BERLIN. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und CDU-Bundesvize Karin Prien hat mit Blick auf die Pisa-Ergebnisse zu mehr Investitionen in Bildung aufgerufen. «Wir brauchen ein neues Selbstverständnis», sagte die Politikerin. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien in Deutschland, empfahl unterdessen den Bundesländern, sich die Hansestadt zum Vorbild zu nehmen. Dafür gibt es tatsächlich gute Gründe.
«Deutschland muss den Weg vom Sozialstaat zum sozialen Bildungsstaat einschlagen. Wir müssen – über alle Altersstufen hinweg – Bildung in den Haushalten von Bund und Ländern priorisieren», sagte Prien. Das gelte bei der frühkindlichen Bildung, Schulbildung, Aus-, Fort und Weiterbildung aber genauso auch bei der Grundlagen- und Spitzenforschung. Deutschland habe sich über Jahrzehnte in ideologischen Debatten über das Schulsystem verheddert, sei spät in der Digitalisierung gewesen und schaffe es nicht, genügend qualifiziertes Personal an seine Schulen zu bekommen.
«Die Ergebnisse waren zu erwarten. Wir müssen in der öffentlichen Diskussion endlich die Ursachen klar benennen. Nur so wird der Blick frei für Lösungsansätze», erklärte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe. «Die Ursachen liegen auf der Hand. Alle Lernstandsuntersuchungen nach dem Jahr 2020 zeigen, dass die lange Zeit der Schulschließungen und Unterrichtseinschränkungen während der Corona-Pandemie zu deutlichen Lernrückständen in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern geführt hat. Zudem hat sich gerade in Deutschland die Schülerschaft deutlich verändert: Die Zahl der Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern hat erheblich zugenommen.»
Rabe weiter: «Während der Corona-Pandemie waren die Schulen fast ein halbes Jahr lang weitgehend geschlossen, ein weiteres halbes Jahr lang fand nur jede zweite Unterrichtsstunde in der Schule statt. Die jetzt mit der PISA-Studie nachgewiesenen Lernrückstände von einigen Monaten sind die schlimme Folge. Die Studie zeigt auch, dass die Zahl von Schülerinnen und Schülern aus benachteiligten Verhältnisse seit zehn Jahren deutlich zunimmt. So stieg die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland seit 2002 um rund 50 Prozent (von 25,8 auf 38,7 Prozent). Nur knapp die Hälfte von ihnen spricht zu Hause Deutsch. Der Anteil der besonders benachteiligten Kinder aus der ersten Zuwandergeneration hat sich sogar um das Zweieinhalbfache auf knapp zehn Prozent erhöht.»
«Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass die Kinder in ihren Familien Lesen, Schreiben und Rechnen durch Übungen festigen»
Rabe verweist in diesem Zusammenhang auf die Erfahrungen in Hamburg: «Angesichts der veränderten Schülerschaft müssen wir mehr Zeit und mehr Konzentration für das Erlernen von Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben, Zuhören sowie Mathematik einsetzen. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass die Kinder in ihren Familien Lesen, Schreiben und Rechnen durch Übungen festigen. Deshalb haben wir in Hamburg die Übungsprozesse in die Schulzeit integriert.»
Konkret bedeute das: «Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, in den Grundschulen täglich zu lesen und die von vielen Wissenschaftlern empfohlenen neuen Lernmethoden wie zum Beispiel das ‚BiSS-Lesetraining‘ in den Grundschulen einzusetzen. Darüber hinaus hat es sich in Hamburg bewährt, für Kinder mit Lernrückständen zusätzliche Förderkurse anzubieten. Bei uns bekommen alle Grundschüler mit Lernproblemen mindestens zwei zusätzliche Förderstunden am Nachmittag in der Schule. Es hat sich zudem bewährt, dass wir bereits vor der Schule mit der Förderung beginnen. Wer in Hamburg mit viereinhalb Jahren nicht altersangemessen spricht, wird bereits mit fünf Jahren schulpflichtig und intensiv gefördert. Ganztagsschulen bieten dafür zusätzliche Lernzeit. In Hamburg haben alle Grundschulen freiwillige Ganztagsangebote, die Teilnahmequote liegt bei fast 90 Prozent.»
Tatsächlich hat sich Hamburg in den vergangenen Jahren in allen Schüler-Leistungsvergleichen stetig nach oben gearbeitet. So ergab unter anderem die jüngste IQB-Studie, dass die Neuntklässler – Zielgruppe auch der Pisa-Studie – im Vergleich der 16 Bundesländer in Englisch und Deutsch immer besser geworden sind. Kein anderes Bundesland habe sich in den vergangenen dreizehn Jahren so stark verbessert wie die Hansestadt, erklärte Rabe bei der Veröffentlichung der Daten im Oktober. «2011 lagen die Leistungen der Hamburger Schülerinnen und Schüler in Klassenstufe 9 im Vergleich aller 16 Bundesländer über alle Fächer hinweg durchschnittlich auf Platz 11, heute auf Platz 4.» News4teachers / mit Material der dpa
Neuer Pisa-Schock: Deutsche Schüler schneiden so schlecht ab wie nie – nicht nur wegen Corona