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Nach Abitur-Panne: Schulministerin lässt komplett neues IT-System europaweit ausschreiben – Eingeständnis des Scheiterns?

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DÜSSELDORF. Im vergangenen Frühjahr sorgte eine Panne beim nordrhein-westfälischen Abitur für Aufsehen: Beim Download der Aufgaben hakte es, der Prüfungsauftakt musste verschoben werden. Jetzt soll ein vollständig neues System her – Eingeständnis des Scheiterns? Offensichtlich setzt Schulministerin Feller nun auf den Markt.

Ist das Schulministerium NRW mit der Digitalisierung überfordert? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Nach einer folgenschweren Download-Panne bei den diesjährigen Abitur-Prüfungen soll es ab 2025 ein komplett neues System geben. Das Schulministerium bestätigte auf Anfrage, dass man europaweit nach einem Dienstleister für eine «Neuentwicklung des Gesamtsystems» suche. Die Download-Panne hatte im vergangenen April landesweit die Abiturprüfungen durcheinandergebracht. Weil das Herunterladen der Prüfungsaufgaben hakte, war der geplante Start der Abitur-Klausuren in sechs Prüfungsfächern verlegt worden.

Die Ursache der Technikpanne war nach Darstellung von Schulministerin Dorothee Feller (CDU) eine «nicht optimale Dimensionierung» des Systems des IT-Dienstleisters, eines kleineren Unternehmens aus dem nordrhein-westfälischen Arnsberg – wo auch eine Bezirksregierung sitzt –, das für sich mit dem Slogan wirbt: «Pioneers of Open Source».

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Kurz nach der Abi-Panne wurden gravierende Datenlecks im IT-System des nur 25 Kilometer von Arnsberg (in Soest) residierenden Schulinstituts Qualis aufgedeckt. Mindestens 16.557 Datensätze waren vom Qualis-Server ausgelesen worden, vor allem Vor- und Zunamen von Lehrkräften und Mitarbeitern. Außerdem wurden weitere Schwachstellen in den Web-Anwendungen entdeckt (News4teachers berichtete).

Die provinzielle Pannenserie hatte später personelle Konsequenzen: Qualis-Direktor Rüdiger Käuser habe darum gebeten, von seinen Aufgaben entbunden zu werden, teilte das nordrhein-westfälische Schulministerium mit dürren Worten mit. Dem Wunsch werde entsprochen. Die Opposition kritisierte seinerzeit, hier solle einem «Sündenbock» die alleinige Schuld zugeschoben werden.

Feller hatte nach der Abi-Panne angekündigt, dass man durch technische Änderungen den Ablauf für das Zentralabitur im Jahr 2024 bereits «optimieren» werde. Unter anderem solle der Downloadprozess nicht mehr so kurzfristig gestartet werden. Jetzt heißt es: 2025 soll für die Schulen ein komplett neues System bereitstehen. Es soll laut Ausschreibung mindestens fünf Jahre laufen. Zu den geschätzten Kosten machte das Schulministerium «mit Blick auf das derzeit laufende Vergabeverfahren und die erstrebte Wettbewerblichkeit der Angebote» keine Angaben.

Fast schon lustig: Das Ministerium, das die Pannenserie zu verantworten hat, soll zum «Kompetenzzentrum für Web-Anwendungen» werden, wie Feller im Sommer ankündigte. Dabei läuft auch das mit Abstand größte IT-Projekt des Schulministeriums, die Schulplattform Logineo, alles andere als rund. Nach weit über zehn Jahren Entwicklungszeit ist Logineo noch immer nicht komplett ausgerollt; die meisten Schülerinnen und Schüler haben keinen Zugang zu dem System – dafür ist es bereits ein Sanierungsfall.

«Nach letztem Stand braucht Logineo rund 200 Millionen Euro öffentlicher Mittel für die nächsten Jahre»

Statt des ursprünglich angekündigten Angebots aus einem Guss, mit dem Lehrkräfte unterrichten und kommunizieren können, gibt es unter dem Namen «Logineo» nämlich gleich mehrere getrennte Anwendungen, die allesamt aus der Zeit gefallen scheinen. Unlängst wurde ein Prüfbericht veröffentlicht. «Fünf Handlungsbedarfe» werden darin vom beauftragten Fraunhofer-Institut identifiziert – und die betreffen praktisch alles, was Logineo ausmacht: die schiefe Architektur der Plattform, die fehlende Benutzerfreundlichkeit, fehlende Schnittstellen, um Lernapps oder andere Software einzubinden, die fehlenden Office-Anwendungen, schlechter Service – und die unzureichenden Mittel, um ein vernünftiges Angebot daraus zu machen. Einziger Pluspunkt: der Datenschutz.

Dass Logineo auch nicht barrierefrei ist (wie gesetzlich vorgeschrieben, News4teachers berichtete), spart das Gutachten komplett aus.

«Um eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Logineo NRW zu gewährleisten, bedarf es zusätzlicher Investitionen», so bilanziert das Fraunhofer Institut. Eine wesentliche «Weiterentwicklung» von Logineo sei ab 2024 geplant, so kündigte Feller daraufhin an. Was die Sanierung kostet, ist unklar – und damit auch, ob eine gebrauchsfertige IT-Lösung eines kommerziellen Anbieters womöglich besser und billiger wäre.

«Nach letztem Stand braucht Logineo rund 200 Millionen Euro öffentlicher Mittel für die nächsten Jahre», so erklärte der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Thomas Jarzombek unlängst im Interview mit News4teachers, um mit Blick auf die Schulen (denen die Nutzung vom Schulministerium aufgedrängt wird) hinzuzufügen: «Deshalb ist das natürlich keineswegs eine kostenlose Lösung, sondern ganz schön teuer für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Ich glaube, es macht mehr Sinn, solche Lösungen im Markt zuzukaufen.»

Das meint Schulministerin Feller offensichtlich nun auch – allerdings erstmal nur bei der IT fürs Zentralabitur. News4teachers / mit Material der dpa

Allen Ernstes: Feller ernennt nach IT-Pannenserie das Schulministerium zum „Kompetenzzentrum für Web-Anwendungen“

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