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IGLU-Studie: Häufig keine effiziente Klassenführung – Leseunterricht an Grundschulen auch didaktisch optimierbar

DORTMUND. Grundschulkinder attestieren ihren Lehrkräften keine ausreichend effiziente Klassenführung, fühlen sich aber in hohem Maße kognitiv aktiviert und nehmen ihre Lehrkräfte als unterstützend wahr. Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der TU Dortmund jetzt im Rahmen der IGLU-Studie ermittelt. Danach wird systematischen Diagnostikverfahren bei der Kompetenzermittlung im Durchschnitt eine eher geringe Bedeutung beigemessen und es werden in Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Staaten seltener Lesestrategien eingesetzt, die das Verständnis vertiefen.

Die Forscherinnen und Forscher sehen ein hohes Entwicklungspotential, um den Lese-Unterricht zu verbessern.(Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Die Entwicklung der Lesekompetenz hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die das Institut für Schulentwicklungsforschung im Rahmen der Tuesdays for Education auf Basis der repräsentativen IGLU-Daten in den Blick nimmt. Wie ist die Unterrichtsqualität des Leseunterrichts an Grundschulen in Deutschland? Wie verhält sich die Lesezeit in Deutschland im internationalen Vergleich? Wie erfolgt die Diagnostik der Lesekompetenz und welche Lesestrategien werden angewendet? Dabei zeigt sich, dass es in Deutschland ein hohes Entwicklungspotential der Rahmenbedingungen zur Verbesserung der Lesekompetenz gibt.

Grundschulkinder berichten Defizite bei Klassenführung, schätzen aber kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung positiv ein: Eine effiziente Klassenführung ist für die Unterrichtsqualität von zentraler Bedeutung, da sie die Rahmenbedingung schafft, unter der das Lernen stattfindet. Hier geht es zentral um die Verabredung klar formulierter Regeln, den Umgang mit Störungen und effektives Zeitmanagment. „Vor diesem Hintergund ist es sehr bedenklich, dass gut 40 Prozent der Kinder die Qualität der Klassenführung, im Sinne einer ruhigen und strukturierten Lernumgebung, lediglich als ‚mittel‘ und etwa 25 Prozent diese sogar als ‚gering‘ einschätzen“, führt IGLU-Projektmitarbeiter Dr. Ruben Kleinkorres aus.

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Das Sicherstellen eines ruhigen, fokussierten und geordneten Unterrichts solle deshalb stärker in den Fokus rücken. „Zwei weitere wichtige Dimensionen der Unterrichtsqualität, die kognitive Aktivierung und die konstruktive Unterstützung, werden allerdings mit 85.2 Prozent und 89.4 Prozent ‚hoher‘ Qualität deutlich besser bewertet“, ergänzt Kleinkorres.

„Kognitive Aktivierung“ beschreibt, dass Lerngegenstände inhaltlich klar und verständlich erklärt und erarbeitet werden, wobei individuelle Lernvoraussetzungen und Vorkenntnisse berücksichtigt werden. Maßnahmen der „konstruktiven Unterstützung“ dienen der Herstellung eines positiven und lernförderlichen Lernklimas. Dieser Aspekt der Unterrichtsqualität zeigt sich beispielsweise durch persönliche Zuwendung der Lehrkraft zu den Schülerinnen und Schülern und Feedback.

Tiefergehende Analysen ergaben hierbei, dass Jungen sich in geringerem Maße kognitiv aktiviert fühlen, die Lehrkraft als weniger unterstützend und die Klassenführung als weniger positiv wahrnehmen. Zudem verdeutlichte die tiefergehende Analyse, dass Schülerinnen und Schüler mit einer höheren Leistung im Lesekompetenztest die Klassenführung positiver wahrnahmen und ebenso die konstruktive Unterstützung.

Im internationalen Vergleich wird in Deutschland im Unterricht verhältnismäßig wenig gelesen – die Lesekompetenz wird kaum systematisch diagnostiziert: Die für das Lesen genutzte Zeit im Unterricht kann als quantitatives Maß für die Bedingungen des Leseunterrichts herangezogen werden. Die wöchentliche Unterrichts-Lesezeit liegt in Deutschland allerdings mit 141 Minuten deutlich unterhalb des Durchschnitts der EU- (194 Minuten) und OECD-Staaten (205 Minuten). Studien haben gezeigt, dass eine systematische Erhöhung der Lesezeit einen positiven Effekt auf die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern haben kann. „Wichtiger als die bloße Lesezeit sei aber, wie diese zur wirksamen Leseförderung genutzt werde“, erläutert Kleinkorres.

