DÜSSELDORF. Zwangsversetzungen von Lehrkräften – sogenannte Abordnungen – sorgen in nordrhein-westfälischen Schulen derzeit für Ärger. Bis Ende Februar mussten Schulleitungen aus dem Regierungsbezirk Münster entscheiden, welche Mitglieder ihrer Kollegien ab dem kommenden Schuljahr für zwei Jahre in Regionen versetzt werden sollen, in denen die Personalnot besonders groß ist, so berichtet die „Rheinische Post“. Die übrigen Regierungsbezirke würden nachziehen. Der VBE spricht von „Abordnungen in großem Stil“.
Lehrkräftemangel herrscht überall in Deutschland, insbesondere an den Grundschulen. Allerdings fällt der Fehlbedarf je nach Region und Standort unterschiedlich schwer aus. Standorte in ländlichen Regionen und in sozialen Brennpunkten haben besonders große Schwierigkeiten, vakante Stellen zu besetzen. Und der Druck steigt – damit die Zahl der Zwangsversetzungen: Aus den Verfahren von 2023 seien derzeit 99 Grundschullehrkräfte abgeordnet, teilte die Bezirksregierung Münster der „Rheinischen Post“ mit. „Für das kommende Schuljahr sollen, in Abhängigkeit vom Einstellungs- und Versetzungsverfahren, zirka 150 bis 200 weitere Stellen in den Bedarfsregionen ankommen.“ Dabei könnten mehrere Abordnungen nötig sein, um eine einzelne Vollzeit-Stelle zu besetzen.
„Abordnungen, zumal, wenn sie nicht auf freiwilliger Basis geschehen, können nur das letzte Mittel sein, um personelle Lücken zu schließen“
„Der derzeitige Personalmangel an den Schulen des Landes ist ein hausgemachtes Problem. Jahrelang ist keine nachhaltige und vorausschauende Personalpolitik betrieben worden. Die Landesregierungen haben essenzielle Aspekte wie Geburtenrate und weitere schulpolitische Maßnahmen nicht ausreichend beachtet. Nun sollen über den Weg der Abordnungen Lücken in besonders betroffenen Regionen geschlossen werden, wohlwissend, dass dadurch Unruhe und Lücken in anderen Regionen geschaffen werden“, so erklärt der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau.
Er beklagt: „Sehr viele Menschen – Lehrkräfte, Kinder und Eltern – sind betroffen. Abordnungen in großem Stil führen in den betroffenen Schulen zu Unsicherheiten, die unmittelbar Auswirkungen auf alle Beteiligten haben. Aktuell werden die Schulleitungen und ihre Schulen mit der Situation zu oft alleine gelassen.“
Behlau betont: „Abordnungen, zumal, wenn sie nicht auf freiwilliger Basis geschehen, können nur das letzte Mittel sein, um personelle Lücken zu schließen. Denn auf der einen Seite wird eine große Unruhe in die Schulen getragen, die abzuordnen haben – eine Unruhe, die sich stets negativ auf einen kontinuierlichen Schul- und Unterrichtsalltag auswirkt. Und auf der anderen Seite wird den Schulen, denen die Abordnungen zugutekommen, dadurch nicht mehr als ein zeitlich begrenztes Wundpflaster verpasst, während eine wirkliche kontinuierliche Behandlung versäumt wird. Schulische und unterrichtliche Entwicklungs-, Erziehungs- und Bildungsarbeit braucht aber auch personelle Kontinuität. Deswegen muss die oberste Priorität der Landesregierung sein, ausreichend qualifiziertes Fachpersonal zu gewinnen.“
Die Folgen der Maßnahme, Lehrkräfte aus ihren Klassen zu nehmen, für die sie sich verantwortlich fühlen und für die sie ihren Unterricht langfristig geplant haben, löse bei vielen von ihnen Stress und Frustration aus. „Das ist in der aktuellen Situation sehr schwierig, da Lehrkräfte immer wieder melden, dass sie unter permanentem Druck durch zu hohe Anforderungen stehen. Die Gefahr, dass der Gesundheitsschutz der Lehrkräfte nicht gesichert werden kann, ist hoch“, meint der VBE-Landeschef.
Er unterstreicht: „Kinder brauchen für eine erfolgreiche Lern- und Leistungsentwicklung konstante Beziehungen zu ihren Lehrkräften. Diese Konstanz wird ihnen genommen. Das betrifft sowohl die abgebenden als auch die aufnehmenden Schulen. Den betroffenen Kindern wird, wegen der fehlgeleiteten Personalpolitik der vergangenen Jahre, ihr Anrecht auf optimale Bildungschancen verwehrt.“
„Es ist davon auszugehen, dass etliche Abordnungsentscheidungen vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden“
Die Schulen sind laut Bericht weitgehend frei, nach welchen Kriterien sie die Kandidatinnen oder Kandidaten auswählen. Die Auswahlmethoden reichten Berichten zufolge von Auslosungen bis zur Erarbeitung komplizierter Kriterienkataloge, so heißt es. Hinnerk Wißmann, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster, kritisiert das gegenüber der „Rheinischen Post“ scharf. „Es ist davon auszugehen, dass etliche Abordnungsentscheidungen vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden“, sagt er voraus. „Völlig unverständlich und dysfunktional ist es, dass die Kriterien für eine Abordnung in den Schulen ausgearbeitet werden.“ Das führe zu Ungleichheiten, die sich der Dienstherr – also das Land – zurechnen lassen müsse.
Der VBE fordert, dass freiwillige Abordnungen stets Vorrang haben müssen und Lösungen gefunden werden, die den unterschiedlichen Herausforderungen der einzelnen Schulen gerecht werden. Die beteiligten Dienststellen seien aufgefordert, transparent mit den Beteiligten zu kommunizieren und nachvollziehbare Verfahrensweisen zu entwickeln.
Behlau: „Es entsteht zunehmend der Eindruck, dass die Lehrkräfte ganz nach dem Prinzip des Barons von Münchhausen versuchen sollen – auf Anweisung ihres Dienstherrn – sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Lehrkräftemangels zu ziehen. Eine Aufgabe, die sie unmöglich alleine bewältigen können.“ News4teachers
Lehrkräfte zwangsversetzen? Warum das bald wieder in den Fokus rücken könnte