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Podcast: „Veränderung ist das neue Normal“ – Wie Schulen in einer sich immer schneller entwickelnden Welt mithalten können

BONN. Die Welt verändert sich rasant – und das Bildungssystem muss Schritt halten. Eigentlich. Doch während sich die Gesellschaft durch Digitalisierung, Globalisierung und einen ständigen Krisenmodus wandelt, bleibt die schulische Bildung in alten Strukturen verhaftet. Im Podcast “Bildung bitte” diskutiert Moderator Andreas Bursche mit der Bildungsexpertin Myrle Dziak-Mahler und Felix Voss vom Bürgerrat Bildung und Lernen, wie unser Bildungssystem mit der immer schneller werdenden Welt mithalten kann. Dabei überlegen sie konkret, wie Lernen in Zukunft gestaltet werden sollte, um junge Menschen besser auf die Welt von morgen vorzubereiten.

Zimmer mit Aussicht. Illustration: Shutterstock

Im Podcast „Bildung, bitte!“ vom Bürgerrat Bildung und Lernen dreht sich alles um die großen Fragen der Bildung. In der Folge „Veränderung ist das neue Normal: Bildung neu denken“ dreht sich alles um den Umgang mit Krisen und Wandel. Moderator Andreas Bursche, bekannt aus dem WDR, stellt direkt zu Beginn fest: „Die Welt verändert sich rasant und damit die, die unsere Zukunft sind, gut in diesem ‚Krise ist das neue Normal‘-Modus zurechtkommen, müssen sie es lernen. Aber: Unsere Art zu lernen hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht wirklich verändert.“

Felix Voss kennt sich selbst gut mit Veränderungen aus. Er selbst hat auf seinem Bildungsweg schon einige Stationen durchlaufen: Sein erstes Studium hat er abgebrochen, danach hat er eine Ausbildung zum Chemie-Laborant gemacht, um nun Geografie in Leipzig zu studieren – eventuell um Lehrer zu werden. Außerdem engagiert er sich seit Jahren im Bürgerrat Bildung und lernen. Für ihn ist Digitalisierung noch immer das zentrale Thema, wenn es um Veränderungen geht. „Unsere Welt wird immer schnelllebiger, immer komplexer. Man muss sich immer mehr auf interdisziplinäre Probleme einstellen und diese angehen können“, so Voss im Gespräch. „Das fängt ja schon damit an, dass Informationen heute viel schneller zugänglich und permanent abrufbar sind.“

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Ständige Veränderungen plus externe Schocks

Myrle Dziak-Mahler, Bildungswissenschaftlerin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Lernlog GmbH, stimmt dem zu. Sie nutzt an dieser Stelle das Akronym VUKA: „Wir leben in einer hoch volatilen, unsicheren, komplexen und ambigen, also widersprüchlichen Welt.“ Seit fast dreißig Jahren werde alles digitalisiert, automatisiert und vernetzt. „Das hat durchaus Folgen für die jungen Leute. Aber es ist ja noch etwas hinzugekommen: In dieser sich eh schon schnell drehenden Welt gibt permanent externe Schocks. Die Corona-Pandemie 2020, der Ukraine-Krieg, Krieg in Nahost, Waldbrände, Überschwemmungen und so weiter.“ Dadurch, so Dziak-Mahler, werde die Veränderung zum Normalfall – und alles passiere parallel und man selbst habe keinen Einfluss darauf. Ihr Fazit: „Wir brauchen so etwas wie Veränderungskompetenz.“ Und zwar für Lernende und Lehrende.

Felix Voss sieht das Bildungssystem dafür jedoch nicht gut aufgestellt. „Ich würde unserem Bildungssystem im Moment keine so wahnsinnig gute Note ausstellen.“ Allein die Tatsache, dass das System aus dem 19. Jahrhundert stammt, spreche für sich. „An dieser Grundstruktur ändert sich einfach nichts. Auch wenn wir immer wieder versuchen, hier und da an eine paar Stellschrauben zu drehen. Am Ende wird trotzdem alles so gelassen, wie es ist.“ Der politische Wille zu umfassenden Reformen fehle. Myrle Dziak-Mahler geht noch weiter und vergleicht Schulen mit Museen, wo sich Schülerinnen und Schüler anschauen können, wie früher unterrichtet wurde: „Wir haben es nicht geschafft, Schule adäquat zur heutigen Zeit weiterzuentwickeln.”

