GÖTTINGEN. Die staatlich angeordneten Maßnahmen zum Schutz vor dem Covid-19-Virus betrafen den Bildungsbereich stark. Nicht nur Kinder und Jugendliche waren starken Belastungen ausgesetzt, auch die Lehrtätigkeit an Schulen erfuhr massive Einschränkungen. Wie blicken Lehrkräfte aus heutiger Perspektive zurück auf die pandemische Zeit zwischen 2020 und 2022? Welche langfristigen Folgen hinterlässt die Krise für die Arbeit von Lehrkräften? Ein Forschungsprojekt der Uni Göttingen ist diesen Fragen nachgegangen – und hat nun ein Impulspapier veröffentlicht, das auf der Grundlage von Tiefeninterviews mit Lehrkräften entstanden ist.
„Einig zeigen sich alle Befragten darin, dass die größten Auswirkungen der Pandemie auf die Schülerschaft auf der sozialen und psychischen Ebene liegen“, so heißt es in dem Impulspapier. „Während in den höheren Jahrgängen psychische Krankheiten wie Depressionen und Angststörungen von den Schüler:innen selbst teilweise viel konkreter thematisiert würden, zeigen sich die jüngeren Jahrgänge im Verhalten auffällig.“
Es gibt den Lehrkräften zufolge merklich mehr Schüler:innen, „die soziale Schwierigkeiten haben oder in gewissen Situationen anstrengender, schwieriger reagieren, als es vielleicht früher der all gewesen ist“. Die fehlenden Möglichkeiten junger Menschen, sich im Lockdown von der Kernfamilie zu lösen und eigene Erfahrungen zu machen, würden teilweise extremer nachgeholt. „Weiterhin hätten gerade die Jahrgänge, welche die Pandemie in ihrer Grundschulzeit erlebten, teilweise Schwierigkeiten, sich in den großen Klassen der weiterführenden Schule einzufinden. Die jungen Schüler:innen werden als ‚verhaltensoriginell‘ mit einem starken Fokus auf sich selbst beschrieben, die Schwierigkeiten aufweisen, sich in großen Gruppen zurecht zu finden“, so schreiben die Autor*innen.
Und: „Insgesamt stellen die sozial-psychologischen Auswirkungen eine bedenkliche Entwicklung dar. In den Interviews wird zugleich ein hohes Engagement der Lehrkräfte deutlich, für ihre Schüler:innen ansprechbar zu sein und sie in ihren Problemen und Entwicklung zu unterstützen. Dieses Engagement läuft aber Gefahr, durch herausfordernde Arbeitsbedingungen, Belastungen und dem Lehrkräftemangel begrenzt zu werden, was die Beziehungsarbeit mit den Schüler:innen erschwert.“
Sichtbarste Auswirkung der Pandemie auf den Arbeitsalltag der Lehrkräfte ist allerdings die beschleunigte Digitalisierung. „Auch, wenn eine zunehmend digital funktionierende Schule schon vor der Pandemie als eine erklärte Zielgröße galt, wurde wegen der Notwendigkeit, die Interaktion mit den Schüler:innen über die Distanz zu ermöglichen, dem digitalen Ausbau ein starker Schub verliehen.“ Der allerdings weist Tücken auf: „Oftmals könne vorhandene Hardware nicht im Unterricht genutzt werden, weil die notwendige Software nicht installiert sei und technisches Personal fehle, um dies umzusetzen oder zu betreuen“, so heißt es. So könne eine Schule im Sample ihre bereitgestellten Tablets bislang nicht nutzen, weil die personelle Ressourcen fehlten, die Geräte für den Unterricht einzurichten.
„Dennoch geben alle Lehrkräfte im Sample an, Möglichkeiten der digitalen Unterrichtsvorbereitung, Lernplattformen und digitale Tafeln seit der Pandemie zu nutzen und dies als positiv und arbeitserleichternd zu empfinden“, so heißt es.
