WIESBADEN. Abiturient*innen, Real- und Hauptschüler*innen in Hessen dürfen in den bevorstehenden Abschlussprüfungen keine Genderzeichen mehr wie Doppelpunkt, Sternchen oder Unterstrich benutzen. Sie würden als Fehler gelten und könnten deshalb zu einer schlechteren Benotung führen, teilte das Kultusministerium gegenüber dem Hessischen Rundfunk mit. Die GEW kritisiert die Ankündigung scharf.
Auf Drängen der CDU, die augenscheinlich eine Bundesländer-übergreifende Kampagne dazu verabredet hat (News4teachers berichtete), schrieb die schwarz-rote Koalition in Hessen in ihrem Koalitionsvertrag fest, «dass in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird» – bei einer Orientierung am Rat der deutschen Rechtschreibung.
Für die Schulen wird die Vereinbarung nun schneller relevant als gedacht. Der Grund dafür, dass die Verwendung von Sonderzeichen bereits bei den ab April anstehenden Abiturprüfungen als notenrelevanter Fehler gewertet werden muss, ist laut Kultusministerium das Auslaufen einer Corona-Ausnahmeregelung, die in den vergangenen zwei Jahren das Verwenden von Genderzeichen in Prüfungen gestattete, „weil in der belastenden Corona-Zeit mit zeitweisen Schulausfällen nicht alle Schülerinnen und Schüler wissen konnten, wie die Positionierung des Rats für deutsche Rechtschreibung aussah”, wie ein Sprecher von Kultusminister Armin Schwarz (CDU) erklärte. Jetzt solle aber wieder das Regelwerk des Rates angewendet werden.
„Das hessische Schulrecht kennt bislang kein Gender-Verbot. Ein solches steht in keiner einzigen der einschlägigen Verordnungen“
Die GEW spricht sich gegen das vom Kultusministerium angekündigte „Gender-Verbot“ aus – grundsätzlich und für die anstehenden zentralen Abschlussprüfungen sowieso. Sie weist auf erhebliche schulpraktische und rechtliche Probleme hin, die angesichts der Vorgehensweise drohen.
Der hessische GEW-Landeschef Thilo Hartmann erklärt in einer Pressemitteilung: „Das hessische Schulrecht kennt bislang kein Gender-Verbot. Ein solches steht in keiner einzigen der einschlägigen Verordnungen. Faire Abschlussprüfungen prüfen anhand der Standards, die zuvor gegolten haben.“ Zudem weist er auf Umsetzungsprobleme hin (Gendern im Original): „Wie sollen Lehrkräfte jetzt noch ihren Schüler:innen die neuen Regelungen vermitteln?“ Zudem sei bislang keineswegs eindeutig geklärt, welche möglichen Schreibweisen als zulässig gelten sollen und welche nicht. Die GEW befürchtet daher Rechtsunsicherheit, weil die Bewertung der Abschlussprüfungen anfechtbar wird.
Darüber hinaus wies Thilo Hartmann darauf hin, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung, auf den sich CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag berufen haben, seine Position im Dezember 2023 modifiziert hat (News4teachers berichtete). Der Rechtschreibrat bewertet das Gendern mit Sonderzeichen zwar nach wie vor als Abweichung von der orthografischen Norm, konstatiert aber auch, dass die geschlechtergerechte Schreibung aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung im Fluss ist.
Zudem stellt er ausdrücklich klar, dass Vorgaben für die Bewertungspraxis allein in der Zuständigkeit der Schulpolitik liegen. Dabei käme „rezeptive Toleranz“ als Handlungsoption in Frage. Hartmann fasst zusammen: „Der Kultusminister kann sich in dieser gesellschaftlich umstrittenen Frage nicht länger hinter den Empfehlungen des Rechtschreibrats verstecken. Wir lehnen eine Sprachregelung von oben ab. Wenn er trotz aller Kritik an diesem Vorhaben festhalten will, dann sollte er das zumindest handwerklich sauber machen.“ News4teachers
Mitglied des Rechtschreibrats sagt: „Gendern sollte nicht als Fehler gewertet werden“