Eine zielgerichtete Förderung der Lesekompetenz setzt voraus, dass die Lesekompetenzstände in regelmäßigen Abständen systematisch erfasst werden. Allerdings wird nur rund ein Drittel der Schülerinnen und Schüler von Lehrkräften unterrichtet, die längere Tests als wichtiges Mittel zur Beurteilung der Lesekompetenz wertet. Die meisten Schülerinnen und Schüler werden von Lehrkräften unterrichtet, die dem Beantworten von Fragen im Unterricht – 80.6 Prozent – oder der Beobachtung der Schülerinnen und Schüler beim Arbeiten – 65.6 Prozent – viel Bedeutung beimessen. Immerhin noch gut die Hälfte der Lehrkräfte misst längerfristigen Projekten wie Lesetagebüchern viel Bedeutung zu.

Lesestrategien, die das Verständnis vertiefen, werden in Deutschland nur selten vermittelt: Das gezielte Üben von Lesestrategien unterstützt die Entwicklung des Leseverständnisses und bildet somit eine wichtige Säule eines guten Leseunterrichts. „Der überwiegende Teil der Lesestrategien wird in Deutschland seltener eingesetzt als im Durschnitt der EU-Teilnehmerstaaten und -regionen. Insbesondere Elaborationsstrategien, die dem vertieften Verständnis dienen, kommen in einem geringen Teil der vierten Klassen regelmäßig zum Einsatz“, führt Kleinkorres aus. Strategien systematischen Wortschatzerwerbs, des Dekodierens oder Gelegenheiten zur Entwicklung der Leseflüssigkeit wird im Unterricht in der vierten Klasse bei weniger als einem Viertel der Kinder täglich oder fast täglich dargeboten.

Im Unterricht von mehr als zwei Dritteln der Viertklässlerinnen und Viertklässlern werden jeden Tag oder fast jeden Tag die Strategien des lauten Vorlesens durch einzelne Schülerinnen und Schüler oder des leisen Lesens eingebunden. Bezüglich des leisen Lesens liegt Deutschland über dem Mittelwert der EU-Teilnehmerstaaten und -regionen. Lehrpersonen bieten demnach häufig Gelegenheiten an, Lesen zu üben, wobei das in der Forschung umstrittene Reihum-Lesen nach Angaben der Lehrkräfte nach wie vor häufig durchgeführt wird.

Hauptaussagen eines Textes zu benennen, kommt noch bei gut einem Drittel in Deutschland täglich oder fast täglich vor. Strategien zum selektiven oder orientierendem Lesen übt dagegen weniger als ein Zehntel der Viertklässlerinnen und Viertklässler jeden Tag oder fast jeden Tag. Die beiden letztgenannten Strategien werden im Durchschnitt der EU-Teilnehmerstaaten und -regionen signifikant häufiger eingesetzt.

Elaborationsstrategien dienen dazu, Textinhalte dauerhaft im Gedächtnis zu verankern, indem beispielsweise Begriffe geklärt, Fragen an den Text gestellt oder Schlussfolgerungen gezogen werden. Die betrachteten Elaborationsstrategien kommen insgesamt in wenigen Klassen regelmäßig zum Einsatz. Ihr eigenes Lesen zu kontrollieren (29.1 Prozent) oder ihr Verständnis mit Textbelegen zu stützen (20.2 Prozent) übt dabei noch nennenswerte Anteil der Viertklässlerinnen und Viertklässler täglich oder fast täglich. Bei wenigen Kindern werden jeden Tag oder fast jeden Tag Strategien des Abgleichs von Gelesenem mit anderen Inhalten (3.1 Prozent), das Ermitteln der Perspektive des Autors bzw. der Autorin (2.0 Prozent) oder das Erörtern von Stil und Struktur eines Textes (0.2 Prozent) geübt. Mit Ausnahme des Kontrollierens des eigenen Lesens liegt Deutschland für alle weiteren Elaborationsstrategien signifikant unter dem Durchschnittswert der EU-Teilnehmerstaaten und -regionen.

Leseunterricht birgt erhebliches Verbesserungspotential: „Insgesamt zeigt sich für Deutschland ein erhebliches Verbesserungspotential in den untersuchten Bereichen. Von besonderer Bedeutung ist eine systematische Diagnostik der Lesekompetenz, denn nur so können Lesekompetenzstände verlässlich erfasst und eine gezielte Förderung, sei es in Kleingruppen oder individuell, und auch unter Nutzung von Lesestrategien auf den Weg gebracht werden“, resümiert die Studienleiterin Professorin Nele McElvany, Geschäftsführende Direktorin des IFS.

Die Forschungsfragen wurden auf Basis der Daten von IGLU 2021 untersucht. Die Daten der Studie sind auf Ebene der Schülerinnen und Schüler repräsentativ für Deutschland sowie für die 65 teilnehmenden Staaten und Regionen. Die Stichprobe für Deutschland umfasst 4.611 Schülerinnen und Schüler und 252 Deutschlehrkräfte aus entsprechend vielen öffentlichen Grundschulen aus allen 16 Bundesländern. News4teachers

Hier lässt sich der Kurzbericht der Sonderauswertung herunterladen.

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