Lehrkräfte und Schüler fordern mehr Gewalt-Prävention – und Hilfe für Opfer

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HAMBURG. Die Schlagzeilen über Gewalt in Schulen häufen sich: Am vergangenen Donnerstag erschoss ein 15-Jähriger in Offenburg einen Mitschüler im Klassenraum – wie später offensichtlich wurde, wollte er die ganze Klasse töten. Einen Tag zuvor waren Schüler durch zwei Schulen in Hamburg gezogen, um Schulpersonal mit einer (wie sich erst danach herausstellte) Spielzeugpistole zu bedrohen. „Gewalt an Schulen ist schon längst Realität, sowohl in psychischer als auch physischer Weise werden die Beschäftigten angegriffen“, sagt Kai Kobelt, Vorsitzender der Hamburger Lehrer*innenkammer. Er fordert Konsequenzen – die Schülervertretung pflichtet bei.

eine Frau vor weißem Hintergrund hält die ausgestreckte Hand vor Ihr Gesicht
„Die psychischen Belastungen und dauerhaften Krankheiten, welche durch Gewaltvorfälle zu Tage treten, sind beachtlich.“ (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Die Vorfälle an der Stadtteilschule Blankenese haben wir mit Entsetzen und Bestürzung verfolgt. Wir hoffen darauf, dass sich so ein Vorfall für alle Betroffenen an den Schulen nicht wiederholt“, so erklärt Kobelt. Hintergrund: Am Mittwochmittag hatten zwei Jungen in einem Klassenraum der Schule eine Lehrerin mit einer Art Schusswaffe bedroht und einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst (News4teachers berichtete). Erst nach vier Stunden konnten die Einsatzkräfte Entwarnung geben. Fast zeitgleich gab es an einer anderen Schule im Stadtteil Bahrenfeld Alarm wegen einer ähnlichen Bedrohungslage. Auch hier wurde eine pädagogische Kraft bedroht. Die Polizei konnte wenig später vier Jungen im Alter von 11, 12, 12 und 14 Jahren festnehmen, die offenbar durch beide Schulen gezogen waren. Zwei mutmaßliche Spielzeugwaffen wurden sichergestellt.

„Die psychischen Belastungen und dauerhaften Krankheiten, welche durch Gewaltvorfälle zu Tage treten, sind beachtlich“, sagt Kai Kobelt – bei Schülern und Lehrkräften. Es gebe zwar vielerlei Konzepte und Projekte der Bildungsverwaltung, damit Gewalt an den Schulen, ob im digitalen oder persönlichen Bereich, möglichst vermieden werden kann. Die Lehrer*innenkammer begrüßt, dass die pädagogischen Beschäftigten umfangreiche Möglichkeiten hätten, sich entsprechend zu qualifizieren.

Aber: „Es fehlen Hilfestellungen und Unterstützungsangebote für die Beschäftigten selbst. Denn Gewalt an den Schulen gibt es, wie das Beispiel der Stadtteilschule Blankenese zeigt, nicht nur unter Schüler:innen.“ Auch Lehrkräfte und Fachkräfte würden an Schulen angegriffen, blieben dann aber mit den Folgen weitgehend allein.

„Vorgesetzte und Gesellschaft dürfen Gewalt an Schulen nicht mehr allein als pädagogisches Handlungsfeld der Beschäftigten betrachten“

„Die Lehrer*innenkammer fordert nicht die Verschärfung der Verfolgung oder Skandalisierung der Gewalt gegenüber den Schulbeschäftigten – seien es pädagogische oder nicht-pädagogische Beschäftigte, Beschäftigte in den Schulbüros oder Hausmeister, wir fordern vielmehr: Die Gewalt gegenüber Beschäftigten an Schule muss enttabuisiert werden. Vorgesetzte und Gesellschaft dürfen dies nicht mehr allein als pädagogisches Handlungsfeld der Beschäftigten betrachten“, so heißt es nun in einer Stellungnahme.
Und weiter: „An allen Schulen sollen Sozialarbeitende als weitere professionelle Anlaufstellen eingestellt werden. Über systematische Abfragen oder Meldemöglichkeiten, wie zum Beispiel eine angepasste Gefährdungsanalyse an den Schulen, muss diese gewaltförmige Art der Belastungen aufgezeigt werden und mit Maßnahmen wie regelmäßigen Supervisionen oder konkreten Regelungen an den Schulen muss diesen Belastungen aktiv entgegengewirkt werden.“

