WIESBADEN. Nachdem das Streikverbot gegen verbeamtete Lehrkräfte vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt worden ist, hält das hessische Kultusminsterium fest: Die anhängigen Disziplinarverfahren gegen streikende Lehrkräfte sind rechtmäßig – trotzdem werden sie eingestellt. Es bestehe „kein weiteres Sanktionsbedürfnis”, so heißt es. Über 3.000 Lehrkräfte sind betroffen.
Vergangene Woche hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über folgende Frage entschieden: Dürfen verbeamtete Lehrkräfte streiken, ohne Disziplinarmaßnahmen befürchten zu müssen? Die Antwort der Richter in Straßburg fiel eindeutig aus: Sie dürfen nicht, das Streikverbot in Deutschland ist rechtmäßig (News4teachers berichtete). Die ergangenen Disziplinarmaßnahmen hätten die klagenden Lehrkräfte nicht in ihren Rechten verletzt. Insbesondere gebe es, so das Gericht, für Beamte neben einer Arbeitsniederlegung genügend andere Wege, um für ihre beruflichen Interessen einzutreten.
Das Urteil, gegen das kein Rechtsmittel mehr möglich ist, sorgt endgültig für Rechtsklarheit und ist auch für hessische Lehrkräfte von großer Bedeutung – so hält das Kultusministerium in Wiesbaden nun fest. Denn: Über 3.000 Disziplinarverfahren gegen Lehrkräfte, die an einem Streik im Jahr 2015 teilgenommen hatten, sind derzeit noch nicht abgeschlossen, da das Kultusministerium mit Blick auf die ausstehende Entscheidung des EGMR die Verfahren ausgesetzt hatte.
Diese Verfahren können nunmehr aufgrund des klaren Urteilsspruchs fortgesetzt werden. Wie schon das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2018 ließ auch der EGMR keinen Zweifel daran, dass Beamtinnen und Beamte, anders als angestellte Lehrkräfte, einer besonderen Treuepflicht unterliegen, um die Handlungsfähigkeit des Staats zu gewährleisten. Im Gegenzug obliegt es dem Staat im Rahmen seiner Fürsorgepflicht, die Beamtinnen und Beamten zu schützen und für diese zu sorgen.
„Es ist davon auszugehen, dass unsere verbeamteten Lehrkräfte ihr Verhalten in Zukunft an dieser gefestigten und eindeutigen Rechtsprechung ausrichten werden“
Diese Besonderheit des Beamtenverhältnisses lässt ein Streikverbot nicht unangemessen erscheinen, insbesondere, wenn die aufgrund dessen verhängten Disziplinarmaßnahmen mit dem Ziel verfolgt wurden, das Recht auf Bildung zu gewährleisten. „Die Entscheidung schafft unmissverständlich Klarheit, dass Streiks verbeamteter Lehrkräfte nicht erlaubt sind und Verstöße mit entsprechenden Disziplinarverfahren geahndet werden dürfen, ja sogar müssen“, kommentiert Hessens Kultusminister Alexander Lorz das Urteil.
Und erklärt: Vor dem Hintergrund des klaren Urteils des EGMR seien die Disziplinarmaßnahmen gegen 3.000 hessische Lehrkräfte, die auf ein pflichtgemäßes Verhalten hinwirken sollten, nicht mehr erforderlich. „Die endgültige Entscheidung des EGMR lässt keinerlei Zweifel mehr an der Rechtmäßigkeit der damaligen Disziplinarverfahren zu“, so Lorz.
„Ein Sanktionsbedürfnis hinsichtlich der noch nicht abgeschlossenen Verfahren besteht bei dieser klaren Entscheidung nun nicht mehr. Das Gericht hat unmissverständlich und unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Prinzipien des deutschen Beamtentums dargelegt, dass das Streikverbot für verbeamtete Lehrkräfte rechtmäßig ist. Es ist davon auszugehen, dass unsere verbeamteten Lehrkräfte ihr Verhalten in Zukunft an dieser gefestigten und eindeutigen Rechtsprechung ausrichten werden, andernfalls würde das Disziplinarrecht auch in vollem Umfang zum Tragen kommen.“
Heißt konkret: Alle im Zusammenhang mit der Streikteilnahme im Jahr 2015 stehenden Disziplinarverfahren werden deshalb in den kommenden Wochen eingestellt. Dies betrifft nach Angaben des Kultusministeriums sowohl die ruhenden als auch die im Widerspruch befindlichen Verfahren. News4teachers