DÜSSELDORF. Zuletzt ereigneten sie sich fast im Wochentakt: Gewalttaten an Schulen in Deutschland, bei denen – vor allem männliche – Schüler Messer als Waffe einsetzten. Und ein Ende dieser Entwicklung scheint nicht in Sicht. „Ich befürchte, dass es in den kommenden Monaten weitere Fälle von Messergewalt geben könnte“, sagt Professor Jens Luedtke von der Universität Augsburg im Interview mit der “Zeit”. Der Sozialforscher und Experte für Gewalt an Schulen mahnt, die Vorfälle nicht als Einzelfälle abzutun.
Ob in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein oder Berlin, in den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu extremen Gewalttaten durch Schüler und Schülerinnen – und stets spielten Messer eine Rolle (News4teachers berichtete). Infolge rechnet der Sozialforscher Jens Luedtke mit weiteren Vorfällen. Durch die beobachtete Messergewalt, im Umfeld oder medial, etabliere sie sich für Jugendliche als eine mögliche Verhaltensweise. „Man darf das nicht verharmlosen, nach dem Motto: Es sind nur Einzelfälle“, warnt der Experte im Interview.
Zahlreiche mögliche Einflussfaktoren
Auf der Suche nach den Ursachen des gewalttätigen Verhaltens will sich Professor Luedtke nicht festlegen. Stattdessen verweist er auf verschiedene mögliche Einflussfaktoren, wie die sozialen Beschränkungen während der Corona-Jahre, ungefilterte Gewalterfahrungen über soziale Medien sowie eine auf Wettbewerb und Konkurrenz ausgerichtete Gesellschaft. „Sich um jeden Preis durchzusetzen, gilt als erstrebenswert, auch im Konfliktfall“, so der Sozialforscher gegenüber der “Zeit”.
Hinzu kommen eigene Gewalterfahrungen in der Familie und ein gewaltaffines Rollenbild von Männlichkeit. „Die allermeiste körperliche Gewalt an Schulen, und dazu zählen auch Drohungen oder Angriffe mit Messern, geht von männlichen Jugendlichen aus, die damit auch ihre Männlichkeit beweisen wollen.“ Entgegen anderen Behauptungen spiele der Migrationshintergrund bei Messergewalt allerdings keine Rolle.
Diese Einschätzungen unterstützt eine Veröffentlichung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) aus dem Jahr 2022, über die das Online-Magazin „20min“ berichtet. Der Umfrage zufolge führen immer mehr Jugendliche – unabhängig vom Migrationshintergrund – ein Messer mit sich, allerdings tragen Jungen deutlich häufiger eins bei sich. In der Befragung gab dies jeder fünfte 12- bis 18-Jährige an. Bei den Mädchen in der gleichen Altersklasse galt das nur für jede zehnte Befragte. Besonders bei den 14- bis 16-jährigen Jungen seien die Stichwaffen beliebt, so Dirk Baier, Studienautor und Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW. Wichtig sei der Symbolwert der Messer: „Wer ein illegales Messer bei sich führt, genießt Anerkennung unter den Gleichaltrigen und gilt als richtiger Mann.“ Zudem habe jeder dritte Jugendliche in der Befragung angegeben, dass ein Messer mitzuführen ein Gefühl von Sicherheit vermittle.
Jeder 5. mit Messer in der Schule
Der Sicherheitsaspekt ist auch aus Luedtkes Sicht ein Grund, warum Jugendliche ein Messer mit in die Schule nehmen. Denn: „Besonders häufig machen das Jugendliche, die schon mal selbst bedroht wurden.“ Oftmals gebe es eine Vorgeschichte, die eine Gewaltspirale verursache. Mittlerweile nehme jeder fünfte Jugendliche ein Messer mit in die Schule, so Luedtke. Damit steige die Eskalationsgefahr. Eine einfache Lösung wie Metalldetektoren am Eingang gibt es laut dem Sozialforscher jedoch nicht. Er empfiehlt „ein pazifistisches Schulklima“ mit Null Gewalttoleranz – doch „das klingt einfacher, als es ist“. News4teachers
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