BERLIN. Die Kultusministerinnen von drei Bundesländern haben einen Katalog an Vorschlägen vorgelegt, wie die Bildung in Deutschland bis 2035 verbessert werden kann. Sie benennen über Partei- und Ländergrenzen hinweg konkrete Ziele für die Verbesserung von Schülerleistungen, die in den nächsten zehn Jahren erreicht werden sollen (News4teachers berichtete). Eine davon: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin (und CDU-Vize) Karin Prien. Wie das gelingen kann? Ihr ausführlicher Begründungstext gibt Aufschluss.
„Unbestreitbar wird das gesamte Bildungs- und Hilfesystem unseren Kindern und Jugendlichen angesichts der stark veränderten Zusammensetzung der Schülerschaft und der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr gerecht‘“, so schreibt Prien.
Und: „Bildungs- und Hilfesysteme passen nicht mehr zu den Kindern und Jugendlichen, den Schülerinnen und Schülern, die in diesen (aus-)gebildet und erzogen werden sollen. Auch Eltern und Familien nehmen ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag heute anders wahr, im Ergebnis nicht mehr in dem Maße, in dem es erforderlich wäre, und haben zu gleich eine wachsende Anspruchshaltung gegenüber den Bildungseinrichtungen Kita und Schule. Ressourcenknappheit, insbesondere Lehrkräfte- und Personalmangel, sanierungsbedürftige Schulgebäude, intransparente Zuständigkeiten und Verantwortungsdiffusion sowie mangelnde Kooperation auf allen Ebenen werden zu nehmend öffentlich sichtbar und reihen sich ein in die allgemeine Wahrnehmung einer sinkenden Leistungsfähigkeit von Staat und Politik.“
„Eine der wichtigsten kulturellen Veränderungen, die in diesem Land erforderlich wären, ist ein Umdenken in Bezug auf die Rolle der Kitas“
Die CDU-Vize-Vorsitzende fordert eine strategische Neuausrichtung, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden und die Bildungsgerechtigkeit zu verbessern. Sie kritisiert eine Überbetonung quantitativer Messungen und den Mangel an strategischen Lösungen. „Der öffentliche Diskurs konzentriert sich zumeist auf die Ressourcenfrage oder verfassungsrechtliche Reformen, die aber die eigentlichen strukturellen Probleme nicht lösen können“, stellt sie fest.
Eine Verlagerung von Kompetenzen auf den Bund werde die Bildung nicht entscheidend voranbringen. Geld allein hilft ihrer Meinung nach auch nicht. „Mehr Ressourcen im Sinne einer Zukunftsquote in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen sind zwar grundsätzlich erstrebenswert, aber mehr vom Gleichen wäre nicht zuletzt angesichts des Fachkräftemangels keine Lösung“, so betont sie. „Es kommt vielmehr darauf an, mit den vorhandenen Ressourcen das Richtige zu tun.“
Und was ist das Richtige? Prien beruft sich dabei auf den neuseeländischen Bildungsforscher Prof. John Hattie. Die Erkenntnisse in seiner jüngsten Metastudie „Visible Learning: The Sequel“ wiesen darauf hin, dass es nicht nur weiter auf die Lehrkräfte ankomme, sondern auch entscheidend auf deren Wirksamkeit. Prien: „Diese Wirksamkeit erfordert Zielklarheit im gesamten Schulsystem, eine Schulkultur des Wohlbefindens, eine Evaluationskultur auf allen Ebenen des Schulsystems in Bezug auf guten Unterricht und den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler und natürlich auch eine kohärente Datenstrategie.“
Kritik am Schulpersonal schimmert durch, wenn sie betont: „Kinder und Jugendliche wollen herausgefordert werden. Langeweile ist der größte Feind guter Bildung. Dazu gehört die konsequente, möglichst frühe zusätzliche systemische Förderung von Kindern mit schlechteren Startchancen mit und ohne Zuwanderungshintergrund – wobei sich bei allen Akteuren und Mitarbeitenden auf allen Ebenen des Schulsystems die professionelle Haltung durchsetzen muss, dass jedes einzelne Kind mit seinem Potenzial zu sehen und zu stärken ist.“
Gleichzeitig hebt sie die Bedeutung von frühkindlicher Bildung und einer stärkeren Zusammenarbeit der verschiedenen Systemebenen hervor. „Eine der wichtigsten kulturellen Veränderungen, die in diesem Land erforderlich wären, ist ein Umdenken in Bezug auf die Rolle der Kitas“, schreibt die Bildungsministerin.