„Was allerdings durchweg überaus positiv bewertet wird, sind zunehmende digitale Elemente auf der organisatorischen Ebene des Schullebens“
Uneinig sind sich die interviewten Lehrkräfte laut Bericht bei der Bewertung, ob die Tablets im Unterricht überhaupt einen positiven Beitrag liefern. „Einige der Befragten heben deren Möglichkeiten eines abwechslungsreichen und auf individuelle Bedarfe angepassten Unterrichts hervor. Andere sehen die Endgeräte vorrangig für Recherchezwecke als hilfreich an. Darüber hinaus halten sie es für unabdingbar, Schüler:innen mit Stift und Papier arbeiten zu lassen, was mit deren ohnehin hoher Mediennutzung im Alltag begründet wird.”
Eine Lehrerin der Schule, die vollständig Tablets eingeführt hat, gibt dem Bericht zufolge sogar an, bei den unteren Jahrgängen wieder von der Nutzung abzurücken. Sie erklärt dies damit, „weil ich, wenn der Unterricht komplett digital ist, dadurch den Kontakt zu meinen Schülern verliere, die verschwinden förmlich hinter diesem Gerät“. Zudem falle es ihr schwer, die Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtsstunde bei der Aufgabenbearbeitung auf dem Tablet zu unterstützen. Fortschritte und Lernerfolge seien auf den Bildschirmen ebenfalls schwerer als auf Papier erkennbar, weshalb der Leistungsstand der Kinder schwerer einzuordnen sei.
„Was allerdings durchweg überaus positiv bewertet wird, sind zunehmende digitale Elemente auf der organisatorischen Ebene des Schullebens. Vorrangig bei den betrachteten Gymnasien wurden im Zuge der Pandemie Klassenbücher digitalisiert. Noten können fortan online eingetragen werden und Informationen über Termine oder Klassenaktivitäten nun statt im Mitteilungsbuch im Lehrerzimmer über das digitale Schulsystem verwaltet werden. Damit würden Prozesse verschlankt und die Informationsbeschaffung vereinfacht, was für die Lehrkräfte eine Arbeitserleichterung darstelle“, schreiben die Autor*innen.
Eine weitere Veränderung des beruflichen Alltags von Lehrkräften durch die Pandemie betrifft die Kommunikation im Kollegium. „Durch die Verlagerung in digitale Systeme bemerken die Befragten veränderte Formen der Zusammenarbeit unter den Lehrkräften.“ Üblicherweise zeichne sich die Lehrtätigkeit durch eine hohe Autonomie in der Unterrichtsgestaltung aus, so heißt es im Bericht. Da die Kooperation zwischen Lehrkräften oftmals in der Schulorganisation nicht strukturell verankert sei, bedeute diese häufig einen Mehraufwand, weshalb viele Lehrkräfte als „Einzelkämpfer“ vor ihren Klassen stünden – so habe es ein befragter Lehrer formuliert.
„Dies scheint sich im Rahmen der Pandemie und im Zuwachs digitaler Kommunikationsmöglichkeiten zu verändern“, heißt es nun. Über schulinterne Messengerdienste sei die Kooperation zwischen den Lehrkräften etwas gestiegen, wie manche Befragte berichten, da der Austausch über die Klassen und die Informationsweitergabe niedrigschwelliger sei. Teilweise würden die Cloudsysteme zur Lernorganisation unter den Lehrkräften auch für den Austausch von Unterrichtsmaterialien genutzt.
„Heutzutage nimmst du es einfach aus der Cloud und fragst im Prinzip gar nicht mehr. Da haben wir eine sehr offene und neue Kultur des Kooperierens“, erklärte ein Befragter in Bezug auf die gesunkene Hemmschwelle, Materialien von Kolleginnen und Kollegen zu nutzen. „Hier zeichnen sich Potenziale der Arbeitserleichterung ab, wenn die Kooperation und Unterstützung unter den Lehrkräften durch technische Möglichkeiten vereinfacht wird.“ News4teachers
Hier geht es zum vollständigen Impulspapier.