DRESDEN. An Schulen sollen künftig stärker Zukunftskompetenzen vermittelt werden – und weniger Faktenwissen. Schülerinnen und Schüler sollen darin geschult werden, selbstorganisiert zu lernen. Auch soll mehr fächerverbindend unterrichtet werden, um das vernetzte Denken zu fördern. Das – und mehr – geht aus einer umfassenden Gesamtstrategie zur Weiterentwicklung der schulischen Bildung in Sachsen hervor, die Kultusminister Christian Piwarz (CDU) in Dresden vorstellte. Die GEW lobt das Konzept, teilweise jedenfalls.
„Die globalisierte Welt, die Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch die Gesellschaft insgesamt entwickeln sich sehr dynamisch“, meint Piwarz und betont: „Unsere Schulen müssen Schülerinnen und Schüler heute auf die Welt von morgen vorbereiten. Genau dazu soll die Gesamtstrategie dienen. Die Umsetzung der Maßnahmen werden wir nun unmittelbar vorbereiten, wobei das kommende Schuljahr als ein Übergangsjahr zu betrachten ist. Bis 2030 soll das Projekt abgeschlossen sein.“
Insgesamt 64 Maßnahmen sieht das Konzept vor, darunter:
Mehr Eigenverantwortung und Freiräume für Schulen (z. B. Globalbudget): „Wir stärken die Eigenverantwortung der Schulen sowohl in pädagogischer als auch finanzieller Hinsicht“, sagt Piwarz. Die Schulen sollen zugleich von Bürokratie und Bestimmungen entlastet werden. Sie sollen mehr Flexibilität erhalten und mehr Eigenverantwortung leben können. Mit einem Globalbudget soll dieses Ziel erreicht werden. In dem Globalbudget (Handlungsfeld Steuerung – Maßnahme 1.4*) werden Mittel aus drei bestehenden Töpfen, die zu unterschiedlichen Konditionen und Zeitpunkten ausgezahlt werden, zusammengeführt. Mit dem Globalbudget können Schulen eigenverantwortlich externes Personal vertraglich binden, individuelle Lernangebote für Schüler finanzieren und die schulische Qualität fortentwickeln.
Mehr Vermittlung von Kompetenzen und weniger Faktenwissen: „In den Lehrplänen soll die Vermittlung von Zukunftskompetenzen stärkeres Gewicht bekommen als das Lernen von Fachwissen. Auch im Unterricht soll der Lebensweltbezug größer werden“, so Piwarz. Statt den Fokus auf reines Fachwissen zu legen, soll der Blick zudem auf Wissen gerichtet werden, das vernetzt angewendet werden kann und hilft, Probleme zu lösen. „Es nützt nichts, Dinge nur zu wissen, Schüler müssen das Wissen auch anwenden können. Auch müssen sie zielgerichtet und kompetent Lernstrategien kennen und einsetzen, um neues Wissen selbstständig zu erwerben“, meint der Kultusminister. Deshalb sollen die Lehrpläne laufend aktualisiert und der fächerverbindende Unterricht fest verankert werden. „In einer dynamischen Wissensgesellschaft müssen wir künftig gesellschaftliche Entwicklungen stärker im Blick behalten und bei Bedarf die Lehrpläne anpassen. Wir müssen in der Lage sein, flexibel auf die neuen Anforderungen zu reagieren.“
Fächerverbindender Unterricht und Stundentafeln: Schulen sollen künftig eigenständig die Stundentafeln im Rahmen von zwei bis sechs Stunden wöchentlich für fächerverbindendes Lernen anwenden.
Etablierung von selbstbestimmten Lernphasen: Schulen sollen künftig feste Zeiträume und Lernorte für selbstbestimmte Lernphasen im Schultag integrieren. Selbstbestimmtes Lernen wird bei der Aktualisierung der Lehrpläne ausgebaut. „Das selbstorganisierte Lernen ist eine Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts. Deshalb muss es sowohl in den Lehrplänen als auch in der Umsetzung der Stundentafeln mehr Gewicht bekommen“, betont Piwarz.
Digitalität: Schulen und Bildung werden digitaler – es gilt aber das Primat der Pädagogik. Die Schule der Zukunft wird eine Kultur der Digitalität leben. Dazu soll den Schulen eine nachhaltige digitale Infrastruktur zur Verfügung stehen. Digitale Lehr- und Lerninhalte sollen selbstverständlich im Unterricht integriert werden, wobei eine gute Mischung aus analogen und digitalen Lehr- und Lernmethoden zum Einsatz kommen soll.
Selbstlernen: Die Stundentafeln und Lehrpläne aller weiterführenden Schularten weisen zukünftig Bereiche mit besonderem Potenzial für digital gestütztes Selbstlernen aus.
Hybrider Unterricht: Für flächendeckende Unterrichtsangebote werden die Rahmenbedingungen für schulübergreifenden hybriden Unterricht geschaffen, in denen Schülerinnen und Schüler an unterschiedlichen Schulen gemeinsam digital gestützt sowie in Präsenz mit einer Lehrkraft lernen.
E-Campus: Es wird ein E-Campus geschaffen, der modern und digital Professionalisierung unterstützt und flexible und individuelle Fortbildungen für Lehrkräfte ermöglicht.
