BERLIN. Der Grundschulverband hat vor den negativen Folgen eines Verzichts auf digitale Medien in Grundschulen und Kitas gewarnt – und stellt sich damit gegen ein Manifest von drei Dutzend Professorinnen und Professoren, Ärzt*innen und Pädagog*innen, die darin ein Moratorium für den IT-Einsatz bis Klasse sechs fordern. Zwar werde zurecht auf Gefahren digitaler Medien für das Aufwachsen von Kindern hingewiesen, so erklärt der Grundschulverband. „Ein Verzicht in Bildungseinrichtungen verhindert allerdings eine systematische Einführung und Bildung in diesem Bereich und überlässt die Verantwortung für die sichere Nutzung digitaler Medien allein den Familien.“
„Im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen fordern wir ein Moratorium der Digitalisierung insbesondere der frühen Bildung bis zum Ende der Unterstufe (Kl. 6): Es müssen zuerst die Folgen der digitalen Technologien abschätzbar sein, bevor weitere Versuche an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden. Diese haben nur ein Leben, nur eine Bildungsbiografie und wir dürfen damit nicht sorglos umgehen“, so fordern die Wissenschaftler*innen in ihrem Manifest, das in den vergangenen Wochen für Wirbel sorgte (News4teachers berichtete).
Der Grundschulverband wendet nun ein: Die Schule müsse das Aufwachsen von Kindern in der digital geprägten Welt unterstützen, indem sie systematisch in die Reflexion, Analyse, Nutzung und Gestaltung digitaler Medien und Technologien einführt. Dies auch, da die Nutzung digitaler Medien zu einer wichtigen Kulturtechnik geworden sei und damit die traditionellen Kulturtechniken erweitere.
„Digitale Technologien bieten enorme Chancen für das Aufwachsen und die Bildung von Kindern. Sie ermöglichen Zugang zu vielfältigen Bildungsangeboten und fördern – richtig eingesetzt – neben kognitiven Lernzielen auch die Persönlichkeitsentwicklung, Kreativität, Solidaritätsfähigkeit und eine gesunde Lebensführung. Schulen und Kitas müssen diese Bildungspotenziale nutzen, um Kinder angemessen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten“, so heißt es.
„Kinder müssen gerade heute vielfältige Erfahrungen mit und ohne digitale Medien erwerben können“
Der Grundschulverband nimmt nach eigenem Bekunden zwar Bedenken bezüglich der Risiken digitaler Medien ernst – betont aber die Bedeutung der Medienpädagogik in Grundschulen. „Der Einsatz digitaler Medien in Kita und Grundschule ist in medienpädagogische Konzepte einzubinden, die das sichere Aufwachsen von Kindern unterstützen.“
Gleichzeitig hebt der Verband die Bedeutung lebensweltlicher und ganzheitlicher Erfahrungen in Natur und Kultur hervor, die im Zeitalter der Digitalisierung keinesfalls zu vernachlässigen seien. „Kinder müssen gerade heute vielfältige Erfahrungen mit und ohne digitale Medien erwerben können. Kinder sollen auch durch solche Primärerfahrungen und den Einsatz analoger Medien ein vielfältiges Lernen erleben, das sie auf unterschiedliche Lebenssituationen vorbereitet. Der Verband sieht in einer solchen ganzheitlichen Bildung einen wesentlichen Baustein für die Entwicklung von Kindern in Kitas und Grundschulen.“
Der Verband fordert konkret:
- Die verbindliche Verankerung einer digitalen Grundbildung in allen Bildungsplänen für die Grundschule unter besonderer Berücksichtigung der Medienpädagogik.
- Die Ausstattung aller Grundschulen mit den erforderlichen Geräten und einer angemessenen Netzinfrastruktur.
- Die Förderung von Forschungsprojekten zur Entwicklung neuer Grundschullernkulturen in der Digitalität.
- Die Weiterentwicklung der Lehrkraftaus- und weiterbildung unter Berücksichtigung medienpädagogischer, fachdidaktischer und grundschulpädagogischer Expertise.
- Die Förderung von Schulentwicklungsprojekten zur Entwicklung geeigneter Lösungen für Grundschulen.
- Die Entwicklung eines Beratungskonzepts für Eltern, das über negative Folgen digitaler Medien und Interventionsmaßnahmen informiert
Auch die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) hat sich zu dem Manifest zu Wort gemeldet. „Die Debatte zur Medienbildung in Kitas und Schulen wird in der Stellungnahme in ein ‚Entweder-Oder‘ gelenkt, welches eine wünschenswerte Diskussion über ein gelingendes WIE der medienpädagogischen Arbeit in weite Ferne rücken lässt. So ein Vorgehen ist nicht zielführend und kann nicht im Sinne transformativer Lern- und Bildungsprozesse sein“, heißt es in einer Stellungnahme.
„Es ist sicher auch noch großer Handlungsbedarf an Schulen, damit der Einsatz von Medien medienpädagogisch und didaktisch begründeter geschieht“
Und weiter: „Wir stimmen der Aussage im Moratorium zu, dass der öffentliche Diskurs über Schule und Unterricht derzeit häufig verkürzt wird auf die Frage nach Digitaltechnik. Zudem fehlt es an einem öffentlichen und interdisziplinären Diskurs über den verantwortlichen Einsatz digitaler Medien in Bildungseinrichtungen. Es ist sicher auch noch großer Handlungsbedarf an Schulen, damit der Einsatz von Medien medienpädagogisch und didaktisch begründeter geschieht.“ Allerdings müssten auch Fragen nach Lernumgebungen und Lehr- und Lernsituationen gestellt werden. „Dies geschieht allen voran mit an den Lebenswelten orientierten, medienpädagogischen Projekten, die ein gemeinsames, kooperatives und konzentriertes Miteinander fördern.“
Ein Beispiel: Wenn Kinder gemeinsam im Wald die Bilder für ein „Naturmemory“ aus Blättern und Früchten fotografieren, wird laut GMK „gewiss keine ‚körperliche Aktivität verdrängt‘. Vielmehr motivieren die vielfältigen Möglichkeiten die Kinder, sich aktiv mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen. Die Kinder zeigen erfahrungsgemäß häufig eine längere Konzentrationsspanne und sind in der Lage, Sachverhalte besser zu verstehen und zu benennen.“ Wer könnte dagegen etwas einzuwenden haben? News4teachers