Die offizielle Vertretung der Schülerinnen und Schüler in Hamburg pflichtet im Grundsatz bei – und fordert nun ebenfalls Konsequenzen aus den Ereignissen. Es habe sich dabei zwar um „absolute Ausnahmesituationen“ gehandelt, so heißt es in einer Erklärung.  „Trotzdem haben die Vorfälle Aufmerksamkeit auf eine dringliche Problematik gelenkt: Die wachsenden  Fallzahlen der Jugendkriminalität. Die Jugendkriminalität ist in Hamburg dieses Jahr deutlich angestiegen. Berichten zufolge hat sich besonders die Zahl der Gewaltfälle auf Hamburger Schulhöfen um 120 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht.“

Anders als von „einigen politischen Akteuren“ gefordert, so die Schüler*innenvertretung „sollte die Antwort auf diese erschreckenden Zahlen nicht im härteren Durchgreifen der Sicherheitsbehörden oder gar einer Herabsetzung der Strafmündigkeit liegen.“ Die Schüler*innenkammer warnt auch davor, das Problem Jugendkriminalität zum Anlass zu nehmen, rassistische Vorurteile zu schüren und öffentlich zu hetzen. Dies bewirke das Gegenteil von Befriedung. „In Rassismus gedeihen Diskriminierung und Vorurteile, welche häufig zu Konflikten zwischen Schüler:innen führen und das Schulklima und Gemeinschaftsgefühl negativ beeinflussen“, so stellen die Schülerinnen und Schüler fest.

Gefordert wird vielmehr eine verstärkte Präventionsarbeit und Betreuung an Schulen. „Momentan wird an Schulen erfahrungsgemäß erst reagiert, wenn schon etwas passiert ist. Echte Präventionsarbeit muss vorher anfangen. Wir brauchen großflächige, von Experten erarbeitete Gewaltpräventionsprogramme, die an allen Hamburger Schulen verpflichtend Anwendung finden. Wir fordern Prävention, statt nur Reaktion“, sagt Laura Dolud, stellvertretende Vorsitzende der Schüler:innenkammer Hamburg.

„Besonders in jüngeren Jahrgängen sollte auch das Gemeinschaftsgefühl und der Zusammenhalt der Klasse und Schule gefördert werden“

Allen Schülerinnen und Schülern sollte schon früh gewaltlose Konfliktlösung sowie die gravierenden Auswirkungen von Gewalt vermittelt werden. „Wir empfehlen offene gemeinsame Gespräche, um die Kommunikation, das Gemeinschaftsgefühl, den Zusammenhalt und das Klima in der Klasse und Schule zu stärken. Jugendkriminalität ist ein Symptom verschiedener Probleme, welchen wir aktiv entgegenwirken müssen. Hierzu braucht es mehr sozialpädagogisches Personal, damit Schüler:innen eine angebrachte Betreuung erfahren und nicht mit ihren Problemen alleine gelassen werden.“

Auch als Ansprechpartnerinnen und -partner nach Vorfällen würden zusätzliche sozialpädagogische Fachkräfte dringend benötigt. „Besonders in jüngeren Jahrgängen sollte auch das Gemeinschaftsgefühl und der Zusammenhalt der Klasse und Schule gefördert werden, damit Schule für Schüler:innen ein sicherer Entfaltungsraum sein kann“, so heißt es.

Durch die Ereignisse von Offenburg bekommen die Forderungen eine zusätzliche Dringlichkeit: Ein 15-Jähriger soll am vergangenen Donnerstag im Klassenraum einer sonderpädagogischen Schule auf einen gleichaltrigen Mitschüler geschossen haben, der kurz darauf seinen Verletzungen erlag. Der tatverdächtige Deutsche kam wegen mutmaßlichen Totschlags in Untersuchungshaft. Wie gestern bekannt wurde: Der mutmaßliche Todesschütze wollte laut Ermittlern in dem Klassenzimmer einen mitgebrachten Molotowcocktail entzünden – was ihm aber nicht gelang (News4teachers berichtete ebenfalls). News4teachers

Reizgas, Schläge, Drohungen: Gewalt an Schulen nimmt drastisch zu – VBE fordert Ombudsmann für Lehrkräfte

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Alx
5 Monate zuvor

Die haben wohl nicht den Artikel gelesen, der besagt es gäbe deutlich weniger Jugendgewalt als vor zwei Jahrzehnten.

