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Elternwille? Nein, danke! Die CDU setzt bei der Wahl der weiterführenden Schulform wieder auf staatliche Vorgaben

STUTTGART. Wenn Baden-Württemberg absehbar zum neunjährigen Gymnasium zurückkehrt, muss aus Sicht der CDU die Grundschulempfehlung verbindlicher werden. Parteichef Hagel favorisiert ein Modell mit zusätzlichem Test. In letzter Konsequenz würde damit der Elternwille ausgehebelt. Auch in anderen Bundesländern drängen Christdemokraten (und Freidemokraten) darauf, die weiterführende Schulform im Konfliktfall staatlich vorzugeben. 

Weiß der Staat besser als die Eltern, was gut fürs Kind ist? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Baden-Württembergs CDU-Parteichef Manuel Hagel hat sich für eine verbindlichere Grundschulempfehlung ausgesprochen, die auch einen Kompetenztest für Viertklässlerinnen und Viertklässler umfasst. Für die CDU sei der Weg zu einem moderneren G9 verbunden mit einer verbindlicheren Grundschulempfehlung, sagte Hagel im Gespräch in Stuttgart. Es brauche Stabilität und Planbarkeit. «Wir sind überzeugt, dass das Zwei-aus-Drei-Modell ein Schlüssel sein kann, um alle Interessen klug zu verbinden: ein Kompetenztest, der Elternwille und die Lehrerempfehlung.»

In diesem Modell würde die Übereinstimmung von zwei der drei Kriterien den Ausschlag für die Empfehlung der weiterführenden Schule geben. Der Elternwille allein reicht dann nicht mehr.

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Die grün-rote Landesregierung hatte die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung zum Schuljahr 2012/2013 abgeschafft, seither können die Eltern frei entscheiden, welche Schulart ihr Kind nach der Grundschule besuchen soll. Seit 2017/2018 müssen Eltern die Empfehlung bei der Anmeldung ihrer Kinder der weiterführenden Schule vorlegen.

Seit diesem Schuljahr können Grundschulen freiwillig an zentralen Klassenarbeiten in den Fächern Deutsch und Mathematik teilnehmen. Der «Kompass 4» solle Lehrkräften und den Eltern «mithilfe landesweit einheitlicher und damit vergleichbarer Ergebnisse eine zusätzliche Orientierung bei der Schullaufbahnentscheidung am Ende der Grundschulzeit bieten», hatte das Kultusministerium zum Beginn des Schuljahres mitgeteilt.

Nachdem eine Elterninitiative für einen Volksantrag zur Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium in Baden-Württemberg mehr als 100.000 Unterschriften eingesammelt und an den Landtag übergeben hatte, beschloss die Landesregierung zudem, G9 wieder einzuführen. Der Zeitpunkt dafür ist noch offen.

«Wo der gern zitierte ‚freie Elternwille‘ hinsichtlich weiterführender Schulwahl erwiesenermaßen schon längst zur bloßen Beliebigkeit geraten ist, muss verantwortungsbewusste Politik handeln»

Ein Antrag der oppositionellen FDP, eine «verbindliche Grundschulempfehlung», wie die staatliche Vorgabe euphemistisch genannt wird, wieder wie früher einzuführen, scheiterte unlängst erst im Landtag – auch die CDU stimmte dagegen. Allerdings wohl nur aus Gründen der Koalitionsräson: Ein Votum gegen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hätte das Aus für Grün-Schwarz bedeutet.

Der Realschullehrerverband (RLV) und der Philologenverband (PhV) kritisierten die Ablehnung seinerzeit scharf. «Wo der gern zitierte ‚freie Elternwille‘ hinsichtlich weiterführender Schulwahl erwiesenermaßen schon längst zur bloßen Beliebigkeit geraten ist, muss verantwortungsbewusste Politik handeln, will sie dem sich stetig verfestigenden Eindruck entgegenstehen, dass sie Parteienwohl und eigene Pöstchen über das Kindeswohl stellt! Die verbindliche Grundschulempfehlung wird nicht alle, jedoch nachweislich erhebliche Probleme im Bildungssystem kostenneutral und ohne teuer aufgelegte Programme lösen können», erklärt die RLV-Landesvorsitzende Karin Broszat.

Der PhV-Landesvorsitzende Ralf Scholl pflichtete ihr bei: «Wo der ‚freie Elternwille‘ zu einer bitteren Leidensgeschichte der Kinder führt – sei es durch völlige Über- wie durch völlige Unterforderung – müssen ihm im Interesse der Kinder Schranken gesetzt werden. Wer dies aus Angst vor der Reaktion der Eltern bei der nächsten Wahl unterlässt, missachtet die Interessen der Kinder.»

In Berlin, wo die CDU den Regierungschef stellt, hat die Partei hingegen Nägel mit Köpfen gemacht: Dort wurde erst in der vergangenen Woche das Schulgesetz geändert. Demnach wird der Notenschnitt, der Schülerinnen und Schülern automatisch eine Empfehlung für das Gymnasium bringt, künftig auf einer neuen Grundlage ermittelt. Wollen Kinder mit einem nicht ausreichenden Notenschnitt und ohne entsprechende Empfehlung dennoch ab der 7. Klasse ein Gymnasium besuchen, müssen sie im Rahmen eines Probeunterrichts nachweisen, dass sie dazu geeignet sind. Der Wunsch der Eltern soll in dem Zusammenhang nicht mehr maßgebend sein (News4teachers berichtete).

