LEIPZIG. Studienanfänger in Sachsen haben einer Studie zufolge «teilweise gravierende Defizite» in Mathematik. Probleme zeigten sich im korrekten Umgang mit Potenzen und Brüchen sowie bei einfachen algebraischen Termumformungen, wie Prof. Max von Renesse vom Mathematischen Institut der Universität Leipzig am Dienstag mitteilte. «Bemerkenswert ist in diesem Segment das deutlich bessere Abschneiden der Teilnehmenden mit Schulabschluss aus dem Ausland».
An der Studie hatten rund 2.100 Studierende des ersten Semesters der Studiengänge Wirtschaft, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie (WiMINT) aus acht sächsischen Hochschulen teilgenommen. Dabei wurden die Kenntnisse in den schulmathematischen Kernkompetenzen entlang der geltenden Lehrpläne der Mittel- und Oberstufe mit Testaufgaben schriftlich untersucht. Die Aufgaben wurden von einer Kommission aus Lehrkräften, Fachdidaktiker*innen und Hochschullehrenden so gestaltet, dass eine Bearbeitung für Abiturientinnen und Abiturienten hilfsmittelfrei ohne größere Schwierigkeiten möglich sein sollte.
Sächsische Studienanfängerinnen und -anfänger mit einem Abitur aus dem Freistaat erreichten dabei im Schnitt bessere Ergebnisse als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen mit Schulabschluss aus anderen Bundesländern. «Sie bewiesen ein insgesamt gutes intuitives Verständnis von Funktionsgraphen und ihrer formelmäßigen Beschreibung», so heißt es.
«Ein erfolgreicher Start ins Studium kann kaum gelingen, wenn die Basisfähigkeiten nicht in den Jahren zuvor erworben und kontinuierlich geübt wurden»
Bei den festgestellten Problemfeldern handelte es sich schwerpunktmäßig um Inhalte aus der Sekundarstufe I sowie aus dem Übergangsbereich zwischen Primar- und Sekundarschule, wie die Auswertung zeigte. In der späteren kritischen Phase des Übergangs von der Schule zur Hochschule hätten gerade diese Versäumnisse und mangelnde Grundfertigkeiten die wesentliche Hürde für den Erfolg in einem WiMINT-Studium dargestellt.
«Ein erfolgreicher Start ins Studium kann kaum gelingen, wenn die dafür erforderlichen Basisfähigkeiten nicht bereits in den Jahren zuvor erworben und kontinuierlich geübt wurden», betont von Renesse, Co-Sprecher des Arbeitskreises Schulmathematik der sächsischen Hochschulen, der im vergangenen Oktober die neue landesweite Lernstandserhebung vorgenommen hatte und deren Ergebnisse jetzt veröffentlicht wurden.
In Deutschland werden Fachkräfte und Spezialist*innen in den Bereichen Wirtschaft, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie dringend für den Erhalt unserer Innovations- und Wirtschaftskraft gebraucht. Das Institut der Deutschen Wirtschaft schätzte zum Ende des Jahres 2022 die Lücke auf 326.100 Fachkräfte in diesen Bereichen. Dem immensen Bedarf an qualifiziertem Personal stünden auf Seiten der Hochschulausbildung trotz abgesenkter Standards abnehmende Einschreibezahlen und hohe Abbruchquoten in den WiMINT-Studiengängen gegenüber, erklärt Prof. von Renesse. Meist werde ein Studium in diesen Fachrichtungen wegen individueller Überforderung in den Mathematikmodulen abgebrochen. Mathematische Kompetenz sei jedoch in WiMINT-Berufen unverzichtbar und ihre Vermittlung wichtiger Bestandteil der Qualifikation.
Vor diesem Hintergrund hat der Arbeitskreis Schulmathematik der sächsischen Hochschulen – ein seit 2017 bestehendes Bündnis von Hochschullehrenden aus Mathematischen Instituten sächsischer Universitäten und Hochschulen – diese umfassende Bestandsaufnahme der Mathematikkenntnisse unter den Studienanfänger*innen im Freistaat vorgenommen. Ziel des Bündnisses ist die Verbesserung des Studienerfolgs besonders in der Übergangsphase von Schule zu Hochschule. Wie 2023 wurden bereits 2017 und 2022 entsprechende Untersuchungen durchgeführt. Die damaligen Befragungen lieferten ein ähnliches Bild.
«Die begleitende Wiederholung der Grundlagen sollte auch in späteren Klassenstufen nicht vernachlässigt werden»
«Die Lernstandserhebung 2023 zeigt, dass die insgesamt erfreulichen Abiturergebnisse Sachsens in Mathematik nur begrenzt als Indikator für die Studierfähigkeit unserer SchulabgängerInnen in WiMINT-Fächern dienen können», betont Prof. Silvia Schöneburg-Lehnert, die ebenfalls für den Arbeitskreis Schulmathematik spricht.
Eigenständiges Denken und selbstverantwortliches Lernen in den auf strukturelle und quantifizierbare Erkenntnisse ausgerichteten Wissensbereichen könnten nur gelingen, wenn Schulkinder besonders in der Mittelstufe die dafür erforderlichen elementaren Fertigkeiten und Konzepte gemeinsam mit ihren Begründungen erlernen und üben. Nur dann könnten später die notwendigen weitergehenden mathematischen Methoden erfolgreich vermittelt und bis zur Anwendungsfähigkeit verstanden werden. «Die begleitende Wiederholung der Grundlagen sollte auch in späteren Klassenstufen nicht vernachlässigt werden. Das ist wie mit einer Fremdsprache. Um die zu beherrschen, muss man auch Vokabeln trainieren», erläutert von Renesse.
Am 23. Januar 2024 findet in Dresden die zweite «Fachtagung Übergang Schule-Hochschule» statt, zu der der Arbeitskreis Schulmathematik gemeinsam mit der sächsischen Landesfachberaterin Mathematik und mit Unterstützung des Sächsischen Kultusministeriums einlädt. Im Mittelpunkt der Konferenz stehen Strategien und Maßnahmen zur Qualitätssicherung für den Mathematikunterricht an den sächsischen Gymnasien und Oberschulen – sowie mögliche Reaktionen auf Seiten der Hochschulen zu den festgestellten Defiziten bei den Studienanfängerinnen und -anfängern. News4teachers
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