Mehr Freiheiten für Schulen

Beide Gäste sind sich einig, dass das Bildungssystem mehr Experimentierräume braucht. „Wir zeichnen jedes Jahr Schulen mit dem Deutschen Schulpreis aus, aber das reicht nicht. Mein Vorschlag wäre, dass diese Schulen drei bis fünf andere Schulen in ihrem Umfeld über drei Jahre bei einem Veränderungsprozessen unterstützen”, schlägt Dziak-Mahler vor. Es brauche zudem mehr Autonomie für Schulen und Schulleitungen sowie eine stärkere Einbindung der gesamten Schulgemeinschaft, einschließlich Schülern, Eltern und der Schulaufsicht.

Ein weiteres zentrales Thema ist für die Gäste die Förderung von Selbstwirksamkeit. „Wir müssen aufhören, Selbstwirksamkeit bei Kindern abzutrainieren”, fordert Dziak-Mahler. Felix Voss kann dies aus eigener Erfahrung bestätigen: „Ich habe damals mein Abitur gemacht und dann stand ich da und hatte überhaupt keine Ahnung, was ich danach machen will.” Statt nur auf Noten und standardisierte Prüfungen zu setzen, müsse das Bildungssystem mehr Freiräume für individuelles Lernen und Persönlichkeitsentwicklung schaffen.

Fazit: Veränderung als Chance

Zum Ende des Gesprächs betont Myrle Dziak-Mahler, dass Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als Chance begriffen werden müsse. „Wir verstecken uns oft hinter dem Argument, dass wir mehr Ressourcen bräuchten, um Veränderungen anzugehen.“ Sie hofft, dass Lehrkräfte sich in Zukunft mehr trauen. „Der Beamtenstatus macht total frei. Als Beamt*in ist man so abgesichert, wie kaum jemand in diesem Land. Auch noch in Zeiten, die eher unsicher sind. Und auf diesem Boden, dieser Sicherheit, ist es eigentlich total leicht, viel auszuprobieren.“ Ihr Appell an Schulen und Lehrkräfte: Nehmt euch Experimentierräume!

Insgesamt zeigt die Diskussion, dass es keine einfache Lösung gibt, aber viele Ansatzpunkte, um Bildung besser an die Anforderungen der Zukunft anzupassen. Das Ziel muss sein, jungen Menschen die Kompetenzen zu vermitteln, die sie benötigen, um in einer sich ständig wandelnden Welt bestehen zu können und ihre Freiheiten möglichst gut zu nutzen. News4teachers

Hintergrund

Der Bürgerrat Bildung und Lernen besteht aus mehr als 700 zufällig ausgelosten Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und wurde 2020 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Sie hat auch den vorliegenden Podcast bereitgestellt.

Im Sinne einer lebendigen Demokratie diskutieren die Mitglieder des Bürgerrats gemeinsam über gesellschaftliche und bildungspolitische Fragen. Welche Probleme und Herausforderungen müssen im Bildungsbereich dringend bearbeitet werden? Wie könnten bildungspolitische Reformen aussehen, die Probleme lösen und gleichzeitig in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind? Und: Wie soll gerechte Bildung in Zukunft aussehen?

Ein umfassendes Papier mit Empfehlungen wurde unlängst erarbeitet (News4teachers berichtete). Leitthema dabei: „Chancengerechtigkeit: Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“

Der Bürgerrat Bildung und Lernen ist aktuell der einzige Bürgerrat, der auf Bundesebene aktiv ist und auch Kinder und Jugendliche einbezieht. Die mehr als 250 Schülerinnen und Schüler kommen über sogenannte Schulwerkstätten der Bundesländer dazu und sind vollwertige Mitglieder des Bürgerrats Bildung Lernen. Darüber hinaus haben sie aber auch eigene Empfehlungen entwickelt sowie einen offenen Brief unter dem Titel „Hört und zu!“ geschrieben.

www.buergerrat-bildung-lernen.de

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“Der Lehrplan sollte ein Instrument sein, kein Ziel“: PISA-Chef Schleicher über mehr Freiheit für die Schulen

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