Multiprofessionelle Teams: Dynamische Veränderungen in der Gesellschaft und die damit einhergehenden Herausforderungen können laut Konzept von den Schulen nur durch multiprofessionelle Teams bewältigt werden. Schulleitungen sind mittlerweile auch „Manager“ kleiner bis mittelständischer Bildungsunternehmen, die neben der Organisation von Unterricht für zahlreiche Kooperations- und Administrationsaufgaben zuständig sind. Auch die pädagogischen Anforderungen haben sich durch eine heterogene Schülerschaft und den Anspruch auf eine inklusive und integrative Bildung weiterentwickelt. In der Schule der Zukunft arbeitet deshalb ein multiprofessionelles Kernteam. „Wir werden die Schulen durch den Auf- und Ausbau multiprofessioneller Teams mit zusätzlichen Fachkräften stärken“, verspricht Piwarz. Dazu wird das System aus Assistenzen für die Verwaltung und pädagogische Arbeit auf- und ausgebaut.
Leistungsbewertung: Auch in der Schule der Zukunft herrscht dem Papier zufolge zukünftig eine schülerorientierte Leistungskultur. Noten werden nicht abgeschafft. Sachsens Schulen sollen jedoch die Möglichkeit bekommen, alternative Bewertungssysteme zu erproben, wenn sie eine differenziertere und objektive Einschätzung der Schülerinnen und Schüler ohne Mehraufwand für Lehrkräfte ermöglichen wollen. In Grundschulen kann dies in Abstimmung mit der Schulaufsicht erfolgen, wenn sich Schulkonferenzen dafür entscheiden. Die Ziffernnoten in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Sachkunde wird es jedoch weiterhin geben. Weiterführende Schulen können alternative Bewertungssysteme in ausgewählten Fächern und unter wissenschaftlicher Begleitung voraussichtlich ab dem Schuljahr 2025/2026 erproben.
Kopfnoten: Ebenso wie die Ziffernnoten beibehalten werden, wird es auch weiterhin Kopfnoten geben. Allerdings wird die Beurteilung des Arbeits- und Sozialverhaltens weiterentwickelt, um die Kompetenzen des 21. Jahrhunderts, wie Selbstorganisation, Kommunikations- und Teamfähigkeit besser einschätzen zu können. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Wissenschaft, Schulpraxis und Wirtschaft soll dazu eine Konzeption entwickeln. Ziel ist ein für die Schulen effizientes und für die Schüler transparentes Bewertungsverfahren des Arbeits- und Sozialverhaltens.
Mehr Mitbestimmung: Möglichkeiten und Formate zur Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler im Schultag und bei der gemeinsamen Unterrichtsgestaltung werden in den Schulen, in der Lehrkräftebildung und in Fortbildungen gestärkt. Für jede Schulklasse wird eine fachunterrichtsfreie Stunde als »Klassenrat« im Stundenplan ausgewiesen und der jeweiligen Klassenleitung im Regelstundenmaß angerechnet. Die Einführung der Klassenratsstunde erfolgt in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden Personalressourcen sukzessive und gegebenenfalls zunächst 14-tägig. Die Schülermitwirkung wird in allen Schularten gestärkt. Insbesondere wird die Rolle des Vertrauenslehrers als „Verbindungslehrkraft“ geschärft und das Engagement im Rahmen der Schülermitwirkung gewürdigt.
„Pädagogisch stärker auf die Kompetenzentwicklung, auf individuelle Förderung und eine Strategie zum digitalen Lernen zu entwickeln, zielt in die richtige Richtung“
GEW-Landesvorsitzender Burkhard Naumann begrüßt das Konzept – teilweise: „In den Vorschlägen finden sich viele Maßnahmen, die wir seit längerem fordern. Das betrifft etwa ein umfassendes Personalentwicklungskonzept, die Aktualisierung der Lehrpläne und der konsequente Ausbau von multiprofessionellen Teams an allen Schulen. Auch begrüßen wir die geplante Einrichtung einer Klassenratsstunde, die der Klassenleitung angerechnet wird. Pädagogisch stärker auf die Kompetenzentwicklung, auf individuelle Förderung und eine Strategie zum digitalen Lernen zu entwickeln, zielt ebenso in die richtige Richtung.“
Er betont aber auch: „In vielen der angekündigten Maßnahmen wird ausschließlich auf die Eigenverantwortung der Schulen gesetzt. Die Anforderungen an Schulen sind in den letzten Jahren bereits immens gestiegen. Deshalb benötigen wir stärkere Entlastungen, die in der vorgelegten Strategie deutlich zu kurz kommen. Die Umsetzung des Ziels der eigenverantwortlichen Schule wird allein davon abhängen, wie stark die Schulen entlastet und mit zusätzlichen Personal ausgestattet werden. Für uns steht deshalb die Strategie zur Personalentwicklung, der Ausbau multiprofessioneller Teams und zusätzlich zur Klassenratsstunde die lang versprochene Klassenleitungsstunde an erster Stelle.“
Zudem berge die Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen die große Gefahr, dass die Lösung von zentralen Problemen in der Bildung nach unten delegiert wird. Naumann: „Lehrkräfte und Schulleitungen wünschen sich jenseits von Informationsmaterial bei zentralen Fragen auch klare Vorgaben. Hier muss in der Umsetzung besser abgewogen werden, wo die Grenzen der Eigenverantwortung sind.”
Dem Strategiepapier ging im Rahmen des Projektes „Bildungsland Sachsen 2030“ ein umfangreicher interner und öffentlicher Beratungsprozess voraus, an dem sich neben Experten aus der Wissenschaft, Lehrkräfte, Schulleitungen, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern beteiligt hatten. Auch Vertreter der kommunalen Schulträger waren eingebunden. Ausgangspunkt für den Prozess waren gesamtgesellschaftliche Veränderungen, wie die Digitalisierung, Individualisierung in der Gesellschaft, Nachhaltigkeit, Migration und die Komplexität einer globalisierten Welt, wodurch Schulen vor große Herausforderungen gestellt werden. News4teachers
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