MÜNCHEN. Das Ziel war ein realistischer Blick in die Schulen hinein – und das Ergebnis ist erschreckender als erwartet. Zum Ende des ersten Schulhalbjahres hat der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) der Politik eine Art Zwischenzeugnis ausgestellt und sich dafür angeschaut, wie viele Stunden wirklich an bayerischen Schulen ausfallen. Das sind laut BLLV viel mehr als offiziell dargestellt.
Der BLLV spricht in einer Pressemitteilung von einem „Jonglieren mit Vertretungsstunden und viel zu geringen Ressourcen“. Der Verband hatte Schulleitungen befragt, wie denn die Vertretungspläne für die Kalenderwochen (KW) 5 und 6 ganz konkret aussahen und das Ergebnis sei in diesem Überblick sogar für die Schulleitungen erschreckend gewesen.
Simone Fleischmann, Vorsitzende des BLLV, nennt ein konkretes Beispiel: „An einer Grund- und Mittelschule in Oberfranken mit 407 Schülerinnen und Schülern sieht es in KW 5 so aus: acht kranke Kolleginnen, fünf davon Klassenlehrkräfte, nur eine mobile Reserve vom Schulamt. Die Konrektorin macht selbstverständlich die Überstunden und leitet eine Klasse. Der Rektor ebenso und übernimmt die nächste Klasse. Doch trotz all diesen Bemühungen sind in dieser Woche allein 83 Stunden ersatzlos ausgefallen. Darunter natürlich viele – und das ist jetzt die Kernbotschaft – die zur Differenzierung wichtig sind: Deutsch als Zweitsprache, Deutschstunden, Förderunterricht und vor allem Nachmittagsstunden im Ganztag.“
Die Schulleiterin einer Grundschule aus Schweinfurt erzählt außerdem von einer Kollegin, die wochenlang mit Bronchitis und Lungenentzündung unterrichtete, weil diese keine nicht grundständig ausgebildete Lehrkraft vor ihre Klasse stellen wollte, beziehungsweise konnte. „Ich wollte sie heimschicken, aber sie hat recht. Ich kann das keiner Nicht-Lehrkraft zumuten“, so die Schulleiterin mit Blick auf die Klasse, in der 15 von 23 Kindern kein Wort Deutsch können.
Debatte um mehr Deutsch- und Mathestunden? Thema verfehlt!
Offiziell seien im vergangenen Schuljahr 0,9 Prozent aller Schulstunden ersatzlos ausgefallen, so berichtet es die Süddeutsche Zeitung (SZ). Der BLLV kommt in den exemplarisch untersuchten Wochen auf deutlich höhere Werte von bis zu acht Prozent. Vertretungsstunden oder das Zusammenlegen von zwei Klassen seien darin nicht eingerechnet. Von Qualität könne dann keine Rede sein, sagte Fleischmann laut SZ, „die Vertretung machen Leute, die die Klasse nicht kennen oder gar keine Lehrer sind“. Natürlich sei die Situation nicht an allen Schulen gleich, aber gerade an Grund-, Mittel- und Förderschulen sei der Lehrermangel seit Jahren hoch. Und es gebe eine „entscheidende Lücke“ zwischen dem, „was die Politik diskutiert und was vor Ort tatsächlich abgeht“, so die BLLV-Präsidentin.
Im gleichen Zuge kritisiert Fleischmann die Debatte nach der jüngsten Pisa-Studie, dass an bayerischen Grundschulen bald mehr Deutsch und Mathe unterrichtet werden soll – allerdings ohne konkrete Pläne, welche anderen Fächer dafür gestrichen würden. Mit der Realität habe diese Frage wenig zu tun, so Fleischmann: „Wo sollen denn all die Grundschullehrkräfte herkommen, die all diese Aufgaben übernehmen?“
Der BLLV fordert nach diesem katastrophalen Zwischenzeugnis Maßnahmen der Politik. Ganz konkret: Das Kultusministerium solle die Notmaßnahmen von 2020 zurücknehmen, um den Job wieder attraktiver zu machen. Dazu gehöre vor allem, dass eine frühere Rente und Sabbatjahre wieder möglich seien, die Antragsteilzeit von mindestens 24 Stunden zurückgenommen und das Arbeitszeitkontos für Grundschullehrkräfte abgeschafft werde.
In der Pressemitteilung des BLLV heißt es: „Die Politik muss auch ihren Beitrag leisten. Und dieser Beitrag wäre, das verlorene Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen in die Politik wiederherzustellen.“ News4teachers
Grundschulen: Mehr Mathe und Deutsch, mehr Vorgaben – gleichzeitig mehr Freiräume!?
