig einordnet, sieht man ja, es geht um eine in aller Regel kulturell vermittelte toxische Männlichkeit.“

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„Es ist wichtig, die Jugendlichen selbst danach zu fragen, wie sie sich selbst und den Islam definieren und was dieser für sie bedeutet“

Im Podcast widerspricht die Islamwissenschaftlerin Miriam Kurz. Vermittelt werde ein Stereotyp vom Islam, indem muslimischen Jungen ein bestimmtes Männlichkeitskonzept zugeschrieben werde. Zwar müsse man bedenken, dass diese Aussagen zu Wahlkampfzeiten „von weißen Männern aus der gesellschaftlichen Oberschicht“ getätigt worden seien, die wohl wenig Kontakte mit Schülerinnen und Schülern hätten. Wirkung erzeugten solche Behauptungen dennoch. Kurz warnt davor, junge Menschen öffentlich derart abzukanzeln und so Vorurteile zu schüren. Das Religionsverständnis sei eine höchst persönliche Angelegenheit. „Es ist wichtig, die Jugendlichen selbst danach zu fragen, wie sie sich selbst und den Islam definieren und was dieser für sie bedeutet“, erklärt Miriam Kurz. Und: „Es gibt im Islam viele verschiedene Auffassungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, sodass keine einfache Zuschreibung möglich ist.“

„Als Grundschullehrerin und -Leiterin sind mir jedenfalls keine Paschas begegnet“, fügt Ines Oldenburg hinzu – auch wenn ihre Eindrücke womöglich nicht repräsentativ seien. „Trotzdem: Der Begriff ‚toxische Männlichkeit‘ bestürzt mich und gießt wieder Öl ins Feuer.“ Eine solche negativ konnotierte Diskussion um den Islam bringe unsere Gesellschaft nicht weiter, so Oldenburg.

Was ist eigentlich ein Pascha? Miriam Kurz erläutert, dass der Begriff „Pascha“ eigentlich aus dem Türkischen stammt, aber auch in der Arabischen Sprache genutzt werde (dann aber mit weichem B gesprochen). „Ein Pascha ist jemand, der eine herrschende, regierende oder leitende Funktion hat“, so Kurz weiter. Ein Pascha könne auch ein Familienoberhaupt oder eine historische Person sein. Erst im Laufe des Diskurses um schlechtes Benehmen habe der Begriff eine negative Konnotation erhalten: als Verballhornung (woran sich durchaus eine gewisse kulturelle Arroganz erkennen lässt).

„Durch die wiederholte Betonung von Andersartigkeit wird die Zugehörigkeit von Musliminnen und Muslimen zu unserer Gesellschaft immer wieder in Frage gestellt”

Auf die Frage, wie denn die muslimischen Schüler auf die Bezeichnung „Pascha“ reagieren antwortet Miriam Kurz: „Die Reaktionen der Jungen fallen ganz unterschiedlich aus. Die einen nehmen das Rollenbild an und nutzen es aktiv. Andere verfallen in ein bestimmtes Rollenmuster und reagieren mit Trotz oder Protest. Wiederum andere fühlen sich durch die Zuschreibung ‚Pascha‘ aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen und ziehen sich mehr und mehr zurück.“ Durch die wiederholte Betonung von Andersartigkeit werde die Zugehörigkeit von Musliminnen und Muslimen zu unserer Gesellschaft immer wieder in Frage gestellt, erläutert Miriam Kurz. Dies habe negative Auswirkungen, da das Potenzial der gesellschaftlichen Vielfalt sich nicht entfalten könne.

Was das bedeutet, zeigt sich auch in den Schulen: Unter Lehrkräften sind Musliminnen und Muslime weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Dass das Bundesverfassungsgericht das Kopftuchverbot im Staatsdienst aufgehoben habe, könne tatsächlich dafür sorgen, dass in Zukunft mehr weibliche muslimische Lehrkräfte an die Schulen kommen könnten – was für muslimische Schülerinnen und Schüler neue Rollenvorbilder schaffe. Dies bestätigt Miriam Kurz. „Durch das Personal können Organisationen diverser werden“, sagt sie. „Viele junge Musliminnen tragen das Kopftuch auf eine sehr reflektierte Weise. Sie sind selbstbewusst und engagiert. Ich kenne junge Frauen, die ganz bewusst Lehramt studiert haben, obwohl die Sorge bestand, dass ihnen der Schuldienst aufgrund des Kopftuchverbotes verwehrt werden würde. Sie wollten etwas verändern.“

