DORTMUND. Die frühe Lesesozialisation hat eine große Bedeutung für die spätere Lesekompetenz. Kinder von Eltern, die bereits vor Schuleintritt häufig lesebezogene Aktivitäten mit ihren Kindern durchführen und die selber gerne lesen, weisen am Ende der Grundschulzeit eine höhere Lesekompetenz auf. Jedoch sind die Kinder bei Schuleintritt in keinem anderen EU-Land so unvorbereitet wie in Deutschland – das haben Forscherinnen und Forscher des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der TU Dortmund nun ermittelt.
Lesen und Schreiben lernen die Kinder in der Schule, jedoch beginnt der Schriftspracherwerb bereits vor dem Schuleintritt – so stellt das IFS fest. Zu den leseförderlichen Aktivitäten gehören das Vorlesen von Büchern, das Erzählen von Geschichten, das Singen von Liedern, Unterhaltungen über Aktivitäten und vieles mehr. Die frühe Lesesozialisation legt wichtige Grundsteine für die Schulzeit.
Daher stellt sich die Frage, wie viele Kinder zum Schuleintritt bereits über grundlegende Lese- oder Schreibfähigkeiten verfügen. Denn Kinder mit zahlreichen leseförderlichen Aktivitäten vor Schuleintritt und mit Eltern, die gerne lesen, haben am Ende der Grundschulzeit eine höhere Lesekompetenz. Die Antwort: Ein Großteil der Kinder in Deutschland ist bei Schuleintritt schlecht vorbereitet.
„Die meisten Fähigkeiten, wie zum Beispiel die meisten Buchstaben des Alphabets erkennen oder einige Wörter lesen zu können, sind in Deutschland schlechter ausgeprägt als im Mittel der EU“
So geben 77,6 Prozent der Schulleitungen in Deutschland an, dass weniger als jedes vierte Kind bei Schuleintritt über grundlegende Lese- und Schreibkompetenzen verfügen. In der EU kamen 40,9 Prozent der Schulleitungen zu dieser Einschätzung. Gerade einmal 4,1 Prozent der Schulleitungen in Deutschland berichten, dass über 75 Prozent der Kinder bei Schuleintritt über diese grundlegenden Kompetenzen verfügen. In der EU wird diese Angabe von 22,3 Prozent der Schulleitungen gemacht.
Die Eltern der Kinder kommen zu einer ähnlichen Einschätzung. Nur 9 Prozent der Eltern von Viertklässler*innen in Deutschland beschreiben die lesebezogenen Fähigkeiten ihrer Kinder bei Schuleintritt als sehr gut. „Wir stellen fest, dass in keinem anderen Land in der EU Kinder so schlecht vorbereitet in die Schule starten, wie in Deutschland, konstatiert Rahim Schaufelberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2021. „Die meisten Fähigkeiten, wie zum Beispiel die meisten Buchstaben des Alphabets erkennen oder einige Wörter lesen zu können, sind in Deutschland schlechter ausgeprägt als im Mittel der EU.“ 67 Prozent der Eltern in Deutschland geben an, dass die lesebezogenen Fähigkeiten ihrer Kinder bei Schuleintritt nicht gut waren. Bei 24 Prozent sind die Fähigkeiten zumindest einigermaßen gut.
In Deutschland geben 40 Prozent der Eltern an, oft leseförderliche Aktivitäten mit ihren Kindern vor Schuleintritt durchzuführen. Deutschland liegt damit im EU-Vergleich im Mittelfeld. „Es gibt jedoch mit 60 Prozent der Familien, in denen leseförderliche Aktivitäten lediglich manchmal, nie oder fast nie durchgeführt werden, einen beträchtlichen Anteil an Kindern, mit ungünstiger Lesesozialisation“, betont Schaufelberger. „Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Kinder mit häufigen leseförderlichen Aktivitäten auch eine höhere Lesekompetenz aufweisen, ist ein solch hoher Anteil bedenklich“, führt er weiter aus.
Ein Drittel der Eltern von Viertklässler*innen gibt an, dass sie es sehr gerne mögen, zu lesen. Ein Fünftel mag es nicht, knapp die Hälfte mag es immerhin einigermaßen. Auch hier liegt Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern der EU im Mittelfeld. „Bemerkenswert ist, dass Eltern in Deutschland im EU-Vergleich das Lesen weit weniger häufig als eine wichtige Aktivität zu Hause sehen und sich weit weniger gerne über das Gelesene austauschen“, erläutert der Wissenschaftler. 33,33 Prozent der Eltern in EU-Ländern sehen im Lesen eine wichtige Aktivität, in Deutschland sind es lediglich 25,6 Prozent. 34,8 Prozent der Eltern in EU-Ländern unterhalten sich gerne über das Gelesene, in Deutschland sind es 25,5 Prozent.
„Der hohe Anteil von Schülerinnen und Schülern, der bei Schuleintritt keine guten lesebezogenen Fähigkeiten aufweist, deutet darauf hin, dass die Vorbereitung auf die Schule in Deutschland verstärkt in den Blick genommen werden sollte. Insbesondere sollte die grundlegenden Fähigkeiten, die die Lesekompetenz anbahnen, stärker systematisch gefördert werden“, so resümiert die Studienleiterin Professorin Nele McElvany. News4teachers
Das interdisziplinäre Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der TU Dortmund ist als Forschungseinrichtung an der Schnittstelle von Wissenschaft, schulischer Praxis und Politik angesiedelt. Die durch vier Professuren und rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestalteten Forschungsbereiche des Instituts arbeiten zu aktuellen Themen im Bereich der Empirischen Bildungsforschung mit dem Ziel, schulische Lern- und Entwicklungsprozesse, Schulentwicklung und Bildungsergebnisse im Kontext ihrer individuellen, sozialen und institutionellen Bedingungen zu erfassen, zu erklären und zu optimieren. Das IFS trägt mit seiner Arbeit wesentlich den Profilbereich Bildung, Schule und Inklusion der TU Dortmund mit.
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