¯⁠\⁠_⁠(⁠ツ⁠)⁠_⁠/⁠¯

Alx
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Ich erinnere mich noch gut an meine Schulzeit vor 20 Jahren. Damals war es wirklich ganz ganz furchtbar. Kein Vergleich zu heute, wo Schüler im Klassenraum hingerichtet werden.
Es gab nicht ein einziges Mal Amokalarm.
Es war also wie im Wilden Westen.

Lisa
5 Monate zuvor
Antwortet  Alx

Meine Kinder waren zwischen 1995 und 2014 in der Schule. Mobbing war bereits ein Thema, aber so krasse Gewalt und Waffen im Schulraum nie.

Flea
5 Monate zuvor

Ich hab mir, nach einem Vorfall, der nicht zu einem Schulausschluss geführt hat, schnitt- und stichhemmende Unterkleidung besorgt.
Es muss erst noch Schlimmeres passieren, damit diese Person gehen muss oder sie eingewiesen wird.
(Aber hey: Dann kann ich demnächst „tupperparty-mässig“ Selbstschutzprodukte im Lehrerzimmer vertreiben.)

Lisa
5 Monate zuvor
Antwortet  Flea

Kaufe ich!

Teacher Andi
5 Monate zuvor

Jugendgewalt ist relativ, früher hat man mal den Arm verdreht oder sich verprügelt, heute wierden gleich Messer und Schusswaffen gezogen. 10 Prügeleien können nun mal eine Tötung mit der Pistole nicht aufwiegen, auch wenn beides statistisch unter „Gewalt“ aufgeführt wird. Geprügelt wird nicht mehr so viel, das stimmt wohl …….

DerechteNorden
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Das ist doch toll. Wir sowie die Kids sind Weicheier, die sich nicht so haben sollten.

Ich
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Das ist zynisch .

Lisa
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Nicht jeder Schüler, der ein Messer zückt, ist ein Amokläufer. Dennoch ist das nicht hinnehmbare Gewalt.

Teacher Andi
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Das sind krasse Einzelfälle, Amokläufe kann man nicht mit der fast täglichen Gewalt, wie sie momentan abläuft, vergleichen. Und Statistiken von Schulministern traue ich nicht so sehr, ehrlich gesagt.

ABC
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Ganz ehrlich- mir sind Statistiken/ Fakten relativ….
Jeder Gewaltakt ist EINER zu VIEL! Arbeitgeber, besonders an Schulen, haben eine Fürsorgepflicht! Gibt es entsprechende Konsequenzen?
Ich fürchte …blah, blah, blah…

SB HS Lehrer
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

@redaktion: Nochmal recherchieren:

25. Mai 1871 in Saarbrücken, damals Rheinprovinz (Preußen): Am Ludwigsgymnasium verletzte der 18-jährige Julius Becker zwei seiner Mitschüler mit einem Revolver lebensbedrohlich. In dem folgenden Gerichtsprozess wurde der Täter aufgrund einer psychischen Störung freigesprochen.[1]
20. Jahrhundert
Bearbeiten
20. Juni 1913 in Walle, Bremen: Ein anscheinend geistig verwirrter 30-jähriger Lehrer verübte einen Amoklauf an der Sankt-Marien-Schule, bei dem fünf Mädchen im Alter von sieben bis acht Jahren getötet sowie 18 weitere Kinder und fünf Erwachsene teilweise lebensgefährlich verletzt wurden.

Bla
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Wie kommen Sie zum „ersten Amoklauf“ 1964? Oder geht es hier explizit erst ab BRD/DDR Zeiten?
Ansonsten war bspw. 1913 eine Amoktat in Bremen, oder nicht?

Demgegenüber stehen mindestens 3 Amokläufe 2022 in Deutschland. Hamm, Heidelberg und Bremerhaven. Ja, nicht nur auf Schule bezogen, sondern auch auf Hochschule/Universität.
Die Zunahme seit ca. 2000 ist doch von der erfassten Anzahl deutlich zu benennen?

Davon abgesehen, dass jede Amoktat eine zuviel ist und an und für sich sehr schlimm für Personen vor Ort und den Umfeldern… Sind Emsdetten und Winnenden doch auch sehr bekannte Amoktaten. Diese waren nach Erfurt. Sind unter 20 Jahre alt.
Dazu dann noch Amoktaten, welche sich nicht direkt auf/in Bildungseinrichtungen beziehen. Spontan fällt mir 2016 München (jetzt eher als „Anschlag in München 2016“ benannt) als prägend ein.
Ansonsten eben noch Amoktaten wie diesen März in Hamburg bei den Zeugen Jehovas. Wenn auch dies natürlich nicht als „jugendlich“ kategorisiert ist.