Ines Oldenburg meint dass Schüler*innen und Lehrkräfte untereinander mehr ins Gespräch über die verschiedenen Kulturen kommen sollten. „Es gibt mehr Verbindendes als Trennendes in unseren Weltreligionen“, fügt sie hinzu. „Deshalb sollte es in allen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern wie Geschichte oder Politik so etwas wie Religionskunde geben. Denn solche negativen Zuschreibungen entstehen oft aus Unwissenheit heraus. Wir müssen mehr Fakten durch Inhalte schaffen, damit wir übereinander Bescheid wissen.“ Oldenburgs eigene Erfahrungen aus dem evangelischen Religionsunterricht bestätigen dies.

Miriam Kurz erklärt, dass die Pauschalisierung des Islam ein oft feststellbares Phänomen sei. In Schulbüchern heißt es zum Beispiel: „Der Islam verbietet die bildliche Darstellung von Menschen und Tieren.“ Diese Aussage sei nicht korrekt, da der Islam kein handelnder Akteur sei und solche bildlichen Darstellungen nicht durch den Koran verboten seien. Dieses Verbot gebe es nur in manchen islamischen Strömungen. Auch gebe es unter Musliminnen und Muslimen sehr unterschiedliche Arten der Religionsausübung. Diese Vorstellung von Unterschieden im Islam sei aber in unserer Gesellschaft nicht verankert, erläutert Miriam Kurz. Dabei sei es doch wichtig, die Vielfalt aller gesellschaftlichen Gruppen aufzuzeigen.

In der Podcastfolge entbrennt eine kleine Diskussion darüber, wie praktisch in einer heterogenen Schulklasse Toleranz vermittelt werden kann. Ines Oldenburg sieht sogenannte Kulturwochen kritisch. Bäten Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel, „etwas Landestypisches“ zu Essen in die Schule mitzubringen, würden die kulturellen Zuschreibungen ja häufig noch betont. Auch Miriam Kurz steht Kulturwochen oder kulturspezifischen Festen an Schulen zwiegespalten gegenüber. Diese Aktivitäten können einerseits wertschätzend gegenüber anderen Kulturen sein, aber sie verstärken auch negativ konnotierte Zuschreibungen und betonen die Zugehörigkeit der Kinder und Jugendlichen zu einer anderen gesellschaftlichen Gruppe.

„Unser Anliegen ist es, ein vielseitiges Islambild zu zeichnen und Wertschätzung für gesellschaftliche Vielfalt zu schaffen“

„Es gibt viele kulturelle Klischees, denen man entgegentreten sollte“, betont die Islamwissenschaftlerin. „Gerade Afrika wird häufig als ein einziges Land betrachtet. Dass dieser Kontinent sehr vielfältig ist, spielt aus europäischer Sicht oftmals keine Rolle. Auch gibt es viele Klischees, die den Orient betreffen.“ Um diesen Zerrbildern entgegenzuwirken, hat das Museum für Islamische Kunst Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte entwickelt. In diesen Materialien wird die Vielfältigkeit der Landschaft und der Bevölkerung in der betreffenden Region aufgezeigt.

„Unser Museum zeigt nicht unbedingt Kunst von muslimischen Künstlerinnen und Künstlern, sondern vielmehr islamisch geprägte Kunst“, erläutert Miriam Kurz. Und das ist mehr. Denn: „In der Historie Europas hat der Islam eine große Rolle gespielt. So kam er nach Sizilien oder Andalusien und es gab viel Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen durch Handel. Auch die sogenannte europäische Philosophie, die von der griechischen Kultur geprägt ist, wurde stark vom Islam beeinflusst. Unsere Unterrichtsmaterialien richten sich auch an muslimische Schülerinnen und Schüler und sollen eine Identifikation mit der eigenen Kultur hervorrufen. Bei den nicht-muslimischen Schülerinnen und Schüler sollen unsere Unterrichtsmaterialien eine Wertschätzung für die andere Kultur fördern. Unser Anliegen ist es, ein vielseitiges Islambild zu zeichnen und Wertschätzung für gesellschaftliche Vielfalt zu schaffen.“ News4teachers

Hier geht es zum Bildungsprojekt „Gemeinsame Vergangenheit – Gemeinsame Zukunft“.

Weitere Folgen von “Schulschwatz!”:

Den Podcast finden Sie auch auf

 

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