Sie betont: „Kitas müssen in Deutschland endlich vom ersten Tag an als Bildungseinrichtungen anerkannt und auch tatsächlich genutzt werden. Die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher ist keine Kinderbeaufsichtigung, sondern eine elementar wichtige pädagogische Begleitung in den ersten Lebensjahren. In der Kita werden Sprachdefizite schneller und einfacher behoben als in jedem anderen Lebensbereich. Kulturelle Integration und Hinführung zu Neugier und basalen Kompetenzen müssen als Vorbereitung auf die Schule in der Kita erfolgen. Im Sinne einer Priorisierung sollte ab sofort eine nationale Agenda für Kinder im Alter von 0 bis 10 Jahren im Mittelpunkt stehen – mit verbindlichen Bildungsplänen für dieses Alter und der Entwicklung eines gemeinsamen Bildungsverständnisses für Kita und Grundschule sowie einer erleichterten Kooperation der Hilfesysteme, einschließlich Datenübermittlung, die hier bildungskompensatorisch wirken sollen.“
Ihre weiteren Forderungen:
- Gemeinsame Bildungsstrategie: Die Ministerin spricht sich für eine bundesländerübergreifende Bildungsagenda aus, die sich auf wenige zentrale Ziele konzentriert. „Es bedarf eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses über Bildung als zentralen Schlüssel zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Aufstieg“, so Prien. Dazu zählt auch die Förderung leistungsstarker Kinder und eine bessere Unterstützung für benachteiligte Schüler.
- Bessere Zusammenarbeit und Datenstrategie: Prien fordert eine stärkere Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen. „Schule, Eltern und Hilfesysteme müssen kindbezogen enger und unbürokratischer kooperieren“, fordert sie. Eine kohärente Datenstrategie sei essenziell, um Schulentwicklungsprozesse datenbasiert zu steuern und zu evaluieren.
- Ganztagsangebote und psychosoziale Unterstützung: Schulen sollen nicht nur Lern-, sondern auch Lebensorte sein. Neben der Wissensvermittlung sollen sie zur seelischen und körperlichen Gesundheit der Kinder beitragen. Dies erfordert laut Prien den weiteren Ausbau von Ganztagsangeboten und eine stärkere Integration psychosozialer Unterstützung.
- Multiprofessionelle Zusammenarbeit und Elternbeteiligung: Prien hebt die Bedeutung multiprofessioneller Teams hervor, die rechtskreisübergreifend arbeiten und jedes Kind individuell fördern. Zudem müssten Eltern stärker in Bildungs- und Erziehungsfragen eingebunden werden, etwa durch muttersprachliche Informationsangebote.
- Digitalisierung und Innovation: Ein verstärkter Fokus auf Digitalisierung und den Einsatz von KI-Instrumenten soll das Bildungssystem moderner und effizienter machen. Prien fordert, dass die Bundesländer hier gemeinsam handeln und von internationalen Vorbildern lernen.
Die Bildungsministerin fordert einen Kulturwandel hin zu einer nachhaltigen Schulentwicklung. „Bildungspolitik muss über Wahlperioden hinaus gedacht werden“, betont sie. Ziel sei es, ein lernendes System zu schaffen, das sich kontinuierlich weiterentwickelt und jedem Kind faire Chancen bietet. Dabei müssten den Einrichtungen vor Ort größere Freiheiten eingeräumt werden.
Prien: „Ein wesentliches Element in unserem Verständnis eines gut funktionierenden Bildungssystems ist das Zusammenwirken von Steuerung durch die Bildungsverwaltung und Eigenständigkeit der Schulen vor Ort: Im Rahmen klar definierter Zielsetzungen der Landesstrategien sollen die Bildungseinrichtungen möglichst viel Autonomie und Flexibilität mit Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen erhalten. Wesentliche Voraussetzung für diese großen Freiheitsgrade für die einzelnen Schulen ist, dass sie datenbasiert ihre Zielerreichung im Blick behalten und Rechenschaft ablegen. Diese Flexibilität bezieht sich sowohl auf Stundenpläne oder Stundentafeln als auch auf Unterrichtsmethoden und Rahmenbedingungen von Schule.“ News4teachers
Die Wübben Stiftung Bildung ist Herausgeberin einer Publikation, in der die drei Bildungsministerinnen ihre Ziele detailliert vorgestellen. Hier lässt sie sich herunterladen.