Website-Icon News4teachers

Schwarz-Rot plant Genderverbot an Schulen – “erfolgreiches Agendasetting der AfD”

WIESBADEN. Gleichberechtigung oder Kulturkampf? Schon lange tobt der Streit um geschlechtersensible Gendersprache. Bayerns Kabinett hat das Verbot des Genderns mit Doppelpunkt, Binnen-I, Unterstrich oder Sternchen an Schulen, Unis und in Behörden gerade nochmals «klarstellend ergänzt», wie News4teachers berichtete. Was sagt Hessens Landesregierung, die gleichfalls ein Verbot des Genderns mit Sonderzeichen angekündigt hat? Das SPD-geführte Wissenschaftsministerium teilt mit: «Den bayerischen Kabinettsbeschluss kommentieren wir nicht und nehmen ihn auch nicht zum Vorbild für Hessen.» Aber…

Der Stern des Anstoßes. Illustration: Shutterstock

Gleichwohl will auch hier Schwarz-Rot laut Koalitionsvertrag «festschreiben, dass in der öffentlichen Verwaltung sowie weiteren staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat für deutsche Rechtschreibung erfolgt». Dieses Gremium hat im Juli 2023 Genderzeichen nicht als Kernbestand der deutschen Orthografie eingestuft. In einer neuen Ergänzung hat der Rat zugleich das Gendern im Wortinneren – Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen – aufgeführt. Reguläre Zeichen seien diese aber weiterhin nicht.

Die Gießener Politologin Prof. Dorothée de Nève hat Ende 2023 von erfolgreichem «Agendasetting» der AfD gesprochen. So habe sich deren Forderung im hessischen Wahlkampf, Gender-Sonderzeichen abzuschaffen, «fast wortgleich» im späteren Eckpunktepapier von CDU und SPD wiedergefunden. Dies zeige, «wie weit sich die Christdemokraten und Sozialdemokraten bereits auf den Kulturkampf der AfD eingelassen haben». Auch die GEW sprach seinerzeit von einer populistischen Forderung, der Schwarz-Rot anscheinend ohne Not nachgeben wolle.

Anzeige

Vor gut zwei Monaten ist Hessens neue CDU/SPD-Landesregierung gestartet. Was hat sich seitdem beim Thema Genderverbot im Bundesland getan? Ein Schnellschuss wird es nicht. Regierungssprecher Tobias Rösmann teilt auf Anfrage mit: «Die hessische Landesregierung arbeitet derzeit an einer rechtssicheren Regelung zum Gendern.»

Die Grünen-Opposition im Landtag fordert angesichts der anstehenden Abiturprüfungen, bei der Korrektur weiterhin Milde bei Genderzeichen walten zu lassen und keine «Unruhe in die Abiturvorbereitung zu bringen». Die Landesregierung müsse ihren Kulturkampf absagen.

In den vergangenen drei Jahren hat das CDU-geführte Kultusministerium wegen Corona-Schulausfällen vermutet, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler die Positionierung des Rates für deutsche Rechtschreibung von 2021 kennen konnten – daher die Milde bei Korrekturen. Doch damit ist es laut Ministerium vorbei: Nun sei «das Regelwerk des Rates für deutsche Rechtschreibung bei der Korrektur und Bewertung der schriftlichen Prüfungen anzuwenden». Generell heißt es weiter: «Ansonsten gelten, wie bereits vor Corona, stets die Vorgaben des Rates für deutsche Rechtschreibung. Dies wird an den Schulen umgesetzt.»

Auch das SPD-geführte Wissenschaftsministerium erklärt: «Ein genauer Zeitplan zur Umsetzung zum Umgang mit Gender-Sonderzeichen steht noch nicht fest.» Ziel der «Klarstellung» im Koalitionsvertrag sei, dass Texte «leichter und einfacher zu lesen» seien. Niemand an den Hochschulen dürfe schlechtere Noten erhalten, «wenn kein Genderstern verwendet wird».

«Die deutsche Sprache ist so vielfältig, so reichhaltig, und es gibt so viele Möglichkeiten, inklusiv zu sprechen, ohne dass man auf Sonderzeichen zurückgreifen muss»

Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) teilt mit: «Die deutsche Sprache ist so vielfältig, so reichhaltig, und es gibt so viele Möglichkeiten, inklusiv zu sprechen, ohne dass man auf Sonderzeichen zurückgreifen muss. Sonderzeichen sind gerade für Menschen mit einer Lern-, Seh- oder Hörbeeinträchtigung ein großes Hemmnis. Inklusive Sprache kann man anders sicherstellen.» Die Landesregierung sei gewillt, inklusiv zu sprechen und zu wirken – ohne Sonderzeichen.

Laut der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) sind Genderzeichen im Wortinneren nicht von den Regeln der Rechtschreibung gedeckt und können grammatikalische Fehler hervorrufen: «Sie beeinträchtigen die Verständlichkeit, die Lesbarkeit, die Vorlesbarkeit und die automatische Übersetzbarkeit sowie die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten.»

Die Absicht sprachlicher Gleichbehandlung der Geschlechter sei natürlich verständlich, sagt die Geschäftsführerin der GfdS, Andrea-Eva Ewels. Beispielsweise Paarformen wie «der Arzt/die Ärztin, Kolleginnen und Kollegen» könnten auch regelkonform weiterhelfen. Doch dies sei nur begrenzt möglich. Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist nach eigener Aussage eine politisch unabhängige Vereinigung. Sie wird bei ihrer Pflege und Erforschung der deutschen Sprache von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie von der Kultusministerkonferenz gefördert.

Ewels äußert sich nach eigenen Worten nur aus sprachwissenschaftlicher Sicht und nicht politisch. Die Genderform «Ärzt*innen» etwa sei grammatikalisch falsch, «denn Ärzt ist keine korrekte maskuline Form. Ähnlich verhält es sich bei Kolleg*innen; hier entfällt die Endung -en der maskulinen Form.»

Genderformen könnten sowohl integrierend und geschlechtersensibel als auch spaltend und ausgrenzend sein. Die Debatte um einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch habe schon in den 1970er Jahren in der Diskussion über die Gleichberechtigung von Männern und Frauen begonnen, erklärt die promovierte Sprachwissenschaftlerin. «So fühlten und fühlen sich einige Frauen benachteiligt, wenn alleine auf das sogenannte generische Maskulinum zurückgegriffen wird, das Frauen lediglich “mitmeint”- zum Beispiel der Arzt und die Ärzte.» Spätestens seit der Änderung des Personenstandsgesetzes 2018, das neben den Kategorien «männlich» und «weiblich» auch den Eintrag «divers» erlaube, lebe die Debatte wieder auf.

Allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Die Union will offensichtlich mit Genderverboten politisch punkten – in fast allen Bundesländern, in denen sie die Mittel dazu hat. News4teachers  / mit Material der dpa

Kulturkampf: Die CDU bricht Streit ums Gendern vom Zaun – als gäbe es keine anderen Probleme im Land

Die mobile Version verlassen