Also gerade mit Amokläufen hier als Beispiel … Ich weiß ja nicht. Tödliche Gewalttaten generell … Ok. Aber Amoktaten …

Maggie
5 Monate zuvor
Antwortet  Bla

Nur kurz zur Information die Bundesrepublik, explizit hier durch die Redaktion benannt, gibt es erst seit dem 23. Mai 1949.

Jede Tötung ist eine zuviel sowie jede Gewalttat. Dass die Verrohung der Sprache und die populistischen Gewaltphantasien eine Auswirkung auf Jugendliche haben ist nun wirklich nicht neu. Die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung ist seit 2015 immer mehr gestiegen, man sehe sich nur mal das Verhalten gegenüber Journalisten auf Demonstrationen an – egal welcher politischen oder religiösen Ausrichtung. Andere Meinung werden nicht diskutiert und reflektiert, sondern per se als feindlich eingestuft und an seiner eigenen Überzeugung, die schon einem Glauben gleicht, festgehalten. Wenn man nicht über Probleme spricht und diese in einem Kompromiss lösen will, dann führt das langfristig immer zu Gewalt, da Gespräche ja keine Lösung bringen. Jugendliche, die eh viel anfälliger für solche Einflüsse sind, die mit so vielen zusätzlichen Sachen zu kämpfen haben, Pubertät etc…, werden daher auch das von der Gesellschaft vorgelebte schneller umsetzen.

Fakten nicht zu glauben ist grundsätzlich ok, solange man sie überprüft, aber dann, wenn sie sich bestätigen auch glaubt. Diese Überzeugung, dass alle Fakten nur fake sind, ist inzwischen ein grundsätzliches Problem. Das hat zu Corona-Zeiten angefangen und hat sich inzwischen etabliert.
Dies bitte nicht falsch verstehen, kritisch Sachverhalte zu hinterfragen ist absolut angebracht, aber Faktenargumente übertreffen – ist übrigens auch Lerngegenstand in der Schule – Erfahrungsargumente.

Ich persönlich finde, dass die physische Gewalt an Schulen über die letzten Jahrzehnte rückläufig war. Schlägereien etc. gab es weniger, dafür gab es psychische. Im Übrigen kann Mobbing auch in einem Amoklauf enden.

Jetzt noch eine Frage an die Redaktion: Woher will man wissen, dass der Täter in Offenburg die ganze Klasse umbringen wollte? Er schweigt dazu. Außerdem ergibt dann seine Handlung, wie von der Polizei beschrieben keinen Sinn, da er nach der Exekution das Klassenzimmer verlassen hat und nicht einfach zum nächsten Opfer übergegangen ist. Auch die Pistole – egal welches Model – hat mehr als zwei Patronen

Bla
5 Monate zuvor
Antwortet  Maggie

BRD/DDR: Ist mir klar. Lesen Sie nochmal meinen Text aufmerksam. Wenn Sie dazu auch noch die Zeiten der Freischaltungen beachten, dann wird Ihnen evtl. ersichtlich, dass meine Frage vor der Benennung des Bezugs auf „ab DDR/BRD“ sich bezog.

Ansonsten bestätigen Sie doch einige Punkte von mir. Andere sind von Ihnen mehr „Bauchgefühl“ als Fakten. Ist okay, ist Ihre subjektive Wahrnehmung und als solche auch benannt.

Ja, natürlich kann Mobbing auch zum Amoklauf führen. Hat keiner hier anders behauptet? Aber auch das kann man durchaus in Beispielfällen aufzeigen. Was ich gemacht habe. Wenn auch nur einzelne Beispiele herausgegriffen.

Daher: Lesen Sie einfach nochmal meinen Text und denken drüber nach. Auch Reflexion gehört im Bereich der Schule dazu. Sowie Lesekompetenz.

SB HS Lehrer
5 Monate zuvor

Einfache Regel bei mir: „Wer schlägt der geht…“

Noch nie nen Unterrichtsausschluss oder Schulausschluss zurücknehmen müssen….

Alex
5 Monate zuvor
Antwortet  SB HS Lehrer

Nur schade, dass Unterrichtsausschluss oder Schulausschluss die ganz Hartgesottenen oft nicht abschreckt und sie diese Strafe als angenehm empfinden.

Lisa
5 Monate zuvor
Antwortet  Alex

Wäre mir Wurst, was sie als angenehm empfinden. Ich will den Schüler nur gerade nicht in der Klasse haben. Auch wenn es erst toll wirkt, ein Paria zu sein, macht auf die Dauer keine Freude.