Auch in anderen Bundesländern drängen Christdemokraten darauf, den Elternwillen bei der Wahl der weiterführenden Schule auszuhebeln. So in Sachsen-Anhalt. Bei einer Klausurtagung im Frühjahr 2023 hatte die CDU-Fraktion des Landtags beschlossen, sich für eine «verbindliche Schullaufbahn-Empfehlung» einsetzen zu wollen, wie Fraktionsvorsitzender Guido Heuer seinerzeit erklärte.

Das Projekt stehe zwar nicht im Koalitionsvertrag von CDU, SPD und FDP, sei aber eine «Herzensangelegenheit», so Heuer. «Wir wollen das Niveau der Sekundarstufe deutlich stärken.» Begründung: Das Handwerk suche dringend Nachwuchs. Am häufigsten würden handwerkliche Berufe von Jugendlichen ergriffen, die nach der 10. Klasse von der Schule abgingen, begründete der Fraktionschef den Vorstoß.

Das Ergebnis der dann folgenden Koalitionsgespräche sieht nun so aus: Ab dem Schuljahr 2024/25 sollen Kinder Tests absolvieren, wenn die Eltern sie aufs Gymnasium schicken wollen, obwohl es von der Grundschule keine Empfehlung dafür gibt. Zusätzlich soll in der dritten Klasse mit den Eltern eine verpflichtende «Lernberatung» stattfinden. Die Entscheidung treffen am Ende allerdings weiterhin die Sorgeberechtigten – das hatte sich offenbar die SPD ausbedungen.

«Das immer frühere Sortieren der Schülerinnen und Schüler für weiterführende Schulen ist ein völlig falsches Zeichen und international gesehen eine echte Besonderheit»

Die GEW sprach von einem «politischen Kuhhandel, bei dem es nur Verlierer gibt». Es handele sich allein um eine politische Entscheidung, die alle pädagogischen Erkenntnisse über die Entwicklung von Kindern außen vorlasse. «Das immer frühere Sortieren der Schülerinnen und Schüler für weiterführende Schulen ist ein völlig falsches Zeichen und international gesehen eine echte Besonderheit. Die Schüler*innen sollen jetzt bereits in Klasse 3 den weiterführenden Schulformen zugeordnet und damit stigmatisiert werden. Denn nicht anders empfinden Kinder diese frühe Einteilung in ‚Gut‘ und ‚Schlecht’», so schrieb die Bildungsgewerkschaft in einer Pressemitteilung.

Weiter hieß es: «Die Kinder liegen in ihrer Entwicklung zum Zeitpunkt der Einschulung rund eineinhalb Jahre auseinander und sollen jetzt offensichtlich in knapp drei Jahren so fit gemacht werden, dass Lehrkräfte eindeutig über die weitere Schullaufbahn urteilen können. Die neue Regelung trifft auf ein Schulsystem, in dem Unterrichtsausfall an der Tagesordnung ist, Klassen aufgeteilt oder zusammengelegt werden, Förderschullehrkräfte abgezogen wurden und multiprofessionelle Teams in vielen Fällen nur auf dem Papier existieren.»

Damit werde die Bildungsungerechtigkeit weiter verschärft. «Die Chance auf einen bildungs- und chancengerechten Start wird damit einmal mehr vertan. Aus unserer Sicht wächst damit auch der psychische Druck auf die Schüler*innen und ihre Eltern enorm, weil sie schon in Klasse 3 mit der Vorentscheidung konfrontiert werden, sich zwischen dem Gymnasium mit einer Unterrichtsversorgung von durchschnittlich immerhin 98 Prozent und einer Sekundarschule mit einer Versorgung von oft unter 90 Prozent entscheiden müssen. Chancengleichheit sieht anders aus.» Für die Lehrkräfte an Grundschulen und zum Teil auch Gymnasien, die bereits jetzt über dem Limit arbeiten, bedeuteten diese Verfahren eine weitere Arbeitsverdichtung und in Zeiten des Lehrkräftemangels eine weitere Belastung.

Eva Gerth, Landesvorsitzende der GEW, befand: «Aus den Fehlern der Vergangenheit hat man im Bildungsministerium offenbar nichts gelernt. Die Schulform Sekundarschule (wie in Sachsen-Anhalt die weiterführende Schulform neben dem Gymnasium heißt, d. Red.) wird nicht durch die Zwangszuführung von Schüler*innen attraktiv. Sie wird für viele Eltern dann zur echten Alternative, wenn sie endlich materiell und personell gut ausgestattet wird. Einmal mehr setzen die dafür Verantwortlichen ein völlig falsches Zeichen.» News4teachers / mit Material der dpa

Wer soll über die weiterführende Schule entscheiden – die Grundschulen oder die Eltern? Streit kocht hoch (auch unter Lehrern)

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